Strategiedebatten der niederländischen Parteien

Verortung politischer Parteien in den Niederlanden

Am 15. März 2017 fanden die niederländischen Parlamentswahlen statt. Sieger ist der amtierende Premierminister Mark Rutte, von der Partei für Freiheit und Demokratie (VVD), mit 21,2 Prozent der Stimmen. Das zweitbeste Ergebnis erzielte Geert Wilders von der Partei für die Freiheit (PVV) mit 13 Prozent. Dahinter folgen die Christdemokraten (CDA) mit 12,4 Prozent, die Demokraten 66 (D66) mit 9,1 Prozent sowie die Sozialistische Partei (SP) und die Grün-Links Partei beide mit 9,1 Prozent. Die Sozialdemokraten (PvdA) kamen auf 5,7 Prozent.

Der Wahlkampf zur niederländischen Parlamentswahl 2017 war durch starke politische Polarisierung geprägt. Da traditionelle rechte Themen wie Immigration und Integration die öffentlichen Debatten beherrschten, fiel es linken Parteien schwer, ihren Botschaften in der politischen Diskussion Gehör zu verschaffen. Der Wettlauf zwischen der VVDund der immigrationsfeindlichen PVV beherrschte die Medien.

Im Vorfeld der Wahl führte die PVV die Umfragen lange an, wodurch ein umschwenken anderer Parteien auf die immigrationsfeindliche und EU-kritische Haltung der PVV zu beobachten war. Insbesondere die VVD richtete die Botschaft an „alle niederländischen Bürgerinnen und Bürger“, sich „normal zu verhalten oder zu gehen“; die SP sprach sich gegen die Migration von Arbeitskräften aus den neueren osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten aus, und die PvdA forderte, die EU solle innerhalb ihrer Grenzen „gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit“ garantieren oder den gemeinsamen Arbeitsmarkt abschaffen. Die PVV gewann zwar nicht die Wahlen, konnte jedoch die öffentliche Debatte dominieren, obwohl Wilders kaum Wahlkampf machte und sein Parteiprogramm nur eine Seite füllte. Die Immigrationsfeindlichkeit wurde zum beherrschenden Thema, da auch die beiden traditionellen konservativen Parteien (VVD und CDA) mit ähnlichen Floskeln arbeiteten und ähnliche Positionen vertraten.

Mehr als vier Jahre zuvor war aus der Parlamentswahl 2012 eine Koalition aus PvdA und VVD hervorgegangen. Während letztere ihre Wählerschaft am besten halten und 33 ihrer 41 Sitze verteidigen konnte, verloren die Sozialdemokraten 29 von zuvor 38 Sitzen. Mit ihren 9 Sitzen hat die PvdA das schlechteste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg eingefahren. Viele Wähler waren verärgert über die Zugeständnisse an den rechtsliberalen Koalitionspartner. Seit 2012 hat die Koalitionsregierung die Sozialleistungen für Arbeitslose und Behinderte gekürzt und den traditionsreichen universellen Studienzuschuss in einen Kredit umgewandelt. Zusätzlich lockerte die Regierung die Kündigungsregeln, erhöhte stufenweise das Rentenalter und kürzte die staatlichen Zuschüsse für Altersheime. Enttäuscht darüber, dass die PvdA diese Politik mittrug, wenden sich viele linke Wähler von den Sozialdemokraten ab und entscheiden sich für Mitbewerber links und sogar Mitte rechts. Die Parteien auf dem linken Spektrum erhielten zusammengenommen die geringste Stimmenzahl seit 1945. Der Niedergang der Partei war bereits 2014 offenkundig, als die PvdA in den Kommunalwahlen schwere Verluste hinnehmen und zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ihre Hochburg Amsterdam einbüßte.

Von den Wählerverlusten der PvdA haben mehrere andere Parteien profitiert. Die progressiveren Wählerinnen und Wähler wanderten zur Grünen Linken ab (GL, die 10 Sitzen gewann); traditionelle Linke wechselten zur Sozialistischen Partei (SP, die aber dennoch einen Sitz verlor), und Gemäßigte wählten die Demokraten 66 (D 66). Insgesamt verloren die linken Parteien (PvdA, SP und GL) 20 Sitze.

Der andere Koalitionspartner, die rechtsliberale VVD, erlitt ebenfalls erhebliche Einbußen, doch die Liberalen blieben stärkste parlamentarische Kraft und konnten ihren Hauptrivalen, die immigrationsfeindliche PVV und den traditionalistischen Christlich-Demokratischen Appell (CDA), eindeutig schlagen.

Die einzelnen Parteien in der Übersicht

Die strategische Lage der Sozialdemokraten (PvdA)

In den vergangenen beiden Jahrzehnten stand die PvdA einem zunehmend feindlich gesinnten rechten Parteiblock gegenüber, der einen sozialkonservativeren, illiberaleren, wirtschaftlich rechts orientierten Weg eingeschlagen hatte, weil sich mit Migrantenfeindlichkeit Wähler mobilisieren ließen. Der wichtigste strukturelle Faktor für die Schwächung der Sozialdemokraten ist der Prozess der „Individualisierung“. Die „neue“ Linke, die in den 1970er Jahren erfolgreich in Erscheinung trat, übernahm libertäre Ideen, und bald fanden Aspekte der „Liberalisierung des Individuums“ auch Eingang in das sozialdemokratische Parteiprogramm. Die niederländischen Sozialdemokraten gerieten daraufhin in eine tiefe ideologische Krise, denn das Postulat der individuellen Entscheidungsfreiheit unterminierte die traditionellen Triebkräfte linken Gedankenguts: Solidarität und Staatsinterventionismus. Die libertäre Sicht gesellschaftlicher Beziehungen war mit einer staatlichen Ausrichtung der Wirtschaft unvereinbar. Dieser ideologische Schwenk stärkte die Konservativen, die schon immer individuelle Verantwortung staatlichen Regelungen vorgezogen hatten und für diese Sicht nun keine ideologischen Widersacher mehr hatten. Die Individualisierung schwächte nicht nur die ideologische Schubkraft der PvdA, sondern erodierte auch die Identität gesellschaftlicher Schichten. Die Sozialdemokraten konnten den Klassenkampf nicht mehr politisieren und die Arbeiter nicht mehr wirtschaftlich emanzipieren, denn ein Teil der Arbeiterschicht verschwand infolge der sozialen Aufwärtsmobilität, und die Reste verteilten sich auf diverse Gruppen, unterschieden nach ethnischer Herkunft (Immigranten), Alter (Senioren ohne Rentenspruch) oder der Position auf dem Arbeitsmarkt (Erwerbsarme, Zeitarbeiter, illegale Arbeitskräfte). Da die PvdA ihre ideologischen Kernkonzepte und ihre Kernanhängerschaft eingebüßt hatte, musste sich die Partei angesichts der wachsenden Popularität liberaler und konservativer Positionen ideologisch und wahltaktisch neu ausrichten. Die Zustimmung im Volk für sozialen und wirtschaftlichen Interventionismus ging weiter zurück. Das Ende des Kalten Krieges stürzte die PvdA noch tiefer in die Existenzkrise. Nun, da der Staatsinterventionismus diskreditiert und das Gesellschaftsbild hinfällig war, orientierten sich die Sozialdemokraten zum Liberalismus hin und entwickelten die Ideologie des „Dritten Weges“. Zwar konzedierte dieser Begriff nicht unbedingt eine hierarchische Unterordnung unter den Konservatismus und den Liberalismus, doch im Ergebnis wurde linke Politik und staatlicher Interventionismus weiter delegitimiert. Das belegte auch die Wahl 2017: Die niederländische Sozialdemokratie musste ihren bis dahin schwersten Rückschlag hinnehmen, da ihre Wählerinnen und Wähler massiv zu progressiven Parteien wechselten, die ihren Schwerpunkt nicht unbedingt auf die Wirtschaftspolitik legen.

Die strategische Lage der Liberalen (VVD)

Obwohl die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie in der niederländischen Parlamentswahl 2017 acht Sitze verlor, gelang es ihr, zum dritten Mal in Folge die meisten Sitze zu erlangen. Noch nie seit dem Krieg war das Parlament dermaßen fragmentiert. Der Appell der Liberalen, eine „partizipatorische Gesellschaft“ zu errichten, in der die Bürgerinnen und Bürger ohne jede Abhängigkeit vom Staat für sich selbst sorgen, hat weite Teile der Wählerschaft angesprochen. Teile des Plans wurden bereits in der letzten Koalition initiiert: Die VVD setzte Haushaltskürzungen für Sozialhilfeleistungen und mehrere staatlich subventionierte Bereiche wie Kultur und Altenpflege durch. Im Programm stehen Steuerkürzungen und eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben, Einsparungen im Sozialstaat und die Lockerung der Kündigungsregeln. In der Regierung hat die VVD einige dieser Versprechen wahrmachen können, obwohl der Koalitionspartner PvdA bislang verhinderte, dass die Liberalen die Steuern für die höchste Einkommensstufe senkte (stattdessen wurden einige Umverteilungsmaßnahmen eingeführt). Anders als die Parteien auf dem linken Spektrum befürwortet die VVD mehr staatliche Investitionen in die Straßeninfrastruktur als in den öffentlichen Nahverkehr.

Ungeachtet ihrer liberalen Ausrichtung wendet sich die VVD entschieden gegen eine weitere Liberalisierung der Toleranzpolitik für weiche Drogen und fordert härtere Strafen auch für kleinere Vergehen. Die VVD betrachtet eine Einschränkung der Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern im Kampf gegen den Terrorismus als gerechtfertigt. Niederländische Staatsbürger, die ausgereist sind, um in Kriegsgebieten zu kämpfen, sollen nicht in die Niederlande zurückkehren dürfen. Nach wie vor steht die Partei jedoch den Rechten von Homosexuellen und der Sterbehilfe positiv gegenüber und verteidigt strikt die individuellen Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger.

Insgesamt ist die VVD zwar proeuropäisch, kritisiert aber die Vertiefung der EU-Föderalisierung. Sie unterstützt den Freihandel innerhalb der Union ebenso wie internationale Handelsvereinbarungen mit den Vereinigten Staaten und Kanada. Im Inland will die Partei die Steuern für multinationale Unternehmen nicht anheben, mit der Begründung, dass durch solche Steuerregelungen Tausende von Arbeitsplätze in den Niederlanden wegfallen würden.

Die strategische Lage der Partei für die Freiheit (PVV)

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wuchs in den Niederlanden die Fremdenfeindlichkeit, die sich zunächst in Wählerstimmen für Pim Fortuyns Lijst Pim Fortuyn (LPF) und später für Geert Wilders‘ Partei für die Freiheit (PVV) niederschlug. Die euroskeptische Partei war immer fest in den Händen ihres Gründers – und einzigen formalen Mitglieds – Geert Wilders, der früher Abgeordneter der liberalen VVD war. Die PVV zog 2006 mit 5,9 Prozent der Wählerstimmen ins Parlament ein und machte sich mit ihrer Kritik am (linken) politischen Establishment, ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Einwanderung und Multikulturalismus und ihrem Kampf gegen die vermeintliche „Islamisierung“ der Gesellschaft einen Namen. In der Parlamentswahl im Juni 2010 konnte die Partei für die Freiheit mit über 15 Prozent der Wählerstimmen die Anzahl ihrer Sitze fast verdreifachen. Die PVV unterstützte danach die Minderheitsregierung aus Christdemokraten (CDA) und Rechtsliberalen (VVD), die im Gegenzug einige ihrer Kernziele umsetzten. Unter anderem wurde der Zeitraum verlängert, den eine Person legal in Holland leben muss, ehe sie die niederländische Staatsbürgerschaft beantragen kann.

Im sozioökonomischen Themenfeld spricht sich die PVV für eine wirtschaftliche Deregulierung, Steuersenkungen und Haushaltskürzungen im öffentlichen Sektor aus. Wilders lehnte zwar eine Erhöhung des Renteneintrittsalters immer ab, kritisierte aber anfangs scharf den vermeintlich zu großzügigen Sozialstaat und trat entschieden für weniger staatliche Intervention und eine Arbeitsmarktflexibilisierung ein. Nach der Wahl 2010 jedoch vollzog die PVV in mehreren sozioökonomischen Fragen eine Kehrtwende. Die Partei forderte nun die Beibehaltung allgemeiner Sozialleistungen und lehnte die Lockerung der Kündigungsregeln ebenso ab wie die Kürzung von Arbeitslosenhilfen und die „Kommerzialisierung“ des Gesundheitswesens. Man könnte die Haltung der PVV zu staatlichen Sozialleistungen als zunehmend nativistisch bezeichnen. Die PVV setzt sich nur für Maßnahmen ein, von denen auch Reiche profitieren, und unterstützt „Beihilfen für die Mittelschicht“, etwa Zuschüsse für Studenten und für die Hypothekenzinsen von Hausbesitzern. Eine echte Umverteilung lehnt die Partei ab und vertritt eine typisch rechts orientierte Laissez-Faire-Politik mit Steuerkürzungen und Deregulierung. Darüber hinaus wendet sie sich strikt gegen jede Art von Kultursubventionen und gegen Investitionen für die Integration von Einwanderern. Die PVV präsentiert sich als Vertreter der „hart arbeitenden“ einheimischen Bevölkerung und insbesondere der Rentner. Mit diesem ideologischen Schwenk hin zu einem chauvinistischen Sozialstaatsmodell rückte die PVV weiter nach links. Ministerpräsident Mark Rutte hat die wirtschaftlichen Positionen der PVV mit denen der Sozialistischen Partei verglichen, die traditionell ein entschiedener Verfechter von Sozialleistungen und staatlichen Ausgaben war.

Die PVV wendet sich besonders seit dem Referendum über die europäische Verfassung im Jahr 2005 massiv gegen die europäische Integration und die Eurozone. Im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen 2012 und 2017 spielten die europäische Integration und der Euro in Wilders' Aussagen eine beherrschende Rolle. Wilders greift in seinen öffentlichen Auftritten die nicht gewählten „Eurokraten“ ebenso an wie „verlogene“ Südeuropäer und die Migration billiger Arbeitskräfte aus Osteuropa, die „den Niederländern womöglich Arbeitsplätze wegnehmen“. In den letzten Jahren hat sich die euroskeptische zu einer eurofeindlichen Haltung ausgewachsen, sodass sich die Partei mittlerweile für einen vollständigen „Austritt“ der Niederlande aus der Europäischen Union und der Eurozone ausspricht. Diese Haltung ist eng verzahnt mit dem Sozialstaatschauvinismus: Niederländische Bürger, so die PVV, dürften nicht unter Sparmaßnahmen leiden, während ihre Steuern unzuverlässigen Mittelmeerländern und osteuropäischen Staaten zugutekämen.

Die strategische Lage der Christdemokraten (CDA)

Der Christlich-Demokratische Appell (CDA) ging 1977 aus drei kleineren christlichen Parteien hervor, die ihre Kräfte bündelten, um bessere Wahlergebnisse zu erzielen. Die Partei war seither bis auf dreimal immer in Regierungsbeteiligung^.

In den 1980er und 1990er Jahren spielte der CDA seine christliche Identität herunter, um sich an den vorherrschenden neoliberalen Trend anzupassen. In letzter Zeit allerdings hat die Partei eine neue moralische Agenda entwickelt und bemüht sich darum, nicht-materielle Themen stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Auf der Grundlage christlich demokratischer Prinzipien betont der CDA die Verantwortung des Einzelnen, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Ein Schwerpunkt der Partei ist die Religionsfreiheit und die Selbstorganisation in religiösen Institutionen. Aufgrund des starken Wettbewerbs ultrakonservativer Konkurrenten wendet sich der CDA jedoch zunehmend gegen die Einwanderung aus überwiegend muslimischen Ländern und weist auf die Schwierigkeiten bei der Integration nicht-europäischer Ausländer hin. Dem CDA zufolge sollte sich die Religion nicht auf die Privatsphäre beschränken, sondern mit seinen traditionellen Normen und Werten die Gesellschaft leiten.

In Hinblick auf persönliche Freiheiten gehören die Christdemokraten zum konservativen Teil der Parteienlandschaft in den Niederlanden. Obwohl zahlreiche liberale Reformen wie die Legalisierung der Sterbehilfe, der Prostitution und der Schwulenehe in einer Regierung unter Führung des CDA umgesetzt wurden, lehnt die Partei derzeit die Sterbehilfe und die Ausweitung der Homosexuellenrechte ab und fordert eine Schließung von Coffee Shops, in denen Marihuana legal verkauft wird. Die Partei genießt starken Rückhalt unter den Landwirten und erzielt ihre besten Wahlergebnisse in Kleinstädten und ländlichen Gebieten. Somit vertritt der CDA die Interessen der Landwirte im Parlament. Die Christdemokraten unterstützen marktorientierte Wirtschaftsreformen und stimmen durchgängig für Kürzungen von Sozialleistungen.

Die strategische Lage der Demokraten (D66)

Die sozialliberale Partei Demokraten 66 (D66) wurde 1966 mit dem Ziel gegründet, das politische System der Niederlande zu demokratisieren, weil damals traditionelle religiöse und ideologische Trennlinien das Land tief spalteten. D66 besteht aus zwei Strömungen: radikalen Demokraten und progressiven Liberalen. Anfangs forderte die Partei eine radikale Demokratisierung der niederländischen Gesellschaft und Politik durch mehr direkte Demokratie und ein Mehrheitswahlrecht. Mit der Zeit wurden ihre Reformvorschläge für das Wahlsystem moderater, und derzeit favorisiert die D66 ein personalisiertes Verhältniswahlrecht nach deutschem Vorbild. Mit den Forderungen nach einer radikalen Demokratisierung ging eine pragmatische Haltung einher. Die D66 ging daher mit allen Parteien der gemäßigten Linken und Rechten verschiedene Regierungskoalitionen ein.

Seit sich die Partei um die Jahrtausendwende ein explizit progressives liberales Image zulegte, hat der progressive Flügel der D66 hat an Einfluss gewonnen. Er vertritt starke libertäre Positionen in Fragen persönlicher Freiheiten – als Juniorpartner einer Koalition war D66 federführend an der Legalisierung weicher Drogen, der Sterbehilfe, der Schwulenehe und der Prostitution verantwortlich.

In wirtschaftlichen Fragen sprach sich die Partei ursprünglich für eine Kombination aus Marktwirtschaft und staatlicher Intervention aus, hat sich aber im Lauf der letzten Jahrzehnte nach rechts bewegt. D66 tritt heute für eine stärkere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und Steuerkürzungen für die Unter- und Mittelschicht ein. Gleichzeitig fordern die Sozialliberalen Mehrausgaben für Bildung und Innovation und befürworten eine Deregulierung des Bildungssektors. Auch die Umwelt ist für D66 ein wichtiges Thema: Die Partei befürwortet mehr Investitionen in nachhaltige Energie. In der Vergangenheit hat sich D66 für eine marktorientierte Wirtschaftsreform des Sozialhilfe- und Gesundheitssektors eingesetzt, unter anderem für eine Reduzierung der Frühverrentungen, eine Reform der Behindertenhilfe und eine Verstärkung der Marktanreize im niederländischen Gesundheitssystem.

D66 unterstützt entschieden und konsequent die europäische Föderalisierung und fordert eine Vertiefung der europäischen Kooperation in Themenbereichen wie Umwelt, Einwanderungspolitik und Außenpolitik.

In der Immigrationsfrage befürwortet die Partei die Aufnahme von Asylsuchenden aus Kriegsgebieten und eine Aufstockung öffentlicher Investitionen in Integration und Bildungskurse für Immigranten.

Die strategische Lage der Grün-Links Partei (GL)

Die Grünen Linken (GroenLinks) sind eine progressive Umweltpartei, die 1989 aus einem Zusammenschluss von vier linken Parteien hervorging, unter ihnen Kommunisten und radikale Christen. Die Partei erreichte 2017 mit vierzehn Parlamentssitzen ihr bislang bestes Ergebnis. Sie ist nun die größte linke Partei im Parlament und hat bereits ihre Bereitschaft erklärt, zum ersten Mal in ihrer Geschichte in eine Koalition einzutreten. Da jedoch die Linke insgesamt in Trümmern liegt, dürfte das eine schwierige Aufgabe sein.

Da für GroenLinks die ökologische Stabilität wichtiger ist als das Wirtschaftswachstum, setzt sie sich für Maßnahmen ein, mit denen Umweltverschmutzung, Ressourcenabbau und Klimawandel zurückgefahren werden können, auch wenn sich das kurzfristig wirtschaftlich negativ auswirkt. Der Partei ist bewusst, dass eine nachhaltige Wirtschaft den materiellen Konsum einschränken würde, und daher fordert sie eine Einkommensumverteilung, um die schlimmsten Folgen abzufedern. Sie strebt eine Sozialstaatsreform an, um finanzielle Nachhaltigkeit sicherzustellen, ebenso wie eine offene Gesellschaft und den Ausbau der europäischen Kooperation. Die wachsende Bedeutung des Themas Einwanderung hat die Position der GL in dieser Frage nicht beeinflusst: Die Grünen zählen zu den entschiedensten Verfechtern des Multikulturalismus und wehren sich gegen die monokulturellen Positionen rechtskonservativer Populisten.

Die strategische Lage der Sozialistischen Partei (SP)

Die SP wurde in den 1970er Jahren mit einem maoistisch beeinflussten Parteiprogramm gegründet, gelangte aber erst 1994 mit 1,3 Prozent der Stimmen ins Parlament. In dieser Zeit hatte sich die SP bereits Schritt für Schritt von ihren kommunistischen Ursprüngen entfernt und war nunmehr eher eine radikal linke Protestpartei. Ende der 1990er Jahre schwächte die Partei ihr ideologisches Profil und auch ihre Feindseligkeit gegenüber dem politischen Establishment weiter ab, auch wenn sie ihr Protestimage nicht vollständig ablegte. Das beste Wahlergebnis erlangte die SP bei der Parlamentswahl 2006, als sie über 16 Prozent auf sich vereinte und drittstärkste Kraft im Parlament wurde. Vier Jahre später kam sie auf etwas weniger als 10 Prozent der Stimmen. Obwohl die SP vor der Parlamentswahl 2012 monatelang auf einen historischen Sieg zuzusteuern schien, führte der starke Wettbewerb durch die Sozialdemokraten dazu, dass sie gegenüber 2010 einen weiteren leichten Verlust hinnehmen musste: Die SP erhielt 9,6 Prozent der Stimmen.

Die Sozialisten setzen sich entschieden für einen universellen Sozialstaat und gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens ein. Sie stimmen im Parlament konsequent gegen sämtliche Einsparungen in der Sozialhilfe und lehnen auch Selbstbehalte in der Krankenversicherung ab. Die SP befürwortet weitere Steuererhöhungen für die höchsten Einkommensstufen, um staatliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Wohnungsbau zu erhöhen.

Anfang der 1980er Jahre unterstützte die SP die einwanderungsfeindliche Politik und veröffentlichte eine Broschüre, in der sie Immigranten (gastarbeiders) drängte, die niederländische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder in ihr Heimatland zurückzukehren. Um eine breitere linke Wählerschaft anzusprechen, schwächte die SP diese Haltung ab und äußerte sich in den vergangenen Jahren kaum einwanderungskritisch. Die Arbeitsmigration aus Mittel- und Osteuropa sieht die SP dennoch nach wie vor skeptisch, weil sie soziale Auswirkungen des erhöhten Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt und ein Absinken der Löhne befürchtet. In der Innenpolitik verteidigt die Partei die Rechte ethnischer Minderheiten und setzt sich für eine Gleichbehandlung aller niederländischen Staatsbürger ein, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft oder Religion. Die Sozialisten befürworten großzügige Hilfen für Entwicklungsländer und lehnen daher jegliche Kürzungen in diesem Bereich ab.

Obwohl die SP ihre Kritik an der Europäischen Union in Grenzen hält, lässt sie sich dennoch als euroskeptisch charakterisieren. Die Partei äußerte sich besorgt über den angeblich neoliberalen Charakter der EU und fürchtet in Hinblick auf die Arbeitsbedingungen und die Sozialpolitik einen „Wettlauf nach unten“.

Methodik und Autoren

Wie sind die Sdchaubilder aufgebaut?

Auf dem Schaubild oben sind die Positionen der niederländischen Parteien auf einer zweidimensionalen Karte verzeichnet. Grundlage bilden die 30 wichtigsten Aussagen über besonders relevante Politikthemen in der derzeitigen politischen Debatte. Diese Inhalte gehen aus einer gründlichen Auswertung der Parteiprogramme und des politischen (Medien-) Diskurses durch ein Team aus Wissenschaftlern und Experten hervor. Jede dieser Aussagen bezieht sich auf einen politischen Inhalt, der sich als „links“ oder „rechts“ beziehungsweise als „libertär“ oder „autoritär“ einordnen lässt. Die Antworten auf diese Aussagen liegen auf einer fünfstufigen Skala: „Stimme überhaupt nicht zu“, „Stimme nicht zu“, „Neutral“, „Stimme zu“, „Stimme vollständig zu“. Die Position der Parteien zu diesen Aussagen ist jeweils entsprechend ihren offiziellen Verlautbarungen in Veröffentlichungen, Wahlkampfdokumenten und Medienauftritten kodiert. Alle größeren Parteien wurden zudem gebeten, sich selbst einzuordnen und Auszüge aus ihrem Parteiprogramm oder andere offizielle Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Diese Selbstzuordnungen der Parteien wurden anschließend mit denen der Experten verglichen. Diskrepanzen wurden in mehreren Arbeitsgängen an die Parteien zurückgemeldet, bis über die endgültigen Positionierungen Klarheit und Zustimmung herrschte.

Die Karte entstand auf Basis sämtlicher Positionen der Parteien in den beiden Dimensionen (der Links-Rechts- und der Libertär-Autoritär-Dimension). Die tatsächliche Parteiposition liegt im Zentrum der jeweiligen Ellipse. Die Ellipsen repräsentieren die Standardabweichungen der Partei-Antworten auf alle Aussagen, die für den Aufbau der Achsen verwendet wurden. Daher ist die Ellipse von Parteien mit sowohl linken wie auch rechten politischen Inhalten auf der Links-Rechts-Achse breiter. Parteien mit sowohl libertären als auch autoritären Politikinhalte verzeichnen eine längere Ellipse auf der Libertär-Autoritären Achse.

Von wem wurden die Strategiedebatten Frankreich erstellt?

Texte und Schaubilder:

André Krouwel - Gründer von Kieskompas BV & Freie Universität Amsterdam

Oscar Moreda Laguna - General operations manager - Kieskompas BV

Yordan Kutiyski - Analyst - Kieskompas BV

Projektkoordiantion:

Oliver Philipp - Friedrich-Ebert-Stiftung

Arne Schildberg - Friedrich-Ebert-Stiftung

Strategy debates of the Dutch political parties

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