In Berlin zeigte Premierministerin Jacinda Ardern, wie Neuseeland neue Visionen für eine positive sozialdemokratische Politik entwickelt.
Derzeit steht es um die Sozialdemokratie vielerorts schlecht. Neue Impulse, wie ein gelungener Richtungswechsel aussehen könnte, liefert ausgerechnet der Inselstaat am anderen Ende der Welt: In Neuseeland ist es Jacinda Ardern mit 37 Jahren gelungen, zur jüngsten Premierministerin der Welt gewählt zu werden und nebenbei der Labour-Partei neuen Schwung zu verleihen. Die sich selbst als "Feministin" bezeichnende Regierungschefin hat im Pazifikstaat eine regelrechte "Jacindamania" ausgelöst.
Jacinda Ardern auf Europa-Reise: Macron, Merkel, Friedrich-Ebert-Stiftung
Während ihrer Europa-Reise besuchte die Neuseeländerin nach Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel auch den Berliner Sitz der Friedrich-Ebert-Stiftung. Im Rahmen der vom FES-Referat "Internationale Politikanalyse" veranstalteten Gesprächsreihe "Eminent Lecture Series – Mehr soziale Demokratie für Europa" hielt sie einen Vortrag zum Thema "Progressive and Inclusive Growth: Sharing the Benefits." Der Auftritt der Premierministerin Ardern traf auf großes Interesse bei den Zuhörer_innen, darunter Bundestagsabgeordnete, Wissenschaftler_innen, Journalist_innen sowie Vertreter_innen von Ministerien, Unternehmen und des diplomatischen Korps.
Das Wohlergehen von Mensch und Umwelt steht im Mittelpunkt
In seiner Begrüßungsansprache bezeichnete der Vorsitzende der FES, Ministerpräsident a.D. Kurt Beck, die Regierungschefin als bestes Beispiel, dass der Erfolg sozialdemokratischer Parteien auch vom Mut zu Neuem abhängt. In der anschließenden Rede bestärkte die Premierministerin ihre bisher eingeschlagene politische Richtung, indem sie betonte, alle Bestrebungen ihrer Regierungskoalition seien von einer Agenda für ein besseres Leben für alle Menschen – insbesondere für die Schwächsten – angetrieben. Ihnen Sicherheit zu geben, vor allem sichere Arbeit und Wohnungen, aber auch eine Zukunftsperspektive für die Jüngeren, sei Schwerpunkt ihrer Politik. Zudem sollen positive Bedingungen für eine wachsende und integrative Wirtschaft und besseren Umweltschutz geschaffen werden: "Putting the wellbeing of people and the wellbeing of our environment at the centre of what we do."
Arderns politische Agenda: Klimaschutz, Handel, Rechte der Arbeitnehmer_innen
Im Sinne einer solchen Agenda werde Neuseeland im kommenden Jahr als erste Nation der Welt einen Wohlstandsindex einführen, der Fortschritt und Wachstum neben dem traditionellen Indikator des Wirtschaftswachstums auch anhand des Wohlergehens der Menschen und der Umwelt misst. Ihre vorrangigen politischen Ziele, wie der Kampf gegen die Klimaverschlechterung, die Wahrung von Arbeitnehmerrechten, der Schutz knapper Bodenschätze oder die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung, können nach Aussage von Jacinda Ardern nur Hand in Hand mit einer wohldurchdachten Handelspolitik erreicht werden. Zur derzeitigen Eskalation in den globalen Handelsbeziehungen bezog sie klar Stellung, indem sie betonte, dass es in einem möglichen Handelskrieg nur Verlierer geben könne: "There are no winners in trade wars – only different degrees of losing, with the small and vulnerable inevitably losing the most." Stattdessen plädierte sie für ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union und untermauerte, dass eine starke transatlantische Partnerschaft mit Deutschland von enormer Bedeutung für Neuseeland sei.
Hoffnung geben statt Angst machen – ein Erfolgsrezept auch für Europas Sozialdemokratie?
Das abschließende Gespräch wurde von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil moderiert, in der über Twitter gestellte Fragen von der Premierministerin beantwortet wurden. Auf die Frage, welchen Ratschlag sie den derzeit in der Krise steckenden sozialdemokratischen Parteien Europas geben könne, betonte sie die Einzigartigkeit der jeweiligen nationalen Parteien. Ihre eigene Labour-Partei habe sich schlicht auf das Wesentliche besonnen: Sowohl die Wahlkampfthemen Wohnungsbau, Arbeitsmarkt und Umweltpolitik als auch das Versprechen, den Menschen Hoffnung zu geben, waren ausschlaggebend für den Wahlsieg. Genau diese Formel des Positiven könnte nach neun Jahren Opposition und in Zeiten von Wahlerfolgen rechtspopulistischer Parteien, die mit Parolen der Angst hausieren gehen, das Zünglein an der Waage gewesen sein. Sozialdemokrat_innen in ganz Europa können sich derzeit einiges von Neuseeland abschauen.