Der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Zum einen bemühte sich erstmals in der Fünften Französischen Republik der amtierende Präsident vom Parti Socialiste (PS), François Hollande, nicht um eine zweite Amtszeit.
Zum anderen hielten die beiden größten politischen Parteien – Les Républicains (LR) und die PS – Vorwahlen ab, die Republikaner im November 2016, die Parti Socialiste im Januar 2017. Mit den Republikanern setzte zum ersten Mal eine politische Partei der französischen Rechten eine Vorwahl an, die Sozialisten hatten bereits 2006 und 2011 welche organisiert. In beiden Fällen fielen diesmal vormals mächtige Persönlichkeiten durch (Alain Juppé und Nicolas Sarkozy bei den Republikanern und Manuel Valls bei den Sozialisten), und Außenseiterkandidaten sicherten sich den Sieg: François Fillon für LR und Benoît Hamon für die PS. Beide beschworen die Kernwerte ihrer jeweiligen politischen Familie und polarisierten durch die Ablehnung gemäßigter Positionen.
Parallel zu diesen Vorwahlen trat als ernsthafter Kandidat für das Präsidentenamt auch Emmanuel Macron in Erscheinung, der vor drei Jahren in der Öffentlichkeit noch völlig unbekannt war. Macron, 2014 bis 2016 Wirtschaftsminister, verließ das Kabinett, um seine politische Bewegung „En Marche!“ mit einer gemäßigten und liberalen politischen Ausrichtung ins Leben zu rufen. Mit seinen 39 Jahren könnte er der jüngste französische Präsident aller Zeiten werden. Paradoxerweise wirken angesichts dieser politischen Verschiebungen die beiden radikalen Kandidaten Marine Le Pen auf der ultrarechten und Jean-Luc Mélenchon auf der ultralinken Seite geradezu wie Fixpunkte in der politischen Landschaft Frankreichs, denn beide traten schon 2012 als Präsidentschaftskandidaten an.
Die Polarisierung des politischen Angebots
Zu den politischen Positionen der Kandidaten lässt sich dreierlei beobachten. Erstens stehen mit Macron und Fillon in dieser Wahl nur zwei von elf Kandidaten auf der wirtschaftsliberalen Seite der politischen Landschaft. Dieses Übergewicht des Staatsinterventionismus im Bereich der Wirtschaft ist und bleibt eine Besonderheit der französischen Politik. Zweitens ist in beiden Dimensionen der politischen Landschaft (der sozioökonomischen und der kulturellen) eine starke Polarisierung der Hauptkandidaten zu beobachten. Fillon und Mélenchon bilden die beiden Extreme der sozioökonomischen Dimension, während Hamon und Le Pen am ehesten die Extreme der kulturellen Dimension markieren. Jeder dieser vier Kandidaten besetzt eine spezifische und ausgeprägte Position in der politischen Landschaft, sodass die Wählerschaft aus klaren politischen Alternativen auswählen kann. Die Polarisierung der politischen Positionen und insbesondere die Polarisierung der Kandidaten aus den beiden Mainstream-Parteien (Hamon und Fillon) lässt viel Raum für einen moderaten Kandidaten. Macron bemüht sich, dieses politische Lücke zu füllen. Auf den ersten Blick ist seine Position von den anderen Hauptkandidaten weit entfernt, doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass er in der kulturellen Dimension Hamon nahesteht und in der wirtschaftlichen Fillon. Dank dieser Positionierung erreicht er eine breite Wählerschaft in der gesamten politischen Landschaft und schneidet daher in den Umfragen gut ab.
Wahlkampfdynamik
Eigentlich hätten dermaßen polarisierte und verschiedenartige Alternativen im Wahlkampf eine leidenschaftliche Debatte und ein gesteigertes Interesse der französischen Wählerinnen und Wähler nach sich ziehen müssen. Doch ungeachtet dieser Polarisierung sagen sämtliche Umfragen die schlechteste Wahlbeteiligung aller Zeiten für eine Präsidentschaftswahl voraus, noch schlechter als in der ersten Runde 2002, als der Parteichef des Front National Jean-Marie Le Pen den sozialistischen Kandidaten Lionel Jospin besiegte und in den zweiten Wahlgang gelangte. Das politische Desinteresse, das sich in den Umfragen niederschlägt, ist vermutlich eine Folge der zahlreichen Skandale während des Wahlkampfs. Seit Ende Januar waren erst Fillon und dann Le Pen in Untreueskandale verwickelt, die direkt oder indirekt mit ihrer jeweiligen Partei verquickt waren. Wie eine Seifenoper beherrschte das so genannte „Fillon-Gate“ etwa zwei Monate lang die Schlagzeilen und sorgte für dramatische Aufrufe seiner Gegenkandidaten, er möge sich aus dem Rennen zurückziehen, während seine Anhänger Medien, Richter und sogar den Präsidenten der Republik der politischen Hexenjagd bezichtigten.
Da eine klare politische Debatte fehlt, könnten die Wahlkampfdynamik und das Image der Kandidaten den Entscheidungsprozess unentschlossener Wählerinnen und Wähler stark beeinflussen: Drei Wochen vor der ersten Runde waren rund 40 Prozent unentschieden. Umfragen zeigten für die fünf Hauptkandidaten eine recht unterschiedliche Dynamik. Le Pen erzielte monatelang und ohne größere Schwankungen regelmäßig 22 bis 25 Prozent. Fillon, der Anfang 2017 in den Umfragen führte, verlor seit Bekanntwerden des Skandals fast 10 Prozentpunkte und liegt nun bei etwa 18 bis 20 Prozent. Macron, der von Fillons Niedergang und der Unterstützung durch den gemäßigten Politiker François Bayrou profitierte, zog mit Le Pen gleich und liegt derzeit ebenfalls bei 22 bis 25 Prozent. Auf der Linken erreichte Hamon nach seinem Vorwahlsieg im Januar gut 15 Prozent, ist jedoch mittlerweile auf unter 10 Prozent abgerutscht, weil er sich nicht als Anführer der zersplitterten Linken etablieren konnte. Der schwache Wahlkampf Hamons nützt dem ultralinken Kandidaten Mélenchon, der in den letzten beiden Monaten von 10 Prozent auf 18 bis 20 Prozent zugelegt hat.
Dieses Gesamtbild des französischen Präsidentschaftswahlkampfes 2017 ist von starken Schwankungen und großer Unentschlossenheit geprägt, und die anhaltende Dynamik lässt darauf schließen, dass die Wahl bis zur letzten Minute offenbleiben könnte.