Zum politischen Kontext
Fast täglich wird das von Tälern und Bergen zerklüftete afghanisch-pakistanische Grenzgebiet durch terroristische Anschläge, Kampfeinsätze der pakistanischen Armee und Drohnenangriffe der US-Truppen erschüttert. Die Stammesgebiete unter pakistanischer Bundesverwaltung (»Federally Administered Tribal Areas«, FATA) sind ein Sonderterritorium im Nordwesten Pakistans zwischen der pakistanischen Provinz Kyber Pakhtunkhwa und dem Osten Afghanistans. Sie gehören zum Staatsgebiet Pakistans, verfügen jedoch politisch, rechtlich und administrativ über einen besonderen Status.
Die Schicksale der mehr als drei Millionen Menschen, die in den abgeschiedenen FATA leben, finden in der westlichen Berichterstattung über Krieg und Terror nur wenig Aufmerksamkeit. Mehrere hunderttausend Kinder, Frauen und Männer mussten infolge der Kampfhandlungen ihre Heimat verlassen. Die ohnehin gravierenden sozialen Missstände und die große wirtschaftliche Not haben sich weiter verschärft. Grassierende Armut, Arbeitslosigkeit, politische und rechtliche Diskriminierung, schlechte Gesundheitsversorgung, unzureichende Bildungsangebote, dysfunktionale Verwaltungsapparate, die Benachteiligung von Frauen und geringe wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten charakterisieren die Situation. Militante Bewegungen konnten von der schwachen Präsenz des pakistanischen Staates in den FATA profitieren und ihre eigenen Herrschaftsbereiche aufbauen. Die weltweit angesehene »International Crisis Group« warnt vor diesem Hintergrund in einem ihrer jüngeren Berichte vor einem weiteren Anwachsen militanter Kräfte in den FATA.
Wo westliche Reporter, wenn überhaupt, nur unter dem Schutz der pakistanischen Armee Stimmungsbilder aufzeichnen, reisen die einheimischen Journalisten unter Einsatz ihres Lebens durch die umkämpften Gebiete, um wertvolle Informationen zu recherchieren. Wo westliche Leitartikler aus sicherer Entfernung über Strategien der Taliban-Bekämpfung schreiben, müssen die Paschtu-sprechenden Journalisten vor jedem Satz darüber nachdenken, ob ihre Nachrichten nicht sie selbst und ihre Familie in Gefahr bringen.
Der Preisträger
Der Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung würdigt in diesem Jahr die besonderen Verdienste des pakistanischen Journalistenverbandes »Tribal Union of Journalists« (TUJ). Der in den FATA ansässige Verband setzt sich seit über zwei Jahrzehnten für die Stärkung der Medienfreiheit und den Meinungspluralismus in den Stammesgebieten ein. Er vertritt etwa 250 Journalistinnen und Journalisten in den Stammesgebieten, die für lokale, nationale und internationale Print- und elektronische Medien arbeiten. Er wurde 1987 durch eine Gruppe von einheimischen Journalistinnen und Journalisten gegründet.
Mit der Vergabe des Menschenrechtspreises wird die TUJ für ihre Unterstützung von verfolgten Journalisten und unterdrückten Medien in den Stammesgebieten ausgezeichnet. Die TUJ steht für den Mut der Journalistinnen und Journalisten vor Ort, die unter Einsatz ihres Lebens wertvolle Hintergrundinformationen aus der »Blackbox« der afghanisch-pakistanischen Grenzregion in alle Welt transportieren.
Als Interessensvertreter von Journalisten setzt sich der Journalistenverband nicht nur für eine verbesserte Sicherheit seiner Mitglieder ein. Er nimmt auch Aufgaben wahr, für die in vielen anderen Ländern Staat und Arbeitgeber verantwortlich sind. Etwa kümmert sich die TUJ um die soziale Absicherung der Familien von ermordeten Journalisten. Diese erhielten bisher weder finanzielle Hilfen vom pakistanischen Staat noch von den nationalen und internationalen Presseagenturen, für die sie arbeiteten.
In besonderer Anerkennung ehrt der Menschenrechtspreis die TUJ zudem für ihre demokratische Organisationskultur. Der Verband ist nach den Grundsätzen der demokratischen Mitbestimmung organisiert. In einer Region, in der den Menschen die Grundrechte der pakistanischen Verfassung vorenthalten werden, ist die TUJ ein Symbol für eine gelebte demokratische politische Kultur.
Der Menschenrechtspreis wurde am 31. Oktober 2012 um 17:30 Uhr in der Friedrich-Ebert-Stiftung, Hiroshimastr. 17, 10785 Berlin durch Peter Struck an die TUJ verliehen. Die Laudatio hielt Johannes Pflug, Vorsitzender der Afghanistan/Pakistan-Taskforce der SPD-Bundestagsfraktion.
Am 27. November 2012 wurde in Islamabad das Preisgeld an die TUJ übergeben. Die begleitende Podiumsdiskussion über die Situation der Journalist_innen in der FATA wurde von Rahimullah Yusufzai moderiert und fand unter der Beteiligung hochrangiger, pakistanischer Politiker_innen statt.