100 Jahre FES! Mehr erfahren

Der Nachlass Jupp Darchinger im Archiv der sozialen Demokratie

Laura Valentini

Am 6. August wäre der bedeutende Fotojournalist Jupp Darchinger 100 Jahre alt geworden. Eine Ausstellung im LVR-Landesmuseum Bonn zeigt aktuell in Kooperation mit dem AdsD Bilder aus seinem Lebenswerk, das seit 2008 im Archiv verwahrt und erschlossen wird.

Personenkartei Darchingers in Archivkartons
Urheber: Jürgen Vogel / LVR-Landesmuseum Bonn | 6/FOTB088149

Nach mehr als fünf Jahrzehnten auf dem politischen Parkett der Bonner Republik zog sich Jupp Darchinger mit dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin 1999 allmählich aus seiner Tätigkeit als Fotojournalist zurück. Am 6. August 2025 wäre der in Bonn geborene Ausnahmefotograf 100 Jahre alt geworden. Dieses Jubiläum ist ein Anlass, sein Lebenswerk zu würdigen und zugleich den fotografischen Nachlass Jupp Darchingers im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) genauer in den Blick zu nehmen. Seit 1969 bewahrt das AdsD verschiedenste Quellen zur Geschichte der Sozialen Demokratie. Neben mittlerweile über 57.000 laufenden Metern Akten zählt dazu auch ein großer Bereich mit Sammlungsgut: von Plakaten und Flugblättern über Textilien, Filme, Videos und Tonmaterial bis hin zu Millionen von Fotos – darunter seit 2008 auch das „Fotoarchiv Jupp Darchinger“.

Mit der SPD verband Darchinger nicht nur die eigene Mitgliedschaft. Eine frühe identifizierbare Veröffentlichung seiner Fotografien zeigt beispielsweise den Trauerzug für den verstorbenen Parteivorsitzenden Kurt Schumacher im Jahr 1952. In den Anfangsjahren seiner Karriere waren Publikationsorgane und Kommunikationsmittel der Partei wichtige erste Auftraggeber, die Darchingers nachfolgenden fotografischen Werdegang erst ermöglichten. Die Entscheidung zur Übergabe seines Nachlasses an das AdsD war also ein naheliegender Schritt, um das eigene fotografische Schaffen nachhaltig zu bewahren und für die zukünftige Nutzung zu sichern.

Über fünf Jahrzehnte in Fotos – Umfang des Nachlasses

Darchingers Bildarchiv umfasst circa 1,6 Millionen Negativfilme, 60.000 Fotoabzüge und rund 30.000 Dias. Es handelt sich damit um den größten und bedeutendsten Fotobestand, den das Archiv bis dato übernommen hat. Mit Übergabe der Materialien begann in den 2000er Jahren zunächst ein eigenes Projektteam über einen Zeitraum von zwei Jahren mit der Bearbeitung des Bestands, um möglichst schnell möglichst viele Motive für die Nutzung zugänglich zu machen. Über 21.000 Negativfilme, sowie ca. 39.000 Einzelfotos sind bis heute in einer Archivdatenbank erschlossen, digitalisiert und online recherchierbar. Das AdsD hält die Bildrechte bis zum Aufnahmedatum 03. Oktober 1990. Nutzungskopien der Fotos können im Archiv angefragt werden, was insbesondere von Onlineredaktionen und Printmedien, aber auch Privatpersonen rege genutzt wird.

Doch wie arbeiten mit dieser Masse an Material? Der Umfang und die lange, sich über fünf Jahrzehnte erstreckende Laufzeit des Fotobestands erforderten schon im Familienbetrieb ein zuverlässiges Ablagesystem, um schnell auf jeweils benötigte Motive zugreifen zu können. Darchinger selbst hatte seine Negativtaschen von Beginn an durchnummeriert und die Daten in insgesamt fünf handschriftliche Bücher übertragen. Darin sind den Negativnummern Aufnahmedatum, Anlässe und Personen von den 1950er bis in die 1990er Jahre zugeordnet. Außerdem führte der Fotograf eine Kartei über Sachthemen und Orte sowie eine alphabetische Personenkartei: Fotos von Willy Brandt auf Wahlkampfreise, Helmut Schmidt beim Segeln oder Angela Merkel beim Interview mit Campino sind so schnell ausfindig zu machen – ein Hilfsmittel, das sich auch für die Recherche im Archivalltag immer wieder bewährt.

Das AdsD verwaltet maßgeblich das Negativarchiv Jupp Darchingers. Aus archivwissenschaftlicher Sicht sind die Negativstreifen das originale Archivale, von denen immer wieder Digitalisate und Abzüge als Nutzungskopien angefertigt werden können. Die Abzüge von der Hand des Fotografen werden im Archivalltag daher seltener herangezogen. Aus fotohistorischer Perspektive sind sie jedoch bildästhetisch wertvolle Unikate und ein wahrer Schatz für Ausstellungen, um Darchingers Arbeitsweise und Umgang mit dem Fotomaterial nachzuspüren.

Bitte kühl und trocken lagern – Bestandserhaltung und Erschließung

Mit dem Erwerb des Bildarchivs hatte das AdsD auch das Lagerungssysten des Familienbetriebs übernommen und einen eigenen Raum im Archiv eingerichtet. Dort waren die Fotomaterialien in Hängeordnern, Holzschubladen und -schachteln in den ehemaligen Schränken und Regalanlagen des Fotostudios untergebracht. Der Sammlungsbereich des AdsD ist in den letzten Jahrzehnten jedoch kontinuierlich gewachsen, was eine Erweiterung und Modernisierung der Magazinräume für die Sammlungen unumgänglich macht. Daran arbeitet das Archiv seit 2021 und hat seither begonnen, die Aufbewahrungsformen aller Sammlungsbestände – auch der Fotosammlung – zu überprüfen und zu verbessern. Das bisherige „Darchinger-Archiv“ und damit die einstige Lagerungsform wurde mittlerweile aufgelöst und der Bestand in säurefreie Archivboxen verpackt. Aktuell sind die Fotoobjekte interimsmäßig im 2019 eröffneten Zwischenarchiv des AdsD untergebracht. Nach dem Umbau der Sammlungsräume werden sie in das neue Fotomagazin überführt.

Gut verpackt reicht jedoch nicht aus – die Objekte müssen im Archivalltag in ihren Verpackungen an den jeweiligen Regalstandorten wie auch in den digitalen Ordnern auffindbar sein. Dafür sorgt die Erschließung, also die Ordnung und Verzeichnung der Archivalien in einer Datenbank. Erfasst werden die Archivsignaturen der Objekte, das Aufnahmedatum, eine Motivbeschreibung, aber auch weitere Metadaten wie Größe und Beschaffenheit der Fotos sowie Angaben zu den Bildrechten und Nutzungsbedingungen. In der Regel ist auch eine Abbildung eingebunden, über die man bei der Recherche einen ersten visuellen Eindruck des Motivs erhält. Sie dient jedoch nur zur Vorschau und ist nicht als Nutzungskopie gedacht.

Die Informationen für die Erschließung des Bestands stützen sich einerseits auf Darchingers Findbücher und die beiden Karteien. Andererseits ist auch die manchmal recht ausführliche Beschriftung der Abzug-Rückseiten mit Datum, Anlass oder Hintergrund des Motivs aufschlussreich. Waren die Beschriftungen – meist in Form von Aufklebern – im alltäglichen Treiben des Familienbetriebs zwar praktisches Hilfsmittel, sind sie für die Bestandserhaltung im Archiv ein konservatorisches Problem: Der Klebstoff ist nicht alterungsbeständig und kann im Laufe der Zeit die Fotoschicht umliegender Fotoabzüge beschädigen. Eine archivgerechte Verpackung der Materialien ist daher für die Sicherung und künftige Nutzung des Bestands unerlässlich.

Ewige Augenblicke – Das lebendige Archiv

Wer sich mit der Bonner Republik beschäftigt, wird zwangsläufig auf Fotografien von Jupp Darchinger stoßen. Darchinger begleitete die SPD als Fotojournalist seit 1952 ununterbrochen und hielt so fast alle wichtigen Ereignisse, Akteur:innen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Bundesrepublik bis in die 1990er Jahre mit seinem sehr eigenen Blick fest. Als kritischer Chronist prägte er das visuelle Gedächtnis dieser Epoche – vom Wirtschaftswunder der Adenauer-Ära bis zum wiedervereinigten Deutschland.

Der fotografische Nachlass im AdsD umfasst eine außerordentliche Motivfülle: von Konrad Adenauer über Ludwig Erhard bis zu Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl, Parteitage und Gewerkschaftskongresse, Staatsbesuche, internationale Kongresse oder „Spiegel-Gespräche“. Aber auch zahlreiche Aufnahmen von Personen des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens bis hin zu alltäglichen Momenten aus Bonn und der ganzen Republik gehören zum umfassenden Spektrum der Fotos. Diese enorme Bandbreite macht ihn zu einem der am meisten angefragten Fotobestände des Archivs.

Josef Heinrich „Jupp“ Darchinger verstarb am 28. Juli 2013 in Bonn. In seinen Fotografien lebt das „Auge der Republik“ jedoch bis heute fort, auch für künftige Generationen. Wer die Bonner Republik nicht mehr live miterlebt hat, lernt sie durch die Augen Jupp Darchinger kennen: Noch immer finden seine Fotos Verwendung in Tagespresse, Biografien und geschichtswissenschaftlichen Werken, aber auch bei der Gestaltung von Wänden in Rathäusern, Büros und Privatwohnungen.

Laura Valentini

Hier können Sie im Fotobestand Jupp Darchinger recherchieren. Nutzungsanfragen können über archiv.bibliothek(at)fes.de gestellt werden.

Noch bis zum 14. September ist die Ausstellung „Jupp Darchinger. Das Auge der Republik“, die in Kooperation mit dem AdsD entstanden ist, im LVR-Landesmuseum Bonn zu sehen. Mehr zur Ausstellung erfahren Sie hier.

nach oben