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Rückkehr nach Syrien

Friederike Stolleis

Bewegt von der Zerstörung in Syrien findet der Außenminister empathische Worte. Das führt zu einer würdelosen innenpolitischen Diskussion.

Zerstörte Häuser und Straßen in Damaskus
Urheber: Friederike Stolleis

Eine Debatte an der Realität vorbei

Die inzwischen viel zitierte Aussage des deutschen Außenministers bei seinem Besuch in einem der zerstörten Vororte von Damaskus, hier könnten Menschen nicht in Würde leben, hat in Deutschland eine Diskussion über die Rückkehr syrischer Geflüchteter ausgelöst, die oft konträr zu den Realitäten und Interessen beider Länder geführt wird.

Viele Stadtteile und Regionen in Syrien haben ein ähnliches Ausmaß der Zerstörung erlitten wie der Damaszener Vorort Harasta und sind heute gänzlich unbewohnbar: Strom, Wasser und Arbeit fehlen in weiten Teilen des Landes. Laut den Vereinten Nationen benötigen 16 Millionen Menschen in Syrien humanitäre Hilfe, das Land ist zerstört und der Frieden bleibt fragil. Immer wieder erschüttern Kämpfe und Anschläge das Land, Entführungen und Kriminalität sind verbreitet. Die neue Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa verspricht ein „Syrien für alle“, doch zweifeln viele säkulare Syrer und Syrerinnen an der religiösen Ausrichtung der neuen Führung. Besonders Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten leben in Angst, aber auch politisch Aktive und Frauen fühlen sich vielerorts nicht sicher.
 

Erste Rückkehrer aus den Nachbarstaaten

Dennoch sind bisher ungefähr eine Million Menschen nach Syrien zurückgekehrt. Die stärkste Rückkehrbewegung findet bislang aus den Nachbarländern Türkei, Libanon, Jordanien und Irak statt. Viele derjenigen, die von dort zurückkehren, haben oftmals völlig verarmt gelebt, in Flüchtlingslagern des UNHCR oder in prekären Verhältnissen, teilweise auf der Straße. Bettelnde syrische Familien sieht man seit über einem Jahrzehnt auf den Straßen von Beirut, Istanbul und anderen Städten der Region.

Wer in der Fremde unter einer Plastikplane lebt und Übergriffen und Gewalt ausgesetzt ist, entschließt sich schneller für eine Rückkehr als diejenigen, die sich im Aufnahmeland ein neues Leben aufgebaut haben. Viele potenzielle Rückkehrer analysieren sorgfältig Mietpreise, Löhne, Sicherheit und Bildungsmöglichkeiten. Manche Familien teilen sich auf: Ein Elternteil arbeitet weiter im Ausland, während der andere mit den Kindern in Syrien Unterschlupf bei Verwandten sucht. Insgesamt aber warten viele einfach ab – in der Hoffnung, dass sich entweder die Lage in Syrien verbessert oder die Bedingungen im Exil nicht weiter verschlechtern. Immer häufiger werden sie jedoch von Kürzungen der Hilfe der Vereinten Nationen oder wachsender Fremdenfeindlichkeit unter Druck gesetzt.

Gleichzeitig verfolgen die Aufnahmeländer in der Region zunehmend widersprüchliche Strategien: Sie drängen auf Rückkehr, ohne die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Besonders in der Türkei, im Libanon und in Jordanien geraten syrische Staatsangehörige unter massiven Druck – durch Abschiebungen, Job- und Hilfskürzungen oder bürokratische Hindernisse. Das führt dazu, dass Rückkehrer ärmer und verletzlicher werden als zuvor.
 

Aus Deutschland sind keine Heimatbesuche möglich

In Deutschland leben derzeit rund 951.000 Syrerinnen und Syrer. Nur etwa 920 Personen gelten nach Angaben des Innenministeriums im August 2025 als ausreisepflichtig und ohne Duldung – die große Mehrheit hat Schutzstatus, arbeitet oder befindet sich in Ausbildung. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind 61 Prozent der erwachsenen Syrerinnen und Syrer in Deutschland erwerbstätig – viele in Branchen mit akutem Personalmangel wie dem Gesundheitswesen. Aber auch diejenigen, die es nicht zu einer finanziellen Unabhängigkeit geschafft haben, und Bürgergeld beziehen, haben oftmals Kinder, die in die Schule gehen, eine Ausbildung machen oder studieren. Nach zehn Jahren sprechen viele Kinder besser Deutsch als Arabisch, sodass viele Eltern zumindest den Schulabschluss ihrer Kinder in Deutschland sichern möchten, bevor sie eine Rückkehr nach Syrien planen.

Was sich jedoch die Allermeisten wünschen, of seit vielen Jahren ersehnen, ist ein Besuch in ihrer Heimat. Ein Wiedersehen mit Eltern, Verwandten und Bekannten, die geblieben sind. Nachschauen, ob das Haus noch steht, die Wohnung bewohnbar ist, Arbeitsmöglichkeiten erkunden. Oder im Idealfall im Exil erlernte oder vertiefte Fähigkeiten nutzen, um das Land aufzubauen. Aber diese Möglichkeit steht bisher nur denjenigen offen, die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben. Alle anderen würden durch einen Besuch in Syrien ihren Schutzanspruch in Deutschland verlieren. Ein wichtiger Schritt, um eine Rückkehr nach Syrien für viele überhaupt denkbar zu machen, wäre – ähnlich wie in Frankreich oder in der Türkei – eine Regelung durchzusetzen, die Heimatbesuche für Menschen mit Asyl- oder anderem temporären Schutzstatus erlaubt. Wer soll sich denn entscheiden, nach Syrien zurückzugehen, wenn man nicht hinfahren kann, um sich einen Eindruck zu verschaffen ohne gleich alles aufzugeben, was man sich in den letzten Jahren hier aufgebaut hat?
 

Eine unwürdige innenpolitische Debatte

Die von der CDU angestoßene Debatte über die Rückkehr von Syrern und Syrerinnen aus Deutschland ist eine innenpolitische Debatte, die darauf abzielt, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie erreicht jedoch das Gegenteil, da sie nicht nur durch die Problematisierung der Anwesenheit syrischer Geflüchteter deren Stigmatisierung und Ausgrenzung fördert, sondern auch Schritte verspricht, die unmöglich geleistet werden können. Die Forderung, eine große Anzahl von hier lebenden Syrern und Syrerinnen freiwillig oder durch Zwang in ihre Heimat zurückzubringen geht sowohl an der Realität in Syrien als auch an der in Deutschland vorbei. 

Syrien ist zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, viele Geflüchtete aufzunehmen. Wohnraum ist knapp und teuer, und die Infrastruktur ist bereits jetzt überlastet und kann unmöglich mehr Menschen versorgen. Vorrang sollte denjenigen eingeräumt werden, die als Binnengeflüchtete oder aus den Nachbarländern in ihre Heimat zurückkehren wollen. Syrer und Syrerinnen können von Deutschland aus einem besseren Beitrag zum Wiederaufbau ihres Landes leisten, als wenn sie sich jetzt vor Ort niederließen. Sei es mit ihrer eigenen Expertise, im Rahmen deutsch-syrischer Kooperationen oder auch nur indem sie ihre Verwandten durch Überweisungen unterstützen. Die große Exil-Community in Deutschland kann im syrischen Wiederaufbau eine große Rolle spielen und die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern fördern. Die Debatte zerstört aufgebautes Vertrauen und mindert die außenpolitischen und wirtschaftlichen Chancen, die sich aktuell bieten.  

Aber auch für Deutschland wäre eine überstürzte Rückkehr von hier ansässigen Menschen nach Syrien problematisch. Zum einen würden in vielen Berufszweigen Fachkräfte fehlen, in deren Ausbildung Deutschland teilweise über Jahre investiert hat. Zum anderen wären die ohnehin schon überlasteten Gerichte und Ämter mit der Fülle der Klagen und Verfahren, die eine Veränderung ihres Asyl- oder Schutzstatus auslösen würde, auf Jahre beschäftigt. Die versprochenen Rückführungen würden daher auf sich warten lassen, was der AfD zusätzliche Argumente an einer Kritik der Regierung liefern würde. Anstatt erneut den Fehler zu begehen rechten Narrativen zu folgen und dabei die Anwesenheit Geflüchteter in Deutschland zu problematisieren, wäre es zielführender, die positive Rolle von Syrerinnen und Syrern in Deutschland sowie beim Wiederaufbau ihres Landes klar zu benennen. Und diesen Wiederaufbau mit allen Kräften zu unterstützen, sodass die freiwillige Rückkehr von hier lebenden Menschen nach Syrien Teil dieser Erfolgsgeschichte wird.

Über die Autorin

Dr. Friederike Stolleis ist Referentin im Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika der Friedrich-Ebert-Stiftung. Davor leitete sie die Auslandsbüros Algerien und Syrien der Stiftung. Sie ist Ethnologin und Islamwissenschaftlerin.


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