Referat Lateinamerika und Karibik

Auch nach der Pandemie bleibt der Klimawandel Realität

Werden wir es wagen, eine gesündere, gerechtere Welt nach dieser Pandemie aufzubauen? Wenn wir künftige Corona-Wellen abwenden wollen, müssen wir unser Produktions- und Konsumverhalten radikal verändern.

Bild: ECO NOT EGO. Global climate change strike - No Planet B von © Markus Spiske | unsplash.com

Wir leben in einer Epoche, in der sich mehrere globale Krisen mit einer sichtbaren Ungleichheit, Umweltzerstörung und klimatischen Destabilisierung überkreuzen. Hinzu kommen immer neue Wellen des Populismus, Konflikte, wirtschaftliche Unsicherheit und ein zunehmend in Bedrängnis geratendes öffentliches Gesundheitswesen. All diese Krisen verändern nach und nach die bisherigen „Gleichgewichte“ und stellen unser auf Entwicklung ausgerichtetes Wirtschaftsmodell der vergangenen Jahrzehnte in Frage. Das zwingt uns dazu, unsere nächsten Schritte neu zu überdenken.

Die Risikowahrnehmung änderte sich am 18.6.2019 grundlegend, als das UN-Klimasekretariat die aktuelle Lage als »Klimanotstand« bezeichnete und alle Mitgliedstaaten zum »Kampf unseres Lebens« aufrief. Während sich das Coronavirus – begünstigt durch die Klimabedingungen und den dafür verantwortlichen Lebensstil – rasant ausbreitet, wird der Klimawandel eher zögerlich und langfristig betrachtet. Ein Bezug zur Pandemie, mit der er eng verknüpft ist, wird gar nicht erst hergestellt. Doch es gibt unzweifelhaft Verbindungen zwischen diesen beiden Phänomenen.

Das Aufkommen von Vektorkrankheiten (also Viren, die von Tieren auf den Menschen überspringen) ist keineswegs ein neuzeitliches Phänomen, wenngleich es derzeit verstärkt in Erscheinung zu treten scheint. Untersuchungen legen nahe, dass sich ihre Häufigkeit in den letzten 50 Jahren vervierfacht hat. Ein Blick auf das erst junge 21. Jahrhundert scheint dafür Beweis genug, da es bereits vier solche Viruspandemien erlebt hat: SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom), Vogelgrippe (H5N1), Schweinegrippe (H1N1) und jetzt eben das aktuelle Virus SARS-CoV-2.

Im letzten Jahrhundert eröffnete die Kombination aus Bevölkerungswachstum, Temperaturanstieg und der Zerstörung von Ökosystemen und Biodiversität nie dagewesene Möglichkeiten für die Übertragung von Krankheitserregern von Tieren auf den Menschen. Da die Klimakrise die Wettermuster verändert und immer häufiger zu extremen Wetterbedingungen führt, ist sie auch für die Vektorerkrankungen relevant. Denn sie verändert die Populationen, die Verbreitung und die Überlebenschancen der von Vektorkrankheiten betroffenen Tiere. Inzwischen ist klar, dass es sich um Viren handelt, die zunächst Tierpopulationen befielen und anschließend mutierten, um auf den Menschen überzugreifen. In einem zweiten Schritt verbreiteten sich diese neuen Krankheitserreger dann in der gesamten Weltbevölkerung.

Zugleich begünstigt die Luftverschmutzung Atemwegsbeschwerden und macht Menschen, die in CO2 und Mikropartikeln wie PM2,5 belasteten Regionen leben, anfälliger für Covid-19.

Im Pariser Klimaschutzabkommen verpflichteten sich im Jahr 2015 knapp 200 Staaten, den durchschnittlichen Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts auf maximal 2 °C gegenüber den vorindustriellen Werten zu begrenzen und alles dafür zu tun, um ihn bei 1,5 °C zu halten. Dafür müssten die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 2010 reduziert werden. Heute sind wir weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen; es bleibt aber noch ein (wenn auch ein zunehmend kleineres) Zeitfenster, um es doch noch zu schaffen.

Den Klimanotstand aufzuhalten und uns darauf einzustellen ist heute wichtiger denn je; nicht nur wegen der Gefahr künftiger Pandemien, die eine stärkere Erderwärmung mit sich bringen könnte, sondern auch, weil entsprechende Maßnahmen dazu beitragen könnten, künftige Gesundheitskrisen zu verhindern. Die Verringerung der Luftverschmutzung durch den Verzicht auf fossile Brennstoffe ist ein Mittel zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit. Der schrittweise Ausstieg aus fossilen Energieträgern könnte pro Jahr 3,6 Millionen frühzeitige Todesfälle verhindern, die durch die Luftverschmutzung verursacht werden. Wenn man noch die Umweltverschmutzung durch Landwirtschaft und Privathaushalte hinzurechnet, steigt die Zahl der Todesfälle sogar auf 5,6 Millionen.

Die Folgen von Covid-19 sind auch in anderen Bereichen als nur in Gesundheit und Wirtschaft spürbar. In den vergangenen Monaten konnten wir selbst (persönlich oder virtuell) miterleben, wie die aufgrund der sozialen Distanzierungsvorschriften eingetretene wirtschaftliche Verlangsamung Luft und Wasser sauberer, den Himmel klarer und verdrängte Tierarten wieder heimisch gemacht hat. Und dies sind nur einige Beispiele für die Umweltzerstörung, die wir durch unseren Lebensstil verursachen. Die Natur zeigt sich auf wundersame Weise widerstandsfähig und führt uns vor Augen, dass wir gar nicht so viel tun (bzw. lassen) müssen, damit es ihr gut geht. Doch wenn die Krise erst einmal überstanden ist, wird sich wieder alles um den wirtschaftlichen Wiederaufbau drehen. Die Frage ist also, wo Staaten und Industrien den Schwerpunkt setzen werden, und ob wir etwas aus dieser Pandemie lernen werden. Werden wir es wagen, eine gesündere, gerechtere Welt aufzubauen? Wenn wir künftige Corona-Wellen abwenden wollen, müssen wir unser Produktions- und Konsumverhalten radikal verändern. Denn nur so können wir unseren ökologischen Fußabdruck verringern, die Umwelt schützen und dem Klimawandel und seinen Folgen entgegentreten.

In diesem Zusammenhang sollte man sich den offenen Brief in Erinnerung rufen, den mehr als 11 000 Wissenschaftler_innen aus 153 Ländern im November 2019 veröffentlichten. Darin warnten sie, dass die Klimakrise schneller voranschreite, als dies die Mehrheit der Wissenschaft erwartet habe und deshalb dramatische gesellschaftliche Veränderungen erforderlich seien, um unabsehbares Leid abzuwenden.

Wenn wir über mögliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen nachdenken, die aus dieser Pandemie hervorgehen könnten, müssen wir uns ins Gedächtnis rufen, dass diese gewaltige zerstörerische Kraft vor allem in den Sozial- und Wirtschaftssystemen tobt. Die Klimakrise bewegt sich dagegen in viel größeren Dimensionen: Sie betrifft auch die biophysikalischen Systeme unseres Planeten wie die Biosphäre und die Atmosphäre. Verändern sich diese natürlichen Systeme, könnte dies die vielen Vorteile schmälern, von denen unsere Gesellschaften profitieren, und ein noch viel größeres Zerstörungspotenzial entfalten, als wir es derzeit miterleben.

Nach der globalen Finanzkrise von 2008 sanken die weltweiten CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger und der Zementherstellung zunächst um 1,4 Prozent, um im Jahr 2010 dann wieder um 5,9 Prozent zu steigen. Einer Analyse von Carbon Brief zufolge führten die wirtschaftliche Blockade und der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit in China in Folge des Coronavirus innerhalb von vier Wochen zu einer geschätzten Verringerung der CO2-Emissionen um 25 Prozent. Wie schon bei früheren Krisen ist aber auch jetzt davon auszugehen, dass das ursprüngliche Niveau im Zuge der Konjunkturerholung bald wieder erreicht werden dürfte. Doch dieses Mal könnte sich die Krise auf lange Sicht noch viel stärker auf die Umwelt auswirken – mit viel höheren Kosten für die menschliche Gesundheit, die Sicherheit und das Leben – falls sie dazu führt, dass globale Initiativen zur Bekämpfung des Klimawandels aus der Spur geraten.

Dieses Jahr dürfte sich für die Initiativen gegen den Klimawandel als entscheidend erweisen, wie es der UN-Generalsekretär kürzlich beim jährlich stattfindenden UN-Klimagipfel ausdrückte. Mit Blick auf den Gipfel, der kommenden November in Glasgow stattfinden sollte, wurde ursprünglich erwartet, dass 196 Länder neue, ehrgeizigere Pläne zur Erfüllung der im Übereinkommen von Paris von 2015 vereinbarten Emissionssenkungsziele vorlegen würden. Doch am 1. April kündigte die UNO angesichts der grassierenden Corona-Pandemie an, den Gipfel auf das nächste Jahr zu verschieben. Dies könnte sich ebenso wie die Verpflichtungen der Länder zu Investitionen in ihre von Covid-19 betroffenen Wirtschaftssektoren letztlich sogar negativ auf die nationalen Ziele zur Senkung des Treibhausgasausstoßes auswirken.

So könnten am Ende also auch die weltweiten Initiativen zur Bekämpfung des Klimawandels Covid-19 zum Opfer fallen. Auch andere internationale Konferenzen zu Klimathemen – etwa zur biologischen Vielfalt und zu den Ozeanen – wurden bereits verschoben. Dass die Staaten Maßnahmen zur Begrenzung der globalen Erwärmung verabschieden, ist dringlicher denn je. Doch die aktuelle Lage macht dies noch schwerer als es ohnehin schon ist, da sich die Staats- und Regierungschefs nicht einmal treffen können, um über diese Themen zu beraten.

Das Ziel der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erholung nach dem Ende der Corona-Pandemie sollte darin bestehen, die natürlichen Ressourcen zu erhalten, zu schützen und aufzuwerten und die Bevölkerung vor Umwelt- und Klimarisiken zu schützen – all das im Geiste von Gerechtigkeit und Einbeziehung.

Einige Beispiele für Schlüsselmaßnahmen zur Konjunkturerholung, die sich auch positiv auf Gesundheit, Klima und Nachhaltigkeit auswirken, sind:

  1. Die Schaffung von Arbeitsplätzen und neuen Geschäftsmöglichkeiten durch eine gerechte ökologische Wende bei gleichzeitiger Reduzierung des Kohlenstoffausstoßes in allen Wirtschaftsbereichen
  2. Die Entwicklung nachhaltiger mittel- und langfristiger Entwicklungsprogramme unter Einbindung der betroffenen Bevölkerungsgruppen in Planung, Umsetzung und Ergebniskontrolle
  3. Der Übergang von einer »grauen« in eine »grüne« Wirtschaft einschließlich der Verwendung öffentlicher Mittel zur Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Resilienz
  4. Staatliche Investitionen in Umwelt- und Klimaschutzprojekte, erneuerbare Energien, öffentliche Verkehrsmittel, intelligente Gebäudetechnik etc.
  5. Die Evaluierung der Risiken und Chancen für die einzelnen Volkswirtschaften unter Nutzung von Finanzierungen, Technologietransfers und Entwicklungszusammenarbeit
  6. Die Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft bei der Bekämpfung von Covid-19 und dem Klimawandel

Autor_in: Antonina Ivanova ist Professorin und forscht am Institut für Wirtschaft der Universidad Autónoma de Baja California Sur in Mexiko. Seit 2002 gehört sie dem Weltklimarat an (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC).

*Der Text ist eine Übersetzung aus dem Spanischen, erschienen im Rahmen des FES Regionalprojekts Sozial-ökologische Transformation , 2020.

http://library.fes.de/pdf-files/bueros/mexiko/16467.pdf

In der deutschen Fassung verwenden wir eine geschlechtersensible Sprache.

 


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