Die Labour Party hat in den letzten Jahren Erschütterungen erfahren wie selten zuvor in ihrer Geschichte. Die langwierige Verarbeitung des Erbes (und der negativen Auswirkungen) von Tony Blairs Parteivorsitz dauert auch unter dem dritten Nachfolger an. Unter der Führung von Tony Blair bewegte sich Labour in Richtung des politischen Zentrums und schlug einen moderateren „dritten Weg“ ein, um sich von einer traditionelleren Vorstellung des Sozialismus zu distanzieren. Diese Strategie hat mit drei aufeinanderfolgenden Wahlsiegen und nachfolgenden Labour-Regierungen zu einem beispiellosen Erfolg für die Partei geführt. Allerdings wurde auch zunehmend ein Mangel an politischer Identität bemängelt. Bei der Wahl 2010 hat die Labour Partei, unter der Führung von Gordon Brown, ihr bisher schlechtestes Wahlergebnis der Nachkriegszeit hinnehmen müssen. Auch bei der darauffolgenden Wahl 2015 hat die Labour Party unter Ed Miliband eine Wahlniederlage erlitten.
Während Gordon Brown nur wenige Schritte zurück zu einer eher traditionell sozialistischen Parteilinie unternahm, haben Ed Miliband und vor allem Jeremy Corbyn stark gegengesteuert und auf ihre jeweils eigene Art die Programmschwerpunkte von „old Labour“ gestärkt: soziale Gerechtigkeit, Wohlstandsverteilung und staatliche Intervention. Diese Umorientierung löste jedoch gewisse Spannungen aus, so dass Jeremy Corbyn zwar eine starke Anhängerschaft in der Partei hat, aber bei einem Großteil der Parlamentsfraktion über keinen großen Rückhalt verfügt.
Man darf allerdings die politische Neuausrichtung unter Corbyn keinesfalls überschätzen. Das Wahlprogramm 2017 unterscheidet sich nicht grundlegend von Milibands. Die Rhetorik hat sich verändert und spiegelt Corbyns politischen Stil wieder, der sich aus seiner langen Erfahrung als Hinterbänkler und Rebell speist. Diese Sprache schlägt sich teilweise, wenn auch in abgeschwächter Form, im Wahlprogramm nieder, etwa in der Forderung nach der Abschaffung von Atomwaffen, der Wiederverstaatlichung bestimmter Branchen oder sogar einer Forcierung des Brexit.
Doch diese europäische Frage ist und bleibt einer der problematischsten politischen Inhalte der Partei. Das drückt sich in Labours ambivalenter Haltung aus, die wiederum die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Partei widerspiegelt. Einerseits sieht man den Austritt aus der EU als Problem für das Vereinigte Königreich – in Hinblick auf Arbeitsplätze und soziale Sicherheit –, andererseits als Chance für die Erneuerung sozialer Werte im nationalen Format. Infolge dieser Verwirrung tut sich Labour schwer, die konservative Regierung in punkto Verhandlungen zur Verantwortung zu ziehen und ihr eigenes Profil als mögliche Regierungspartei zu schärfen.
Ein besonderer Schwachpunkt ist die Wirtschaftspolitik. Zwar konnte die Partei die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den immer offener zutage tretenden Auswirkungen der Sparpolitik seit 2010 nutzbar machen, doch dem stehen Befürchtungen gegenüber, eine Labour-Regierung könnte zum keynesianischen Prinzip „Steuern eintreiben und ausgeben“ zurückkehren, wie sie es zuletzt in den 1970er Jahren praktizierte. Wenig deutet darauf hin, dass sich die Partei mittlerweile auf die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten eingestellt hat, die Globalisierung, Digitalisierung und all ihre Verwerfungen mit sich gebracht haben. Da in der Parteiführung wiederum die modernisierende Rhetorik eines Tony Blair fehlt, wird Labour von seinen Gegnern gern als Verfechter einer längst untergegangenen Ordnung dargestellt.