Mehr Balance, bitte!

Was leistet die neue Vereinbarkeitsrichtlinie der Europäischen Union? Ein Bericht zur Fachkonferenz am 28. Februar 2019 in der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin.

Bild: von Maren Strehlau

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Entweder Karriere oder Familie? Es geht auch anders!

Ein faires und angemessenes Gleichgewicht zwischen Arbeit, Familienleben, Freizeit sowie anderen sozialen Verpflichtungen zu finden, ist immer noch eine große Herausforderung für alle Arbeitnehmer_innen in Europa. Insbesondere Frauen, aber auch viele Männer, werden durch verfestigte Rollenvorstellungen und Geschlechterklischees in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt und davon abgehalten ein selbstbestimmtes Arrangement aus Arbeit, Familienleben und Freizeit zu finden. Vor allem Frauen sehen sich häufig gezwungen, den Arbeitsmarkt (zeitweise) zu verlassen oder ihre Arbeitszeit aufgrund familiärer Verpflichtungen und mangelnder Unterstützung, zum Beispiel in der Pflege Angehöriger, zu reduzieren. Dies wirkt sich negativ auf ihre Erwerbsbiografie, ihr Einkommen und damit auch auf ihre soziale Absicherung aus. Besonders deutlich wird dies im Rentenalter und in niedrigeren Rentenansprüchen. Bisherige politische Maßnahmen konnten Verbesserungen in der Vereinbarkeit erreichen. Geschlechtergerechtigkeit und echte Vereinbarkeit, die es Müttern und Vätern erlaubt berufstätig zu sein und gemeinsam für ihre Kinder oder pflegebedürftigen Angehörigen zu sorgen, gibt es aber noch nicht.

EU-Institutionen starten Verhandlungen

Um den Anteil von Frauen am Arbeitsmarkt zu erhöhen, hat die Europäische Kommission die „Richtlinie zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige“ vorgeschlagen, die aktuell in den europäischen Gremien beraten wird und bis April beschlossen werden soll. Die Richtlinie baut soziale Rechte in der Europäischen Union aus. und zielt darauf ab, eine gerechtere Aufteilung von Betreuungs- und Pflegeaufgaben zwischen Frauen und Männern sowie der Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Mithilfe legislativer und nicht-legislativer Maßnahmen, wie dem Recht auf flexible Arbeitszeitregelungen und höheren Standards für Eltern-, Vaterschafts- und Pflegeurlaub, soll der bestehende EU-Rechtsrahmen zur Work-Life-Balance modernisiert werden. Der Vorschlag für eine Richtlinie zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben umfasst unter anderem Aspekte wie die Einführung von Vaterschaftsurlaub für mindestens zehn Tage, die mindestens in Höhe des Krankengelds vergütet werden sowie die Stärkung des bereits bestehenden Elternurlaubs, indem festgelegt wird, dass beiden Elternteilen jeweils mind. zwei Monate zustehen, wobei die Höhe der Vergütung von den Mitgliedsstaaten festgesetzt werden soll. Die neuen Regelungen sollen die Elternurlaubsrichtlinie von 2010 ersetzen. Das EU-Parlament und der Rat sind bereits zu einer vorläufigen Einigung über den Vorschlag der Europäischen Kommission gekommen, die nun durch das Europäische Parlament und den Rat förmlich angenommen werden muss.

Gewerkschaftlicher Erfolg

Anlässlich der neuesten Entwicklungen lud die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit dem Europäischem Gewerkschaftsbund (EGB) und dem Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) zu einer Podiumsdiskussion unter dem Motto „Mehr Balance, bitte! - Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben in der EU“ („Strike the Balance! Reconciling Work and Life in the EU) ein. Der EGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben sich engagiert in die Sozialpartnerkonsultation der Europäischen Kommission zu den Herausforderungen der Work-Life Balance für Eltern und Pflegende eingebracht und den aktuellen EU-Richtlinienvorschlag maßgeblich unterstützt. Teilgenommen und über den EU-Richtlinienvorschlag zur Work-Life-Balance diskutiert haben Fabian Lütz, Legal Officer in der EU Kommission DG Ju­stiz und Verbraucher, Montserrat Mir Roca, Konföderal-Sekretärin im Europäischen Gewerkschaftsbund, Anja Weusthoff, Abteilungsleiterin im DGB-Bundesvorstand und Petra Mackroth, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Chance für ein lebendigeres und soziales Europa

Nach einem Grußwort von Stefanie Elies, Referatsleiterin des Forums Politik und Gesellschaft der Friedrich-Ebert-Stiftung und einem Impulsvortrag von Montserrat Mir Roca über die Modernisierung des bereits bestehenden EU-Rahmens zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ging es in die Diskussion. Das Podium diskutierte über die  weitere Entwicklung der neuen EU-Richtlinie, deren Notwendigkeit, den Einfluss der Gewerkschaften und über zukünftige Maßnahmen zur Förderung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Europa. Die Sprecher_innen waren sich darin einig, dass das Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission in die richtige Richtung geht und aufgrund seiner Regulierungs- und Sicherungskraft eine wichtige Komponente für ein soziales Europa darstellt. Dennoch sind Korrekturen des Richtlinienentwurfs sowie einige weitere Maßnahmen notwendig.Insbesondere die Unterschiedlichkeit der Lebenssituation und der verschiedenen Work-Life-Balance-Praktiken und –Kulturen in den EU-Mitgliedstaaten ist eine große Herausforderung, der man sich stellen muss. Davon abhängig ist auch der Erfolg der Richtlinie.

Es kommt also auf die Art und Weise der Umsetzung an! Einen Mindeststandard setzt die Richtlinie. Dieser markiert eindeutig einen Fortschritt für Europa, muss jedoch noch weiter ausgeführt werden.  Um der „Gender Pay Gap“ und der „Gender Care Gap“ entgegenzuwirken und gleichgestellte Partnerschaften zu ermöglichen, ist die Regelung von zwei Monaten Elternzeit für Partner, insbesondere für Väter, nur ein Anfang. Die europäische Debatte um gute Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Pflege und Freizeit muss, auch unter der Beteiligung von Männern und Vätern, weiter geführt werden. Minimalstandards für die gesamte Europäische Union sind dabei ein guter Anfang auf dem Weg zu partnerschaftlicher Arbeitsteilung in Beruf und Familie.

Ein Meilenstein für ein soziales Europa mit Luft nach oben

Die Gewerkschaften sehen in der Richtlinie einen Meilenstein für ein soziales Europa, sind jedoch nicht vollends zufrieden mit dem finalen Entschluss der EU-Kommission.

Basierend auf dem Projekt "REBALANCE - Aktivitäten der Gewerkschaften und Sozialpartner zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben für Frauen und Männer" und dem Richtlinienentwurf ist zudem bereits eine Studie im Projektlauf, die im September 2019 auf der Abschlusskonferenz in Rom vorgestellt werden soll. Das Engagement für gute Vereinbarkeit und eine bessere Lebenssituation für Arbeitnehmer_innen in Europa muss weitergehen!


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