Argumentation gegen Stammtischparolen

Ein Interview mit Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer

Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer ist außerplanmäßiger Professor an der Fakultät Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Er hat zahlreiche Bücher, Buchbeiträge und Aufsätze in Zeitschriften zur politischen Bildung verfasst. Mit seinen beiden Büchern „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ (10. Aufl.) und „Argumente am Stammtisch“ (7. Aufl.) will er die Leser/-innen befähigen, sich mit fremdenfeindlichen und rassistischen Sprüchen auseinanderzusetzen und ihnen zu widersprechen. Die entsprechenden Seminare sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz bekannt.

MuP: Herr Prof. Dr. Hufer, Sie sagen den Stammtischparolen schon seit Jahren den Kampf an und haben ein Argumentationstraining gegen Stammtischparolen entwickelt. Wie kam es dazu?
Hufer: Das ist eine lange Geschichte. Schon früh war ich entsetzt über das, was ich an Scheußlichkeiten des Nationalsozialismus erfahren habe. Gegen das Wiederaufleben der NPD in den 60er Jahren habe ich mich engagiert. Nach meinem Studium der Politikwissenschaften habe ich dann in der politischen Erwachsenenbildung gearbeitet. Dort wollte und will ich weiterhin meinen Beitrag dazu leisten, dass, um mit Adorno zu sprechen, Auschwitz sich nie wiederholt. Dafür habe ich viele Veranstaltungen und Themen ausprobiert, bis mir dann die Idee mit den Stammtischparolen kam.

MuP: Was sind Stammtischparolen und warum sind diese so gefährlich?
Hufer:. Hinter den Stammtischparolen stehen rigide, vorurteilsbeladene, feindselige Denkmuster, die sich dann in entsprechenden aggressiven, selbstgerechten und kategorischen Sprüchen entladen. Die Stammtischparolen sind per se nicht unbedingt rechtsextrem, aber es gibt fließende Übergänge vom allgemeinen Verdruss, zur Verachtung von Demokratie, zum Populismus, von dort zum Rechtspopulismus und dann in der Tat zum Rechtsextremismus.

MuP: Was macht es so schwer sich gegen Parolen und populistische Äußerungen zu wehren?
Hufer: Man ist nie darauf vorbereitet. Sie kommen plötzlich und überall – keineswegs nur an den Stammtischen in Wirtshäusern. Sie bieten einfach erscheinende Lösungen bei schwierigen Themen an. Man wird überrumpelt und gerät in die Defensive, müsste weit ausholen, um plausible Gegenargumente zu bringen. Und so schnell findet man sie in dieser Situation nicht. Die Ebenen sind gegensätzlich: Emotionalität versus Rationalität, Affekte versus Argumente, Pauschalierung versus Differenzierung, Schubladendenken versus Nachdenken. Da haben die den wesentlich schwierigeren Part, die dagegenhalten.

MuP: Warum ist es wichtig gegen Stammtischparolen zu argumentieren?
Hufer: Weil Deutschland eine demokratische und zivile Gesellschaft ist und es bleiben muss. Das muss an allen Plätzen und in allen Ecken gezeigt und ggf. verteidigt werden. Die Zahl der Menschen, die politik- und demokratieverachtend, fremdenfeindlich und rassistisch eingestellt sind, ist beträchtlich. Vorurteile und Aversionen dieser Art, oft auch Hass sind nicht nur an den Rändern verbreitet, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wer den Parolen widerspricht, schützt letztlich die Menschen, die am Ende Opfer sind. Denn es gibt fließende Übergänge von der verbal geäußerten zur physischen Gewalt.

MuP: Was gilt es beim Argumentieren gegen Stammtischparolen zu beachten?
Hufer: Konkretes Nachfragen, Pauschalierungen nicht zulassen, Widersprüche aufzeigen. Man kann auch kleine Brücken bauen, d. h nicht generell alles abwehren und in Frage stellen. Ankerpunkte ermöglichen ein Gespräch, auch wenn es zunächst keines ist. Schließlich fragen „Wie stellst Du Dir die Lösung vor?“ Wenn man da hartnäckig am Ball und am Thema bleibt, wird am Ende deutlich, wie weit die Parolenvertreter/-innen gehen. Oft merken Sie, dass sie in „Lösungen“ geraten, die schlimme Endlösungen sind. Manche denken dann nach. Das geht aber nicht bei denjenigen, die im Kern wirklich rechtsextrem eingestellt sind. Dann sollte man das Gespräch abbrechen.

MuP: Was sollte man dabei tunlichst vermeiden?
Hufer: Überheblich und besserwisserisch auftreten. Und man sollte keine Konzessionen machen, wenn es an die Substanz der Demokratie und der Menschenrechte geht. Da gibt es kein Wenn und kein Aber.

MuP: Sie haben an einer neuen Publikation „Politik wagen“ mitgewirkt. Wie kann jeder einzelne mehr Politik wagen und was gilt es dabei zu beachten?
Hufer: Indem man Politik als etwas begreift, was unser aller Leben bestimmt und regelt. Politik wird nicht nur von und in den Parteien und Parlamenten gemacht, sondern beginnt vor jeder Haustür. Eigentlich ist es ja kein Wagnis, politisch zu sein. Wer politisch denkt, findet viele Formen und Wege, sich zu artikulieren und einzubringen: Gespräche, Initiativen, Mitgliedschaften etc.

MuP: Wie findet man den Mut die eigene Meinung zu finden und zu vertreten?
Hufer: Indem man ein bisschen wie Münchhausen sich am Schopf packt und selbst aus seiner Bequemlichkeit oder auch Angst herauszieht. Da helfen Gleichgesinnte und Weggefährten. Die findet man in Bildungsveranstaltungen, Gewerkschaften, Parteien und Kirchen – ja auch in aufgeklärten Stammtischrunden.

MuP: Was empfehlen Sie Menschen die sich in ihrem Umfeld für Demokratie, Menschlichkeit und eine offene Gesellschaft einsetzen wollen?
Hufer: Hinschauen und nicht weggucken – um es in Abwandlung eines Buchtitels von Horst Eberhard Richter zu sagen: Nicht flüchten, sondern standhalten! Wir bedanken uns für das Gespräch! Hinweis: Die Äußerungen unserer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder.

Bonn, 2016