Durch Barrierefreiheit Engagement ermöglichen!

Ein Interview mit Julia Maiano

 

 

Julia Maiano engagiert sich im Bundesvorstand der AG Selbst Aktiv, einer Arbeitsgemeinschaft der SPD, die sich für die Belange von Menschen mit Behinderungen einsetzt. Auch auf Bundes-, Landes-, und kommunaler Ebene arbeitet sie zu Themen rund um Inklusion, Teilhabe und Mitbestimmung. Zu ihrem Engagement ist sie durch das Erleben zahlreicher Barrieren gekommen. Sie selbst nutzt nach einem Unfall im Jahr 2004 einen Rollstuhl. 

MuP: Julia Maiano, Sie setzen sich für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ein und damit ja auch für die Themen Teilhabe, Selbstvertretung und Barrierefreiheit. Was machen Sie konkret? Wo und wie engagieren Sie sich?

Julia Maiano: Ich bin im Bundesvorstand, der AG Selbst Aktiv. Das ist eine Arbeitsgemeinschaft der SPD, die sich für Belange von Menschen mit Behinderung einsetzt. Hier bin ich federführend in den Bereichen Wohnen und andere Lebensformen, Mobilität und Verkehr und inklusive Familien und arbeite in den Bereichen Arbeit und Rente und Gesundheit und Pflege mit. Hier gibt es aktuell sehr viele Gesetzesänderungen im Bundestag und da achten wir darauf, dass unsere Belange Beachtung finden.

Dasselbe mache ich auch im Bezirksvorstand der AG Hessen Selbst Aktiv und Hessen-Süd auf Länder-Ebene, wobei da es aktuell noch etwas schwieriger ist, weil wir in der Opposition sind. In unserer Partei wird unsere Arbeit zwar bisher gut aufgenommen, aber im Landtag kommen die Anträge aktuell nicht so gut rüber. Und dann bin ich auch noch im Unterbezirk der SPD Wetterau, und da achte ich natürlich auch darauf, dass Inklusion immer mitbedacht wird.

MuP: In Bezug auf Ihr kommunalpolitisches Engagement, welchen Barrieren begegnen Sie da? Was sind die größten Herausforderungen?

Julia Maiano: Meine Kommunalpolitik findet ja im ländlichen Raum statt. Und da sind die Bus- und Zugverbindungen wirklich die größten Herausforderungen. Auch sind viele öffentliche Veranstaltungen, bei denen man gerne vor Ort dabei wäre, nicht barrierefrei. Es fehlt an Parkmöglichkeiten und barrierefreien Toiletten, es gibt barriereunfreundliche Untergründe wie Schotter oder Wiesen. Und in den Gebäuden gibt es dann viele Stufen, wie zum Beispiel auch in unserer Geschäftsstelle in der Wetterau – da haben wir leider auch eine Treppe und müssen deshalb unsere Sitzungen außerhalb stattfinden lassen. Ein schneller Umbau oder andere Lösungen sind leider nicht so einfach möglich, da es ein Mietobjekt ist.

Dann gibt es auch oft Probleme mit der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen und daraus resultierendem diskriminierenden Verhalten. Ich bin beispielsweise Co-Vorsitzende im Fraktionsvorsitz und wenn wir zusammen unterwegs sind, stelle ich eine Frage und mein Co-Vorsitzender bekommt dann die Antwort oder die Gegenfrage gestellt. Wenn ich mich in einem Gespräch befinde, stellen sich Menschen oft vor mich – unterbrechen mich also – und reden einfach mit der Person weiter, mit der ich gerade im Gespräch war. Ich habe dann oft nur noch einen Hintern im Blickfeld. Und später kommt dann „Ach Entschuldigung, ich hab dich gar nicht gesehen.“ Das ist schon wirklich frech und auch diskriminierend.

MuP: Wie kann die Kommunalpolitik inklusiver und Barrieren abgebaut werden? Wie können sich mehr Menschen mit Behinderungen einbringen?

Julia Maiano: Ich persönlich fühle mich innerparteilich sehr ernst genommen und respektiert. Bei vielen anderen Menschen mit Behinderungen ist das aber nicht der Fall, besonders wenn es um geistige Behinderungen geht. Hier wird oft angenommen, dass die Person keine Ahnung hat und nichts weiß. Das ist aber de facto falsch. Gerade diese Menschen bauen sich, wenn sie Interesse an etwas haben, einen unglaublichen Wissensschatz auf und leisten sehr viel. Es wird aber leider nicht so wahrgenommen. Der erste Schritt wäre, an der Wahrnehmung zu arbeiten, damit es zu mehr Akzeptanz und Respekt kommt. Der zweite Schritt wäre, bei Veranstaltungen auf Barrierefreiheit zu achten. Da geht es zum einen natürlich darum, dass überhaupt alle teilnehmen können. Es geht aber auch um scheinbare Kleinigkeiten, wie beispielsweise ein höhenverstellbares Pult. Ich habe auf dem Landesparteitag eine Rede gehalten und es gab keine Rampe zur Bühne und kein Pult, das ich nutzen konnte. Und dann ist man da mit dem Mikrofon in der Hand und die Zettel liegen auf dem Schoß. Das ist schon sehr kontraproduktiv und es sieht auch nicht sehr professionell aus. Meiner Meinung nach gehört es auch zum respektvollen Umgang, dass man seine Reden nicht mit Fremdwörtern spickt. Viele Politiker*innen übertreffen sich ja mit Fremdwörtern. Da haben schon hochstudierte Menschen Probleme, gedanklich mitzukommen.

Und dann sollte man Menschen mit Behinderungen auch mehr zutrauen und einfach auch mal machen lassen. Auch wenn ich denke „Also das würde ich mir jetzt aber nicht zutrauen“ dann sollte diese Grenze, die ich selbst im Kopf habe, doch bitte nicht auf den Menschen mit Behinderung übertragen werden. Der hat diese Grenze wahrscheinlich gar nicht. Und der möchte auch an seine Grenzen gehen können und selbst entscheiden, was möglich ist und was nicht. In unserer Gemeinschaft sollte außerdem ernsthaft versucht werden, Menschen mit Behinderungen zu inkludieren, also ihnen zuzuhören und auch mal anzusprechen und ihnen höhere Positionen zuzutrauen, auch wenn dieser Mensch nicht perfekt ist.

MuP: Der dritte Teilhabebericht der Bundesregierung hat festgestellt, dass Menschen mit Behinderung im Engagement-Bereich weiterhin unterrepräsentiert sind. Was sind Gründe dafür?

Julia Maiano: Wir neigen durch unsere Vergangenheit dazu, Menschen, die anders sind, zu verstecken oder auch zu exkludieren. Wir werden gerne zur Show gestellt aber bekommen keine Stimme, wo es nötig ist. Und wie schon erwähnt: Es wird uns schlichtweg zu wenig zugetraut und unsere Meinung wird auch oft nicht akzeptiert. Wir müssen auf jeden Fall viel sichtbarer werden und das schon von klein auf. Deswegen bin ich auch gegen Förderschulen. Wir haben ganz tolle Inklusionsarbeit in den Kindergärten. Und wenn es in Richtung Schule geht, werden die Kinder getrennt. Unser Bundesvorstand von der AG Selbst Aktiv ist außerdem schon länger innerparteilich für eine Behindertenquote. In jedem Betrieb hat man eine Behindertenquote, in der Politik wird es aber leider nicht beachtet. Das würde natürlich unsere Sichtbarkeit wesentlich erhöhen und es wäre auch ein Ansporn für andere, sich dementsprechend zu engagieren.

MuP: Welche weiteren Veränderungen braucht es, um Menschen mit Behinderung in ihrem Engagement zu stärken?

Julia Maiano: Man sollte die betroffenen Menschen wirklich mit ins Boot holen und auf sie hören. Sie sind die Expert*innen auf diesem Gebiet und sollten deshalb auch in höheren Positionen gestärkt und ermutigt werden. Menschen ohne Behinderungen sollten nicht darüber entscheiden, was man mit einer Behinderung kann oder nicht. Das sollte die jeweilige Person immer selbst entscheiden.

MuP: Würden Sie sagen, dass sich durch die Verlagerung von Aktivitäten ins Digitale während der Corona-Pandemie neue Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen ergeben haben?

Julia Maiano: Es hat wirklich einen Schub gegeben, was zum Beispiel Onlinesitzungen angeht. Es finden auch jetzt immer noch viele Sitzungen online statt. Natürlich haben Menschen mit Behinderungen hier mehr Möglichkeiten, daran teilzunehmen. Das Problem ist aber meistens, dass dann auch bestimmte Menschen wieder ausgeschlossen sind. Wenn es beispielsweise keine Untertitel gibt oder keine Gebärdendolmetscher*innen. Auch hybride Veranstaltungen gab es vorher kaum – das ist natürlich toll! Aber all diese Veränderungen sind auf den Online-Bereich begrenzt. Ansonsten hat sich nicht wirklich etwas verändert. Und einige Dinge haben sich sogar verschlechtert. Mir ist beispielsweise aufgefallen, dass vor der Pandemie große Veranstaltungen auch an großen Veranstaltungsorten stattfanden. Heute wird es gerne etwas kleiner gehalten, schließlich kann die Veranstaltung ja auch hybrid angeboten werden. Je kleiner die Orte, desto barriereunfreundlicher sind sie allerdings in der Regel. Das ist dann plötzlich ein Raum im ersten Stock ohne Aufzug und alle, die da nicht reinpassen oder gar nicht erst hochkommen, die können sich ja online zuschalten. Das nimmt vielen Menschen die Möglichkeit, vor Ort mit dabei zu sein, obwohl sie es vielleicht gerne wollten.

Mup: Haben Sie Tipps für Non-Profit-Organisationen, die sich inklusiver aufstellen wollen? Was können erste Schritte sein?

Julia Maiano: Ein erster Schritt ist es, offen auf Menschen mit Behinderungen zuzugehen und sie anzusprechen, Fragen zu stellen. Und dann auch hinterher zu sein, dass ihre Meinung wirklich gehört und umgesetzt wird. Und natürlich Barrierefreiheit! Interviews untertiteln beispielsweise oder die Sprachwahl einfach halten und den Menschen dadurch das Gefühl geben, dass sie willkommen sind. Ich glaube, das ist das Wichtigste. Viele Menschen mit Behinderungen möchten sich vielleicht gerne engagieren, haben aber mittlerweile nicht mehr den Mut dazu, da sie in der Vergangenheit so viel Negatives erlebt haben. Wenn aber jemand auf sie zukommt und ihnen die Chance gibt, zu sagen, was sie möchten, dann engagieren sie sich meistens sehr gerne. Und diese Chance sollte man den Menschen auf jeden Fall lassen. Also das ist der beste Tipp eigentlich, um mehr Menschen zum Mitmachen zu bewegen. Und wenn dann einige angefangen haben, sich zu engagieren, dann rücken auch andere nach, weil sie sehen „Oh, guck mal, wir werden ernst genommen und guck mal, hier wird unsere Stimme gehört“.  Und so beteiligt man sich dann auch gerne.
 

Wir bedanken uns für das Interview!       

Hinweis: Die Äußerungen unserer Gesprächspartner*innen geben deren eigene Auffassungen wieder.

Dieses Interview wurde verschriftlicht und redaktionell überarbeitet. Bonn, 2023

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