Ungleichheit verringern

Ungleichheit verringern - darin sieht Kate Pickett (University of York) einen wesentlichen Schritt hin zu Entwicklung und Wohlergehen.

Die Auswirkungen von Ungleichheit

Soziale und wirtschaftliche Ungleichheit verstärkt die Macht und das Gewicht von sozialen Hierarchien, Status und Klasse. Dementsprechend kommen viele Probleme, die üblicherweise am unteren Teil der sozialen Leiter auftreten – beispielsweise in ärmeren Vierteln –, in Gesellschaften mit größeren Einkommensunterschieden zwischen Armen und Reichen häufiger vor.

Auch wenn die Auswirkungen von Ungleichheit am unteren Ende der sozialen Leiter am schlimmsten sind, wirken sich die Folgen auch auf die Bessergestellten aus, weil Ungleichheit die gesamte soziale Struktur einer Gesellschaft beschädigt – mit größerer sozialer Spaltung, Statusunsicherheiten und -wettbewerb.  Mehr oder weniger gleiche Gesellschaften funktionieren unterschiedlich gut, wenn eine große Mehrheit der Bevölkerung – nicht nur die Armen – von Ungleichheit betroffen ist. Der Grad der Unterschiede variiert bei Fragen der Gesundheitsversorgung oder sozialen Problemen, aber sie treten in ungleichen Gesellschaften alle zwei- bis zehnmal häufiger auf, als in eher gleichen Gesellschaften.

Obwohl Einkommensungleichheit in reichen, entwickelten Ländern an Indikatoren wie Gesundheit und sozialem Wohlergehen gemessen werden, gilt dies nicht für das Niveau des Durchschnittseinkommens (BSP pro Kopf). Um Ungleichheit zu verringern ist es für diese Länder besonders wichtig, das Wohlergehen der Bevölkerung zu erhöhen. In Entwicklungs- und Schwellenländern sind sowohl die Erhöhung der Gleichheit als auch die Verbesserungen der Lebensstandards notwendig, damit es den Bevölkerungen besser gehen kann.

Es gibt viele und fundierte Beweise dafür, dass sehr große Einkommensunterschiede innerhalb von Ländern schädlich wirken. Das zeigen sowohl Querschnittsstudien als auch Studien über die Veränderungen der Einkommensverteilung über längere Zeiträume. Die Verbindung von größerer Ungleichheit mit einer schlechten Gesundheit der Bevölkerung ist vielfach nachgewiesen worden. Hunderte von Studien zeigen, dass die Lebenserwartungen in eher gleichen Gesellschaften höher und die Sterblichkeit geringer sind, der Anteil von Säuglingssterblichkeit, mentaler Gesundheit und Fettleibigkeit zwei- bis viermal höher ist und dass die Anzahl der HIV-Infektionen bei höherer Ungleichheit sowohl in Entwicklungsländern als auch in Industrieländern steigt.

Auch die Verbindung von größerer Gleichheit mit besseren sozialen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft ist vielfach belegt – das Niveau des sozialen Zusammenhalts, einschließlich Vertrauen und soziales Kapital, ist in eher gleichen Ländern höher. Die Indikatoren für den Status und die Gleichberechtigung von Frauen sind grundsätzlich besser, während der Grad von Eigentum ebenso wie von Kriminalität und Gewalt, vor allem von Mord, steigt, wenn sich die Unterschiede vergrößern.

Ungleichheit vergeudet Humankapital und das menschliche Potenzial. In eher gleichen Gesellschaften ist der UNICEF-Index zur Lage der Kinder deutlich höher, der Bildungsgrad ist höher, weniger junge Menschen fallen aus dem Bildungssystem, dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt und weniger jugendliche Mädchen werden Mütter. Vor allem die soziale Mobilität ist in sehr ungleichen Gesellschaften eingeschränkt – Chancengleichheit wird von Ergebnisgleichheit gestaltet.

Zusätzlich zu ihren Auswirkungen auf Gesundheit und soziale Folgen, steht eine größere Gleichheit auch mit wirtschaftlichem Fortschritt und Stabilität in Verbindung. Die Verringerung von Armut, und damit Entwicklung, wird durch Einkommensungleichheiten beeinträchtigt. In reichen und armen Ländern korreliert Ungleichheit mit kürzeren Phasen ökonomischer Expansion und weniger Wachstum im Laufe der Zeit sowie mit häufigeren und stärkeren Zyklen von Auf- und Abschwung, wodurch Volkswirtschaften häufiger schwanken und krisenanfälliger werden. Ein Bericht des Internationalen Währungsfonds sagt dazu, dass die Verringerung von Ungleichheit und die Stärkung langfristigen Wirtschaftswachstums "zwei Seiten derselben Medaille" sind.

Größere Gleichheit spielt in dem notwendigen, weltweiten Übergang hin zu nachhaltigen Volkswirtschaften eine wichtige Rolle. Ungleichheit führt zu Statuswettbewerb, was wiederum individuelle Verschuldung und Konsumverhalten antreibt,  ein Konsumverhalten, dass die Nachhaltigkeit gefährdet. Ein stärkerer, gesellschaftlicher Zusammenhalt in eher gleichen Gesellschaften bedeutet auch, dass Menschen sich häufiger für das Allgemeinwohl einsetzen – sie recyceln mehr, spenden großzügiger für die Entwicklungshilfe und liegen im Global Peace Index weiter oben. Darüber hinaus bewerten Wirtschaftsführer_innen in eher gleichen Ländern internationale Umweltabkommen höher.

Ungleichheit verringern

Einkommensunterschiede können durch eine Umverteilung über Steuern und Sozialleistungen oder durch kleinere Unterschiede zwischen den Bruttoeinkommen verringert werden. Internationale Indikatoren weisen darauf hin, dass größere Gleichheit immer vorteilhaft wirkt, unabhängig davon, welcher der beiden Ansätze angewendet wird.

In den 1970er Jahren wurden Spitzensteuersätze, die in vielen Ländern – auch den USA – bei über 80 % lagen, generell deutlich gekürzt, sodass ein Spielraum besteht, progressivere Steuersätze einzuführen. Es ist unumgänglich, sich mit Steuerparadiesen und anderen Methoden, die von reichen Personen und großen Unternehmen zur Steuerersparnis genutzt werden, zu befassen; die Geldbeträge, die Entwicklungsländer an Steuerparadiese verlieren, übersteigen jede internationale Entwicklungshilfe. Dies vergrößert nicht nur die weltweite Ungleichheit sondern bedeutet auch, dass ein größerer Anteil öffentlicher Ausgaben von Steuerzahler_innen aus niedrigen Einkommensgruppen getragen werden muss. In vielen Ländern hat das Steuersystem schon lange keine umverteilende Wirkung mehr.

Formen der Wirtschaftsdemokratie, wie Mitarbeiter_innenbeteiligung, Arbeitnehmendenvertreter_innen in Aufsichtsräten, Belegschaftsaktien, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und Genossenschaften, können den Grad der Einkommensungleichheit verringern und dazu führen, das Gleichheitsprinzip stärker in der Gesellschaft zu verankern – dies kann eher langfristige kulturelle Veränderungen bewirken als Steuermaßnahmen. Solche Wirtschaftsinstitutionen sorgen auch für eine stabilere Basis des Gemeinwesens und sind moralisch förderlich.

Bei allem Wissen über die Auswirkungen von Ungleichheit wird deutlich, dass die Entwicklung von Ungleichheit beobachtet werden muss und dass auch realistische und entschiedene Ziele gesetzt werden müssen, diese zu verringern.

Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Valeska Henze

(bereits erschienen in: Social Europe, Ausgabe Januar 2014. Die Beiträge, auf die sich dieser Aufsatz bezieht, sind zu finden in: K. Pickett, Reducing Inequality: An Essential Step For Development And Wellbeing: https://www.socialeurope.eu/2014/01/inequality-essential-wellbeing/)


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