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Frieden braucht Beteiligung: Ohne die Stimmen der Palästinenser:innen bleibt jeder Wiederaufbau nur ein weiterer Fremdentwurf.
Die Isolation Deutschlands in der Nahost-Politik wurde in den vergangenen zwei Jahren, zumindest optisch, kaum deutlicher als beim jüngsten Gipfeltreffen im ägyptischen Sharm el-Sheikh. Der deutsche Bundeskanzler, immerhin Regierungschef der politisch gewichtigsten europäischen Nation, saß auf der Bühne in der letzten Reihe, am Rand, während der US-Präsident eine „neue Ära des Friedens“ ausrief.
Auch wenn nun endlich die letzten lebenden Geiseln nach viel zu langen 738 Tagen frei sind und endlich humanitäre Hilfe erstmals in ausreichendem Maße in den Gazastreifen gelangt – von Frieden in Gaza kann keine Rede sein. Zumindest nicht, wenn man Frieden als mehr begreift als die bloße Abwesenheit physischer Gewalt.
Gaza ist vollständig zerstört: Es gibt keinen Wohnraum, keine Krankenhäuser und keine Schulen mehr. Kaum jemand ist noch in der Lage, sein (Über-)Leben aus eigener Kraft zu bestreiten. Die Lebenserwartung der Menschen hat sich nahezu halbiert – sie sank von 75,5 auf 40,5 Jahre. Die Untersuchung von Januar 2025 berücksichtigt dabei weder die ab März verhängte humanitäre Vollblockade noch die gezielt ausgelöste Hungersnot. Die psychologischen Folgen – die Traumata, die die Menschen erlitten haben – lassen sich heute noch kaum ermessen. Berichte, insbesondere von Organisationen, die sich mit den Rechten und der Gesundheit von Kindern befassen, lassen aber Schreckliches erahnen.
Und nicht einmal die physische Gewalt ist ganz verschwunden – sie hat nur die Form geändert. Bereits kurz nach Beginn des Waffenstillstandes begann der interne Machtkampf um die Kontrolle des Küstenstreifens: auf der einen Seite die Überreste der Hamas, auf der anderen von der israelischen Regierung als Gegengewicht bewaffnete Gruppen. Welche Dimension diese Kämpfe annehmen werden, lässt sich zur Stunde nicht abschätzen; entscheidend wird sein, wann die International Stabilization Force (ISF), die laut Punkt 15 des 20-Punkte-Plans des US-Präsidenten die Region stabilisieren soll, tatsächlich eintrifft.
Bislang ist weder bekannt, auf welcher Rechtsgrundlage die ISF stehen soll, wer die Truppen stellt, wer sie führt und wann sie eintreffen. Das ist besonders problematisch, da viele der weiteren Punkte des Plans direkt mit der Wiederherstellung öffentlicher Ordnung verknüpft sind. Wie soll eine neue, technokratische Verwaltung die Geschäfte übernehmen, wenn kein Mindestmaß an Sicherheit gegeben ist? Wie soll ein Wiederaufbauprozess beginnen, wenn in jeder Straße eine andere bewaffnete Gruppe die Kontrolle hat?
Hinzu kommt: Jede Verzögerung birgt die Gefahr, dass sich alternative Governance-Systeme etablieren, möglicherweise getragen von verbliebenen Hamas-Kämpfern, die sich gewaltförmig festsetzen und nur schwer zu beseitigen wären. Das würde die Bereitschaft potenzieller Truppensteller drastisch senken, da auf diesem Wege aus einer Mission mit dem primären Ziel der Stabilisierung eine Kampfmission zur Beseitigung der verbliebenen Hamas-Strukturen würde. Diese Abwärtsspirale, die den Gazastreifen in einer neuen Runde des Chaos versinken lassen würde, muss verhindert werden.
Mangelnde bis keine Beteiligung der Palästinensischen Autonomiebehörde
Bislang gänzlich ungelöst ist die Frage der Beteiligung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) an dem Plan. Weder war sie, ganz im Gegensatz zur israelischen Regierung, an der Erstellung des Plans beteiligt, noch wurde sie konsultiert. Dieses Vorgehen ist in mehrfacher Hinsicht problematisch: Es entsteht der Eindruck einer „Spaltung mit anderen Mitteln“, die erneut das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser:innen untergräbt und die territoriale Einheit Palästinas aus Westjordanland, Ost-Jerusalem und Gaza sabotiert.
Ohne eine echte Beteiligung der Palästinenser:innen im Zentrum des Plans fehlt diesem die notwendige, friedensstiftende Legitimation – er würde lediglich eine erneute Fremdherrschaft bedeuten.
Welche Rolle die Bundesregierung künftig in einem Prozess zur Konfliktregelung in der Region spielen will, ist noch unklar – und, Stichwort Isolation, welche Rolle sie überhaupt noch spielen kann.
Bislang wurde nur bekannt gegeben, dass man sich zu Recht prominent am Wiederaufbau des Gazastreifens beteiligen wolle. Um die Isolation Deutschlands zu beenden, wird das allerdings nicht ausreichen. Die Bundesregierung muss deutlich zeigen, dass es ihr mit der Zweistaatenlösung ernst ist und entsprechend politisch handeln. Gaza als reinen humanitären Fall und nicht als politische Herausforderung zu behandeln, hat bereits in der Vergangenheit nicht funktioniert – und wird auch in Zukunft nicht funktionieren.
Das bedeutet, dass der Prozess in ein echtes multilaterales Setting mit enger palästinensischer Einbindung eingebettet werden muss. Das „Board of Peace“, das unter dem Vorsitz von Donald Trump und mit Tony Blair als Adlatus im Kolonialherrenstil über die Köpfe von zwei Millionen Menschen hinweg entscheidet, würde jede Friedensperspektive im Keim ersticken. Zweitens müssen, wie in unserer FES-Publikationsreihe in Kooperation mit der Stiftung Wissenschaft und Politik definierte palästinensische Perspektiven und Expertise im Zentrum des Wiederaufbaus stehen, alles andere käme einer weiteren Entmündigung gleich. Schließlich muss der Wiederaufbau Teil eines politischen Prozesses hin zu einer nachhaltigen Konfliktregelung sein, auch wenn dies für die Bundesregierung unbequeme Entscheidungen bedeutet.
Auch wenn Bundeskanzler Friedrich Merz in Sharm el-Sheikh den Eindruck machte, als wolle er das Thema, auch wegen seiner innenpolitischen Auswirkungen, gerne ad acta legen, führt schlicht kein Weg mehr daran vorbei. Der Krieg in Gaza hat deutlich gemacht, dass die Zeit des Konfliktmanagements vorbei ist. Es bedarf dringend einer nachhaltigen Lösung, und diese ist nur in der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser:innen zu finden.
Im Rahmen des gemeinsamen Projekts „Palästinensische Perspektiven auf den Wiederaufbau von Gaza“ veröffentlichen die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) umfassende Analysen zur Wiederaufbau- und Zukunftsplanung des Gazastreifens.
Die Studien beleuchten erstmals die Bedürfnisse und Prioritäten der Palästinenser_innen für die Zeit nach dem Ende des noch andauernden Kriegs. Insgesamt elf Beiträge widmen sich zentralen Themenbereichen, die für den Wiederaufbau entscheidend sind.
Wie können der Wiederaufbau und die Zukunftsplanung im Gazastreifen nach dem Ende des Krieges aussehen? Eine neue Studienreihe beleuchtet erstmals die…
Das Portal beschäftigt sich mit dem Veränderungsprozess, den Deutschland und Europa gegenwärtig durchlaufen. Er wird auch als Zeitenwende bezeichnet weiter