100 Jahre FES! Mehr erfahren

Ausser Acht gelassen: Geschlechtergerechtigkeit beim Globalen Forum für Migration und Entwicklung

Das Globale Forum für Migration und Entwicklung muss wichtige Lehren aus Afrika und Lateinamerika für ein progressives Engagement berücksichtigen. Was sind die gemeinsamen Herausforderungen?

Frauen und geschlechtsdiverse Personen sehen sich auf ihren Migrationswegen regelmäßig mit spezifischen Hürden konfrontiert – darunter etwa ein eingeschränkter Zugang zu sicheren Migrationswegen, keine gleichwertige Anerkennung von Qualifikationen sowie Defizite bei der sozialen Sicherung und den Arbeitsrechten. Zwar haben globale Foren zur Migrationssteuerung, darunter das Globale Forum für Migration und Entwicklung (GFMD), die Bedeutung geschlechtergerechter Ansätze anerkannt, doch bleibt die Integration der Geschlechterdimension in Politik, Beteiligungsstrukturen und Umsetzungsrahmen inkonsequent, uneinheitlich und lückenhaft. Insbesondere wird die Bedeutung von Frauen in der Migrationspolitik und ihre Rolle in der Entwicklung unterschätzt. Für den 15. GFMD-Gipfel hat Kolumbien nun drei übergeordnete Themen und sechs thematische Prioritäten festgelegt, darunter einen Schwerpunkt auf „Stärke in Bewegung: Der Einfluss migrierender Frauen auf die Entwicklung“. In der Vergangenheit konzentrierten sich die Diskussionen über geschlechtsspezifische Fragen eher auf Nebenveranstaltungen oder spezielle thematische Sitzungen und hatten nur begrenzten Einfluss auf die Hauptagenda des Forums.

Auf der Grundlage vergleichender Erfahrungen aus Afrika und Amerika identifiziert diese Analyse gemeinsame Herausforderungen und regionalspezifische Faktoren, die die Positionierung von Geschlechterfragen in den Beratungen des GFMD beeinflussen.

 

Anerkennung nur auf dem Papier

 

Das GFMD erkennt die Bedeutung von Fragen der Geschlechtergerechtigkeit zwar grundsätzlich an, doch bleibt die Bearbeitung in der Agenda fragmentiert und oberflächlich. Am ehesten sichtbar ist das Thema in speziellen Sitzungen zu Bereichen wie Arbeitsmobilität, Schutz oder Entwicklung, doch nur selten prägen Fragen der Geschlechtergerechtigkeit die Kernberatungen des Forums. Nach Abschluss der thematischen Sitzungen verschwinden geschlechterspezifische Dimensionen oftmals wieder, sodass die von Staaten geführten politischen Debatten vielfach von den gelebten Realitäten der Betroffenen entkoppelt bleiben.

Dies verweist auf eine strukturelle Lücke: Die Agenda wird jährlich neu durch die jeweils gastgebende Regierung bestimmt. Das Ergebnis sind uneinheitliche Verpflichtungen und geringe Kontinuität. Fortschritte, die bei einem Forum erzielt werden, werden nur selten in den nächsten Prozess überführt.

Der Civil Society Mechanism (CSM) hat für eine gewisse Kontinuität gesorgt, indem er feministische Organisationen zusammenbringt und im Zyklus 2024–25 eine Konsultation zu Frauen, Migration und Entwicklung durchgeführt hat. Diese Prozesse bieten zwar die Möglichkeit der politischen Interessenvertretung, jedoch hängt die Teilnahme stark von begrenzten und schlecht kalkulierbaren Ressourcen ab. Ohne institutionalisierte Rollen oder eine verlässliche Finanzierung können feministische Akteur:innen nur am Rand an Entscheidungsprozessen mitwirken und haben lediglich begrenzten Einfluss auf die Ergebnisse.



Regionale Dynamiken: Spielraum für die Einbeziehung von Geschlechterperspektiven

 

Die Perspektiven Afrikas und Lateinamerikas sind besonders aufschlussreich, da sie Parallelen zwischen Regionen sichtbar machen, die von kolonialer und rassistischer Vergangenheit geprägt sind – und in denen diese Geschichte bis heute beeinflusst, wer als „würdiger“ Migrant gilt. Frauen aus marginalisierten ethnischen und sozioökonomischen Gruppen tragen durch Pflegearbeit, informellen Handel, landwirtschaftliche Tätigkeiten und Rücküberweisungen erheblich zur Entwicklung bei. Dennoch bleiben sie in globalen Foren zur Migrationssteuerung weiterhin stark unterrepräsentiert.

Regionale Regelungen und Rahmenrichtlinien verdeutlichen den Kontrast zwischen ambitionierten Normen und der tatsächlichen Umsetzung. Der migrationspolitische Rahmen der AU (2018–2030) verankert Geschlechtergleichstellung als übergeordnete Priorität, und sowohl ECOWAS als auch IGAD haben sich zur  Anerkennung von Händlerinnen und zur Förderung geschlechtergerechter Governance verpflichtet. In der Praxis spiegeln sich diese Zusagen jedoch nur selten in einer koordinierten Interessenvertretungs-Arbeit innerhalb der GFMD-Prozesse wider, bei denen Innen- und Arbeitsministerien dominieren und Geschlechterfragen zurücktreten hinter Themen wie Sicherheit und Rücküberweisungen. Auch in Lateinamerika bekräftigen der Quito-Prozess und die Erklärung von Cartagena ein starkes Engagement für die Rechte von Migrantinnen und Geflüchteten. Zudem mobilisieren sich feministische Netzwerke insbesondere für afro-diasporische, indigene und LGBTQ+-Gemeinschaften. Doch bleibt die Beteiligung am GFMD sporadisch, häufig abhängig von gebergesteuerten Projekten und eher an staatlichen Prioritäten ausgerichtet als an einer kontinuierlichen Lobbyarbeit für Geschlechtergerechtigkeit .

 

Die Rolle nichtstaatlicher Akteure: eine weitere Möglichkeit zur stärkeren Einbeziehung der Geschlechterperspektive

 

Vor diesem Hintergrund haben sich Plattformen nichtstaatlicher Akteure als zentrale Räume zur Verstärkung von Geschlechterperspektiven etabliert. Die African Non-State Actors Platform on Migration and Development setzt sich seit 2023 dafür ein, die Rolle von Gewerkschaften, Diaspora-Organisationen und Frauenverbänden in der Gestaltung der migrationspolitischen Debatten sichtbar zu machen. In ähnlicher Weise hat der Bloque Latinoamericano sobre Migración feministische und gemeindebasierte Netzwerke in ganz Amerika miteinander verbunden und lokale Gegebenheiten, von Hausarbeit bis hin zu Vertreibung, in eine kollektive Interessenvertretung innerhalb der GFMD-Prozesse umgesetzt.

Ein gemeinsames zivilgesellschaftliches Forum zwischen Afrika und Lateinamerika im Dezember 2024 verdeutlicht, wie nichtstaatliche Plattformen die Einbeziehung von Genderperspektiven dynamisch vorantreiben können: Durch die Verknüpfung regionaler Erfahrungen und gemeinsame Interessenvertretung entstanden übergreifende Botschaften, die bis in die Vorbereitungsprozesse des GFMD hineinwirkten. Gleichwohl bleibt die Beteiligung durch finanzielle und sprachliche Barrieren eingeschränkt – mit negativen Folgen für Kontinuität und Sichtbarkeit.

Diese Dynamik verweist auf ein wiederkehrendes Muster: Geschlechtergerechtigkeit wird in Rahmenwerken und Konsultationen zwar anerkannt, bleibt jedoch strukturell aus der Agenda des GFMD ausgeschlossen. Ohne institutionalisierte Mechanismen zur Stärkung der Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure droht das Thema Geschlechtergerechtigkeit auf eine symbolische Präsenz reduziert zu werden, anstatt substanzielle Veränderungen zu bewirken. Diese Kluft zwischen formaler Anerkennung und struktureller Abwesenheit erzeugt nicht nur blinde Flecken in der Politik, sondern entscheidet auch darüber, wer Einfluss auf die Debatte nehmen kann.

 

Wer darf zum Thema Geschlechtergerechtigkeit sprechen?

 

Die strukturelle Schwäche bei der Integration von Fragen der Geschlechtergerechtigkeit beim GFMD zeigt sich auch anhand der Beteiligung. Selbst wenn Genderfragen auf der Tagesordnung stehen, werden die Diskussionen meist von Regierungen oder großen Institutionen geprägt – während gerade jene Akteur:innen an der Basis, die am stärksten betroffen sind, weitgehend ausgeschlossen bleiben. In Afrika wie auch in Lateinamerika leisten Basis- und Interessenorganisationen – etwa grenzüberschreitende Händlerinnen, Las Patronas oder das Red de Mujeres Migrantes – direkte humanitäre Hilfe und engagieren sich für die Rechte von Migrantinnen. Dennoch ist ihr Zugang zum GFMD lückenhaft und oft von Gebern abhängig.

Das Fehlen dieser Stimmen fördert einen politischen Raum, in dem zwar über Geschlechtergerechtigkeit gesprochen wird, jedoch selten von den unmittelbar Betroffenen. Diese Ausgrenzung ist folgenreich: Sie verhindert, dass das Forum von dem Wissen und den kollektiven Organisationsformen profitiert, die in vielen Regionen bereits bestehen – wie etwa der African Non-State Actors Platform oder dem Bloque Latinoamericano sobre Migración, die gezielt daran arbeiten, die Stimmen der Basis in globale Arenen zu tragen. Echte Inklusion erfordert mehr als nur symbolische Präsenz am Verhandlungstisch: Sie setzt politische Rahmenbedingungen voraus, die geschlechtsspezifische Erfahrungen systematisch in Tagesordnungen, Verhandlungen und Ergebnisse integrieren.

 

Mechanismen zur strukturellen Verankerung einer geschlechtsspezifischen Agenda

 

Die Erfahrungen aus Afrika und Lateinamerika zeigen eins ganz klar: geschlechtsspezifische Fragestellungen sind im globalen Migrationsdialog zwar grundsätzlich präsent, nehmen in der Praxis jedoch nur eine untergeordnete Rolle ein. Die zentrale Herausforderung besteht nicht allein darin, Frauen stärker in die Diskussion einzubeziehen, sondern Geschlechtergerechtigkeit als strukturelles Anliegen zu verankern – getragen von den Stimmen an der Basis und geprägt durch intersektionale Lebenswirklichkeiten.

Das flexible Multi-Stakeholder-Format des GFMD birgt Potenzial für Fortschritte, braucht allerdings bewusste Veränderungen. Notwendig sind institutionelle Mechanismen, die eine konsequente Vertretung migrantischer Netzwerke, sprachliche Einbindung und eine Rechenschaftspflicht in Bezug auf geschlechtsspezifische Verpflichtungen sicherstellen.

Durch die systematische Einbindung regionaler Erfahrungen in globale Prozesse kann das GFMD über symbolische Verweise hinausgehen und zu einer Plattform werden, die Gerechtigkeit, Würde und Rechte für alle Migrant:innen stärkt. Die vergleichenden Erfahrungen aus Afrika und Lateinamerika zeigen: Der Aufbau institutioneller Strukturen zur Verankerung von Geschlechtergerechtigkeit ist nicht nur möglich, sondern dringend erforderlich. Die künftige Glaubwürdigkeit des GFMD als Multi-Stakeholder-Forum hängt entscheidend davon ab, ob der Schritt von symbolischer Anerkennung zu struktureller Integration gelingt.

 


Globales Forum für Migration und Entwicklung

Das GFMD ist ein informeller, staatlich geführter und nicht bindender Prozess außerhalb des UN-Systems, der 2006 von Kofi Annan initiiert wurde. Es fördert Migration und Entwicklung durch Dialog, strukturiert internationale Prioritäten und ermöglicht den Austausch bewährter Praktiken. Zivilgesellschaftliche Organisationen werden aktiv eingebunden, koordiniert durch den Civil Society Mechanism (CSM).


Über die Autor_innen

Dr. Margaret Monyani promovierte in Internationalen Beziehungen an der University of Witwatersrand, Südafrika, und arbeitet als Policy-Forscherin und Strategin an den Schnittstellen von Geschlechtergerechtigkeit, Migration und Sicherheit in Afrika. Ihre Tätigkeit in Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Think-Tanks konzentriert sich auf Fragen der Mobilitätsgovernance, regionale Kooperation sowie rechtebasierte Ansätze in der Migrationspolitik. Derzeit unterstützt sie Organisationen dabei, die Kapazitäten der Zivilgesellschaft zu stärken, politische Rahmenwerke zu beeinflussen und Rechenschaftspflichten in Systemen der Migrationsgovernance zu fördern.

Rossy Antúnez ist Soziologin und Angehörige der Ëyuujk-Nation. Sie arbeitet beim Instituto para las Mujeres en la Migración A.C. mit Sitz in Mexiko-Stadt, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die die Rechte von Frauen im Kontext von Migration verteidigt und fördert. Derzeit ist sie dort als Transnational Family Advocate tätig. Ihre langjährige persönliche Erfahrung mit Kinder­migration, Rückkehr und Familientrennung prägt ihr Engagement und ihre Führungsrolle bei der Entwicklung nationaler, regionaler und internationaler Advocacy-Strategien – mit besonderem Fokus auf Frauen und rassifizierte Migrant:innengemeinschaften.

Itzel Polo Mendieta hat Sozialanthropologie an der National School of Anthropology and History studiert und sich am Colegio de la Frontera Norte in Mexiko auf Internationale Migration spezialisiert. Sie ist Mitbegründerin und derzeit Advocacy- und Liaison-Koordinatorin des Center for Attention to Indigenous Migrant Families. In dieser Funktion engagiert sie sich in lokalen, nationalen und regionalen Initiativen zur Verteidigung der Menschenrechte von Migrant:innen und fungiert als nationale Ansprechperson für Mexiko im Bloque Latinoamericano sobre Migración.

Paddy Siyanga Knudsenist Entwicklungsökonomin mit ausgewiesener Expertise in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, regionale Integration und Migrationsgovernance. Sie berät unterschiedliche Organisationen, darunter Regierungen, UN-Agenturen und Institutionen der Europäischen Union. Derzeit koordiniert sie die African Non-State Actors Platform on Migration and Development. Zudem ist sie Vizepräsidentin des Global Research Forum on Diaspora & Transnationalism (GRFDT) und Mitglied des zivilgesellschaftlichen Steuerungskomitees des Global Forum on Migration and Development (GFMD). Darüber hinaus wirkt sie in verschiedenen Arbeitssträngen des UN Network on Migration mit und gehört dem GIZ Diaspora Advisory Board an. Ihre umfangreiche Arbeit erstreckt sich über Europa, Afrika und Asien.

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.



Abteilung Analyse, Planung und Beratung

Leitung

Dr. Andrä Gärber

Kontakt

Tobias Silbermann

Friedrich-Ebert-Stiftung
Hiroshimastr. 17
D-10785 Berlin

030 26935-8326
Tobias.Silbermann(at)fes.de


Referat Analyse und Planung

Leitung

Jan Niklas Engels

Team & Kontakt


Referat Politische Beratung

Leitung

Catrina Schläger

Team & Kontakt

 

 

Redaktion

Salome Lienert
+41 22 733-3450
nach oben