Die politische Landschaft Österreichs
Lange Zeit war Österreich, wie viele andere westeuropäische Staaten auch, durch ein stabiles bipolares Parteiensystem geprägt mit der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) auf der einen und der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) auf der anderen Seite. Ab den 1980ern etablierten sich die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) und die Grünen als feste Größe abseits der beiden großen Volksparteien. In den 1990er-Jahren konnte mit der FPÖ ein rechtspopulistischer Akteur im europäischen Vergleich bereits sehr früh über 15 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen, weshalb auch von einem „Zweineinhalbparteiensystem“ die Rede war. Die FPÖ bildet das „dritte Lager“, das seine historischen Wurzeln im Nationalismus und Liberalismus hat. So schien sich die FPÖ zunächst als dritte große Partei zu etablieren, verlor um die Jahrtausendwende jedoch deutlich an Zustimmung, wodurch die Dominanz der beiden großen Volksparteien wieder stärker sichtbar wurde. Seit 2008 befindet sich die FPÖ jedoch wieder deutlich im Aufwind, was für SPÖ und ÖVP Stimmverluste bedeutet. Neben den drei traditionellen „Lager“-Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ waren lediglich die Grünen bis zur Wahl 2017 eine beständige Größe, die bis dato 31 Jahre lang im Nationalrat vertreten waren, bevor sie den Einzug in das Parlament bei der letzten Wahl verpassten. Für neu aufkommende Kleinparteien wie „Team Stronach“ oder „JETZT“ erwies sich eine langfristige Etablierung oft als schwierig. Relativ erfolgreich war bislang das Abschneiden der seit 2013 im Parlament vertretenen liberalen Partei NEOS.
Nachdem die seit 2006 andauernde Kanzlerschaft der SPÖ, die mit der ÖVP in einer Großen Koalition regierte, nach elf Jahren im Sommer 2017 durch koalitionsinterne Unstimmigkeiten und anschließende Neuwahlen endete, bildete in den letzten zwei Jahren ein national-konservatives Bündnis aus ÖVP und FPÖ die Regierungskoalition. Diese fand im Zuge der sogenannten „Ibiza-Affäre“ im Mai 2017 ein vorzeitiges Ende: Von Journalisten veröffentlichtes Videomaterial zeigt u.a. FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache im Gespräch mit einem sich als russische Oligarchin ausgebenden Lockvogel, der dubiose Investitionsmöglichkeiten in Österreich in Aussicht gestellt wurden. So schlug Strache bspw. öffentliche Aufträge als Gegenleistung für Parteispenden oder die Übernahme der größten österreichischen Zeitung vor, was ihm nach der Verbreitung des Videos den Vorwurf der Korruption einbrachte. In Folge der Veröffentlichung des Videos trat Strache zwar von seiner Position als Vizekanzler zurück. Nichtsdestotrotz zerbrach die Regierungskoalition aber nach weiteren Unstimmigkeiten. Anschließend entzog der Nationalrat zum ersten Mal in der Geschichte der 2. Republik Österreichs der Regierung das Vertrauen. Da das Parlament sich lediglich auf eine Übergangsregierung einigen konnte, wurden verfassungsgemäß Neuwahlen für den 29. September angesetzt.
Politische Inhalte im Wahlkampf erneut durch Skandale überlagert
Der folgende Wahlkampf wurde unter dem Eindruck der Ibiza-Affäre wenig inhaltsbasiert geführt. So wird der Wahlkampf durch die Berichterstattung über parteiinterne Skandale der ÖVP überschattet, wie bspw. der „Schredder-Affäre“ oder dem Vorwurf, die Partei habe die gesetzliche Obergrenze der Wahlkampffinanzierung überschritten. Auch die BTV-Affäre war ein Thema, bei dem es um eine angeblich vom damaligen Innenminister Kickl (FPÖ) eingefädelte Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ging.
Nachdem 2017 das Thema Migration noch den Wahlkampf dominierte, hat sich der thematische Fokus dieses Jahr etwas verbreitert. Neben dem aktuell medial sehr relevanten Thema Klimaschutz (z.B. Einführung einer CO2-Steuer), spielten auch soziale Themen wieder eine stärkere Rolle. Insbesondere sozialdemokratische Kernthemen wurden medial breit diskutiert: Wie kann für ausreichend bezahlbaren Wohnraum gesorgt werden? Welche Steuerpolitik ist auf der einen Seite sozial gerecht und sorgt auf der anderen Seite für den Erhalt und den Ausbau von Arbeitsplätzen? Wie kann der zunehmende Pflegebedarf nachhaltig finanziert werden? Daneben kamen Themen rund um Migration und Asyl sowie kulturelle Fragen im Bereich der Religionsfreiheit zum Tragen.
SPÖ: Klassisch sozialdemokratisches Programm mit differenzierten gesellschaftspolitischen Positionen
Seit Gründung der Zweiten Österreichischen Republik nach Ende des Zweiten Weltkriegs zählt die SPÖ zusammen mit der ÖVP zu den wichtigsten politischen Akteuren der österreichischen Parteienlandschaft und gilt als eine von zwei Volksparteien. Die Partei regierte anfangs noch als Juniorpartner in verschiedenen Koalitionsregierungen mit der ÖVP, stellte aber ab den 1970er Jahren als stärkste Kraft für 30 Jahre ununterbrochen den Bundeskanzler. Was zu Beginn mit absoluten Mehrheiten im Nationalrat noch ohne die Unterstützung anderer Parteien möglich war, musste ab 1983 durch wechselnde Koalitionspartner sichergestellt werden. So regierte von 1983 bis 1986 eine SPÖ-FPÖ Koalition (die FPÖ galt damals noch nicht als rechtspopulistische Partei), auf die bis 1999 mehrere SPÖ-geführte Bundesregierungen mit der ÖVP als Koalitionspartner folgten. Nach sieben Jahren in der Opposition folgten bis zur letzten Nationalratswahl im Jahr 2017 wieder drei SPÖ-Kanzlerschaften (Gusenbauer, Faymann, Kern) mit der ÖVP als Juniorpartner. Obwohl sich die massiven Stimmverluste der vergangenen Wahlen 2017 nicht fortsetzen, führten die Zugewinne der ÖVP und der FPÖ in Kombination mit schlechten Zustimmungswerten zur bisherigen großen Koalition zu einem Regierungswechsel in Form der ÖVP-FPÖ-Koalition. Seitdem musste die SPÖ, wie viele ihrer sozialdemokratischen Schwesterparteien in Europa, trotz diverser Skandale der Regierung sinkende Umfragewerte verzeichnen. So wird die SPÖ nach aktuellen Prognosen zwar (vermutlich) zweitstärkste Kraft hinter der ÖVP und vor der FPÖ bleiben, jedoch ist mit knapp über 20 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis für die Partei bei einer Nationalratswahl zu befürchten.
Unter der Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidatin Pamela Rendi-Wagner steht die SPÖ, wie auch die Sozialdemokratie in Europa insgesamt, vor weitreichenden Herausforderungen. Die frühere Kernwählerschaft der Partei, die Arbeiter_innen, wählen mittlerweile häufig rechtspopulistische Parteien, sodass die Stammwählerschaft heute vornehmlich aus Pensionär_innen besteht. Versuche, eine jüngere Zielgruppe zu gewinnen, gestalten sich unter dem Eindruck der Fridays-For-Future-Bewegung und den dadurch erstarkenden Grünen ebenfalls schwierig.
Trotzdem geht die SPÖ mit einem klassisch sozialdemokratischen Programm in den Wahlkampf: Neben der Forderung nach einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit bzw. der Rücknahme der Legalisierung des 12-Stunden-Arbeitstages, steht sie sowohl für die Senkung der Einkommensteuer für Geringverdienende – bei gleichzeitiger Einführung einer Erbschaftssteuer für große Vermögen – als auch für eine Obergrenze der Mietpreise. Zusammen mit der Ablehnung einer Erhöhung des Pensionseintrittsalters führen die sozioökonomischen Forderungen der SPÖ zu einer klar linken Positionierung.
Auf der gesellschaftspolitischen Achse (libertär/progressiv vs. autoritär/konservativ) lässt sich die SPÖ zwar generell auf der progressiven Seite verorten. Diese Positionierung ist aber nicht so eindeutig wie die linke Einordnung auf der sozioökonomischen Achse. Zwar bekennt sich die Partei zu progressiven Standpunkten wie einer bindenden Frauenquote auf Wahllisten, der Einführung einer CO2-Steuer, der gemeinsamen Schule für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen und zur zivilen Seenotrettung. Bei Fragen der Migrationspolitik sowie kulturellen Themen zeichnet sich jedoch ein ambivalentes Bild. Während auf der einen Seite zum Beispiel eine progressive Haltung gegenüber dem Islam eingenommen wird, stimmt die SPÖ andererseits für eine konsequente Abschiebung von straffällig gewordenen Asylsuchenden und eine Beschränkung der Zuwanderung nach Österreich (insbesondere im Bereich Arbeitsmigration). Darüber hinaus sollen sich bereits Zugewanderte an die österreichische Kultur anpassen und das Wahlrecht auf Bundesebene soll weiterhin an die österreichische Staatsbürgerschaft gekoppelt bleiben. Trotz der Breite im Bereich der gesellschaftlichen Positionen, die auch konservative Positionen umfassen, erscheint aufgrund gravierender Differenzen hinsichtlich der sozial- bzw. wirtschaftspolitischen Standpunkte auch nach der anstehenden Nationalratswahl eine Koalitionsbildung weder mit der ÖVP noch mit der FPÖ wahrscheinlich.
NEOS: Für eine progressive Gesellschaft und liberale Wirtschaftspolitik
Aus dem Stand gelang der 2012 gegründeten liberalen Partei NEOS bei der Nationalratswahl 2013 der Sprung über die Vier-Prozent-Hürde und somit der Einzug in den Nationalrat. In der Folge konnte sie ihre Position behaupten und ist aktuell sowohl weiterhin im Nationalrat als auch in fünf von neun Landtagen sowie im Europaparlament vertreten. Mit dem Wechsel an der Spitze bezeichnet sich NEOS unter der neuen Vorsitzenden Meinl-Reisinger in Abgrenzung zu extremeren Tendenzen in der Parteienlandschaft als Partei der „progressiven Mitte“. Ihre Kernwählerschaft hat NEOS hauptsächlich unter jungen Akademiker_innen und Selbstständigen, die vorwiegend in den Großstädten Österreichs beheimatet sind.
Kernanliegen der Partei sind eine Reform der Bildungspolitik, die Trennung von Kirche und Staat sowie eine allgemeine Steuersenkung. Darüber hinaus tritt sie auf der wirtschaftspolitischen Ebene für die Flexibilisierung des Renteneintrittsalters sowie für nachgelagerte Studiengebühren ein, was sie auf der sozioökonomischen Achse nach rechts „zieht“.
Auf der gesellschaftspolitischen Achse strebt NEOS klar in den progressiv-libertären Bereich. Für diese Positionierung sind bspw. die Befürwortung einer CO2-Steuer, eine Ausweitung der Parteienkontrolle durch den Rechnungshof und eine liberale Haltung in der Migrationspolitik ausschlaggebend. Zudem befürwortet die Partei klar die europäische Integration, was sich unter anderem in der Forderung nach mehr Kompetenzen für die EU im Bereich der Außen- und Klimapolitik widerspiegelt.
GRÜNE: Klimaschutz und Sozialpolitik
Unter dem Hashtag „Comeback“ wirbt die Partei „Die Grünen – Die Grüne Alternative“ für ihren Wiedereinzug in den Nationalrat, nachdem sie 2017 an der Vier-Prozent-Hürde scheiterte und somit kein Nationalratsmandat erlangen konnte. Spätestens nach dem guten Abschneiden bei der Europawahl (14%) scheint die durch parteiinterne Streitigkeiten und die Abspaltung einer Parlamentsgruppe um den Abgeordneten Peter Pilz hervorgerufene Krise beendet. Die Grünen stellen sich zu dieser Wahl gewohnt progressiv-links auf und konkurrieren so zusammen mit der SPÖ und NEOS um die Stimmen der gut gebildeten Großstädter_innen.
Unter dem Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten Werner Kogler steht das klassisch grüne Anliegen Klimaschutz klar im Vordergrund. So sind die Einführung der CO2-Steuer sowie der Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs wichtige Forderungen der Partei. In Kombination mit dem Eintreten für mehr Transparenz in der Politik, in Form von erweiterten Kontrollmöglichkeiten für den Rechnungshof, „zieht“ die Forderung nach einer liberaleren Migrationspolitik die Grünen auf der gesellschaftspolitischen Achse zum progressiven Pol. Darüber hinaus trägt auch der Einsatz für die Gleichstellung der Geschlechter durch verbindlich quotierte Wahllisten zu dieser Positionierung bei.
Im Bereich der sozioökonomischen Ebene nimmt die Partei einen Platz am linken Rand ein. Diese Positionierung begründet sich sowohl aus der Forderung der Rücknahme des umstrittenen Arbeitszeitgesetzes und der perspektivischen Verkürzung der Wochenarbeitszeit als auch aus der Befürwortung einer Mietobergrenze.
Methodik
Auf den Schaubildern in der folgenden Analyse sind die Positionen der österreichischen Parteien auf einer zweidimensionalen Karte verzeichnet. Grundlage bilden die 30 wichtigsten Aussagen über besonders relevante Politikthemen in der derzeitigen politischen Debatte. Diese Inhalte gehen aus einer gründlichen Auswertung der Parteiprogramme und des politischen (Medien-)Diskurses hervor. Jede dieser Aussagen bezieht sich auf einen politischen Inhalt, der sich als „links“ oder „rechts“ beziehungsweise als „libertär“ oder „autoritär“ einordnen lässt. Die Antworten auf diese Aussagen liegen auf einer fünfstufigen Skala: „Stimme überhaupt nicht zu“, „Stimme nicht zu“, „Neutral“, „Stimme zu“, „Stimme vollständig zu“. Die Position der Parteien zu diesen Aussagen ist jeweils entsprechend ihren offiziellen Verlautbarungen in Veröffentlichungen, Wahlkampfdokumenten und Medienauftritten kodiert.
Die Schaubilder entstanden auf Basis sämtlicher Positionen der Parteien in den beiden Dimensionen (der Links-Rechts- und der Libertär-Autoritär-Dimension). Die tatsächliche Position der Partei liegt im Zentrum der jeweiligen Ellipse. Die Ellipsen repräsentieren die Standardabweichungen der Antworten der Parteien auf alle Aussagen, die für den Aufbau der Achsen verwendet wurden. Daher ist die Ellipse von Parteien mit sowohl linken wie auch rechten politischen Inhalten auf der Links-Rechts-Achse breiter. Parteien mit sowohl libertären als auch autoritären Politikinhalten verzeichnen eine längere Ellipse auf der libertär-autoritären Achse.
Von wem wurden die Strategiedebatten erstellt?
Autoren:
Adrian Léon Thömmes - Universität Münster
Jan Philipp Tomeczeck - Universität Münster
Grafiken:
André Krouwel - Gründer von Kieskompas BV & Freie Universität Amsterdam
Yordan Kutiyski - Kieskompas BV
Projektkoordination:
Christopher Gatz - Friedrich-Ebert-Stiftung