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Kinderbetreuung und Kindertagesbetreuung

Definition: Kinderbetreuung und Kindertagesbetreuung

Kinderbetreuung ist ein Sammelbegriff für die Betreuung von Kindern außerhalb ihrer eigenen Familie. Gegenstand der politischen Diskussion ist vor allem die öffentlich oder privat organisierte Kindertagesbetreuung. Sie umfasst unterschiedliche Betreuungs- und Bildungsangebote wie Kindergärten, Krippen oder die Kindertagespflege. Sie richtet sich vor allem an Kinder im Alter von wenigen Monaten bis zum Schuleintritt, umfasst aber auch ältere Kinder, etwa in Horten und Ganztagsschulen. Diese Angebote unterstützen Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und fördern gleichzeitig die (früh)kindliche Entwicklung. Da es in unserer Gesellschaft immer noch überwiegend Frauen sind, die Betreuungsaufgaben übernehmen, kann damit auch ein Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter geleistet werden. Darüber hinaus leistet sie einen Beitrag zur Förderung von Teilhabechancen und Bildungsgerechtigkeit. Entscheidend für den Erfolg der Kindertagesbetreuung sind sowohl die Qualität der Angebote als auch ein chancengleicher Zugang zu den Angeboten.

 

Formen der Kindertagesbetreuung (1)

Es gibt zwei prinzipielle Arten der Kindertagesbetreuung: die Kindertageseinrichtungen (Kitas) und die Kindertagespflege. 

 

Kitas sind institutionelle Angebote, in denen Kinder in Gruppen von mehreren sozialpädagogischen Fachkräften betreut werden. Es gibt verschiedene Konzepte, die sich je nach Altersgruppe, Trägerschaft und Betreuungskonzept unterscheiden. Teilweise haben spezifische Einrichtungen auch spezifische Bezeichnungen. So beschreibt die Kinderkrippe Betreuungsangebote für Kinder bis zum Alter von drei Jahren in einer Umgebung, die auf die Bedürfnisse von Kleinkindern ausgerichtet ist. Von Kitas mit Altersmischung wird gesprochen, wenn in der Regel Kinder vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr in einer gemischten Gruppenkonstellation betreut werden, in der die Kinder voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen. Kindergärten beschreiben oft Kitas, die Kinder ab dem dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt betreuen.

 

Darüber hinaus gibt es spezielle Angebote für die Betreuung von Schulkindern. So können junge Menschen in Horten oder auch in Ganztagsschulen, d.h. Schulen, die über den regulären Unterricht hinaus auch am Nachmittag Bildungs- und Betreuungsangebote machen, ihre Hausaufgaben erledigen oder betreute Freizeitangebote wahrnehmen.

 

Zu den vielfältigen weiteren Angeboten zählen Eltern-Kind-Zentren oder Familienzentren, die häufig in an Kindertagesstätten angegliederten Angeboten Austauschmöglichkeiten, Beratung und Hilfe für Eltern anbieten, sowie Krabbel- und Spielgruppen, die sich an Eltern und Kinder unter drei Jahren richten und für einige Stunden in der Woche Angebote machen, ohne eine umfassende Betreuung anzubieten.

 

Die Kindertagespflege ist eine Betreuungsform, bei der eine Tagespflegeperson eine feste Kleingruppe von Kindern, in der Regel unter drei Jahren, betreut. Gegenüber Kitas, wo Kinder oft zwischen vielen verschiedenen Spielgefährt:innen und Ansprechpersonen auswählen können und so vielfältige Inputs erhält, bietet die Kindertagespflege in einer familiären Atmosphäre ein intensiveres Verhältnis mit der Betreuungsperson. Die Kindertagespflege hat sich zunehmend professionalisiert, so dass Kindertagespflegepersonen heute mindestens eine 160-stündige Qualifizierung absolviert haben (2) - Das pädagogische Fachpersonal in Kindertagesstätten verfügt in der Regel über eine Ausbildung oder ein Studium.

 

Gesellschaftliche Bedeutung

Die Kindertagesbetreuung ermöglicht Eltern - immer noch insbesondere Müttern - eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dadurch wird nicht nur dem Fachkräftemangel entgegengewirkt, sondern auch die Gleichstellung der Geschlechter gefördert. Die Kindertagesbetreuung ist neben der Familie der wichtigste Ort frühkindlicher Bildung.

 

Gerade eine qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung schafft soziale Räume, in denen Kinder wichtige Kompetenzen für ihre gesellschaftliche Teilhabe entwickeln. Sie lernen, respektvoll miteinander umzugehen, effektiv zusammenzuarbeiten und Konflikte konstruktiv zu lösen. Hiervon können insbesondere Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen profitieren, die häufig schon früh Bildungsbenachteiligungen erfahren. So hat die absolute Mehrheit der Bildungsungleichheiten während der Schulzeit, die sich z.B. in den PISA-Ergebnissen widerspiegeln, ihren Ursprung in der Zeit vor der Schule (3). Ergänzend können mehrsprachige Kindertageseinrichtungen und eine gezielte Sprachförderung zu einer besseren Integration beitragen und beispielsweise die sprachliche Entwicklung von Kindern mit nicht-deutscher Familiensprache unterstützen.

 

Somit verbessert eine gute Kindertagesbetreuung die Chancengerechtigkeit für alle Kinder, fördert die Erwerbstätigkeit der Eltern und die Entwicklung zukünftiger Arbeitskräfte, was langfristig den Wohlstand in Deutschland (4) und damit letztlich auch den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärkt. Studien, wie die des Nobelpreisträgers James Heckman, zeigen, dass Investitionen in die frühkindliche Bildung eine höhere Rendite erzielen als Investitionen in Schulen oder Universitäten (5) – bis zu 16 Euro pro investiertem Euro (6).

 

Aktueller Stand

Die Betreuungsinfrastruktur in Deutschland wurde in den letzten Jahrzehnten stark ausgebaut, um dem gestiegenen Bedarf gerecht zu werden. Der Anteil der öffentlichen Ausgaben für frühkindliche Bildung am BIP ist zwischen 2015 und 2021 um 42 Prozent gestiegen (7). Dies ist unter anderem auf die Einführung von Rechtsansprüchen auf Betreuung ab dem dritten Lebensjahr im Jahr 1996 und für unter Dreijährige im Jahr 2013 zurückzuführen (8).

 

In Zahlen:

 

  • Die Betreuungsquote der unter 3-Jährigen stieg auf 40 % im Jahr 2022, die der 3- bis 5-Jährigen sinkt jedoch im gleichen Zeitraum von 96 % im Jahr 2013 auf 93 %. Das liegt vor allem daran, dass die Zahl der 3- bis 5-Jährigen in diesem Zeitraum um 18 % zunahm (9).
  • Kitas: 2023 gibt es in Deutschland mehr als 56.000 Kitas– das sind 24 % mehr Kitas als noch 2006. Das Personal in Kitas ist seit 2013 um 54 % auf rund 704.600 Mitarbeitende gestiegen, während die durchschnittliche Kita-Größe mit rund 63 Kindern pro Einrichtung stabil blieb (10).
  • In der Kindertagespflege betreuen 2023 rund 41.200 Tagespflegepersonen etwa 166.000 Kinder. Die durchschnittliche Anzahl der Kinder pro Tagespflegeperson stieg von zwei im Jahr 2006 auf vier im Jahr 2023. Mittlerweile betreuen über 45 % der Tagespflegepersonen fünf oder mehr Kinder (11).

Herausforderungen und Probleme

Wie unsere Gesellschaft im Großen, so steht auch die Kindertagesbetreuung im Kleinen vor ähnlichen Herausforderungen: Fachkräftemangel, ungleiche Teilhabe sowie eine zunehmende Heterogenität der Kinder, die sich u.a. in der Vielfalt von Migrations- und Fluchthintergründen sowie unterschiedlichen Familiensprachen zeigt.

 

Angebot und Nachfrage: Nach wie vor gibt es nicht genügend Betreuungsplätze für alle Kinder. Die Herausforderungen beginnen bereits beim Zugang zu den Angeboten. Die größte Lücke zwischen Bedarf und Nutzung besteht für Kinder im Alter von eins bis drei Jahren. Dabei stellt die Deckung des Fachkräftebedarfs bereits heute, aber auch in Zukunft eine große Herausforderung dar. Dem notwendigen Personalzuwachs durch den Ausbau der Kindertagesbetreuung stehen eine steigende Nachfrage und altersbedingte Abgänge gegenüber. In Westdeutschland könnten bis 2035 bis zu 70.000 Fachkräfte im Bereich der frühkindlichen Bildung fehlen (12). Dabei sind Qualitätsverbesserungen, die häufig zusätzlichen Personalbedarf erfordern, noch nicht berücksichtigt (13). Erschwert wird die Deckung des Fachkräftebedarfs durch überdurchschnittlich hohe Belastungen im sozialen Bereich (14) und eine überdurchschnittlich hohe Teilzeitquote der Fachkräfte (15).

 

Ungedeckte Bedarfe, bzw. nicht erfüllte Betreuungswünsche auf Seiten benachteiligter Familien entstehen durch strukturelle Zugangsbarrieren und sind u.a. auf bürokratische Hürden und Diskriminierung insbesondere für Familien mit Migrationshintergrund zurückzuführen (16). Insgesamt erhält jede fünfte Familie mit Kindern zwischen ein und drei Jahren keinen Betreuungsplatz, obwohl der Bedarf besteht (17). Allerdings sind auch hier nicht alle Familien gleichermaßen betroffen, sondern insbesondere armutsgefährdete Familien, Familien ohne Deutsch als Familiensprache, Alleinerziehende oder Familien ohne akademischen Hintergrund. Dies geht so weit, dass bei Familien ohne Deutsch als Familiensprache und ohne akademischen Hintergrund jede zweite Familie einen ungedeckten Bedarf angibt (18).

 

Auch in den Rahmenbedingungen der Betreuung finden sich ähnliche Benachteiligungen. Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen besuchen häufiger Kitas, in denen Problemlagen kumulieren: eine höhere Anzahl von Kindern, eine Ballung von Kindern mit nicht deutscher Familiensprache, weniger Räume pro Kind, mehr unbesetzte Stellen, und ein Personalschlüssel, der häufiger nicht eingehalten werden kann (19).

 

Zusammenfassend ergeben sich aus den bestehenden Lücken im Zugang und in der Qualität der Kindertagesbetreuung zwei zentrale Problemstränge:

 

  • Zum einen bleiben wichtige Bildungspotenziale ungenutzt, was gerade sozioökonomisch benachteiligte Kinder betrifft. Diese Ungleichbehandlung ergänzt die ungleichen Startbedingungen und führt zu ungerechten Ausgangslagen bei der Einschulung (20).
  • Zum anderen bleiben Erwerbspotenziale von Eltern – insbesondere Müttern – ungenutzt. Dies betrifft alle Familien, insbesondere aber sozioökonomisch ohnehin benachteiligte Familien.

 

Zukunft der Kinderbetreuung in Deutschland

Die Kinderbetreuung in Deutschland muss vor allem hinsichtlich des Zugangs und der Qualität - insbesondere für benachteiligte Familien - verbessert werden. Wichtig darüber hinaus wäre, die Qualität frühkindlicher Bildung zu messen, wie es der Bildungsbericht vorschlägt.

 

Auch in den Handlungszielen der AG Frühe Bildung finden sich gute Ansätze. Eine entscheidende Verbesserung wäre eine Erneuerung des Betreuungsschlüssel. Beim derzeitigen Schlüssel werden Ausfallzeiten und indirekte pädagogische Arbeit, wie z.B. Elterngespräche, die die direkte Zeit mit den Kindern reduzieren, nicht berücksichtigt. So gibt es große Unterschiede zwischen dem angegebenen Betreuungsschlüssel und der tatsächlichen Anzahl der Kinder, die von einer Erzieherin betreut werden. Diese Forderung unterstützt nicht nur die AG Frühe Bildung, sondern auch die Gewerkschaften GEW und ver.di.

 

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verbesserung der sprachlichen Bildung, insbesondere für Kinder mit besonderem Förderbedarf. Ziel ist es, Sprachbarrieren abzubauen und allen Kindern, unabhängig von ihrer Herkunft, die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

 

Schließlich sind bedarfsgerechte Betreuungsangebote notwendig, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Insbesondere Ganztagsangebote sind ein zentraler Baustein für Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit ausweiten wollen. Die bisherigen Rechtsansprüche haben zu einem Ausbau der Kindertagesbetreuung geführt. Mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Elementarbereich ab 2026 könnte sich dies weiter verbessern.

 


Literatur, Quellen und weiterführende Links

Ganztag als Chance - Wirkweisen, Entwicklungspotenziale und Handlungsfelder schulischer Ganztagsangebote von Stephan Kielblock und Kai Maaz; Septmeber 2024

 

Kitas 2. Klasse? - Mehrfachbelastungen von Kitas mit Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien von Andy Schieler und Daniela Menzel; Juni 2024

 

Frühe Ungleichheiten - Zugang zu Kindertagesbetreuung aus bildungs- und gleichstellungspolitischer Perspektive von Mathias Huebener, Sophia Schmitz, Katharina Spieß und Lina Binger; November 2023

 

Fußnoten

 


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