Populist_innen kritisieren Regierungen nicht einfach nur, sondern bezeichnen die eigene Position als einzig wahre. Durch diesen Alleinvertretungsanspruch werden andere Parteien und Positionen als illegitim abgelehnt. Diesen Antipluralismus kleiden Populist_innen zwar in die Idee einer „Vereinigung des Volkes“, üben ihn aber aktiv in einem Kulturkampf gegen die „Feinde des Volkes“ aus.
Liberale reagierten auf diesen Antipluralismus mit einer eigenen Strategie des Ausschlusses populistischer Akteur_innen und scheiterten damit doppelt. Zum einen unterstützte man so die These, dass die Eliten sich nicht um die Belange der Bürger_innen kümmern wollen. Zum anderen verweigerte man den Wähler_innen des Populismus die Repräsentation. Wenn man aber die Debatte mit Populist_innen meidet, kommt man auch nicht über möglicherweise berechtigte Anliegen ins Gespräch. Hillary Clinton bezeichnete zum Beispiel Trump-Wähler_innen als erbärmlich und unrettbar. Sie negierte so die Möglichkeit, dass auch diese Bürger_innen ihre Meinung wieder ändern könnten und tappte in die Falle der Populist_innen: Sie verhielt sich symmetrisch, indem sie sie ebenso delegitimierte und ausschloss, wie es Trump gegenüber den Liberalen tat.
Auf diese Weise konnten Populist_innen liberale Eliten, Globalisten und Kosmopoliten als Feindbild gegenüber der Nation etablieren. Sie stilisierten einen Kulturkampf, den nicht nur Rechte, sondern auch Liberale in widersprüchlichen Verallgemeinerungen beschrieben: Darin stehen die kosmopolitischen „anywheres“, die höher gebildet, mobiler und reicher sind, den kommunitaristischen „somewheres“ gegenüber. Die „somewheres“ sind in ihrer Heimat verwurzelt, denken eher nationalistisch und neigen deswegen eher zu Trump oder dem Brexit.
Zitat:
„Eliten darf, ja muss man oft kritisieren. Dabei aber immer gleich das Internationale (oder gar eine philosophische Position wie Kosmopolitismus) mit hineinzunehmen, ist ein Taschenspielertrick. Denn dadurch werden das Nationale und der Nationalstaat automatisch zur einzigen Hoffnung für das einfache Volk, die Unterdrückten etc. stilisiert; die Möglichkeit, dass nationale Eliten (und vermeintliche Alleinvertreter des Volkes wie […] Viktor Orbán) vielleicht auch auf Kosten der Unterschichten profitieren, verschwindet unbemerkt aus dem politischen Blickfeld.“
Populist_innen und professionelle Populismusversteher_innen zeichnen gemeinsam ein einfaches, ahistorisches Feindbild liberaler Eliten, die als globale Klasse auf verwurzelte Mitbürger_innen herabblicken würden. Zwar gibt es durchaus Formen von kultureller Arroganz gegenüber traditionsbewussten weniger akademisch gebildeten Menschen. Aber Liberale sollten nicht zu leichtfertig darin den Kernkonflikt zwischen Liberalen und Populist_innen identifizieren. Denn damit erkennen sie die wirklichen und berechtigten Interessen von Wähler_innen des Populismus nicht.
Zitat:
„Anscheinend ist es einfacher zu akzeptieren, dass die Leute Trump gewählt haben, weil die Liberalen nicht nett zu ihnen waren, als sich Gedanken darüber zu machen, ob an dem Eindruck, die Demokratien seien zu eng mit Wall-Street-Oligarchen verbandelt, empirisch vielleicht doch etwas dran ist.“
Eine andere Strategie der Bekämpfung des Populismus ist die Imitation. Einige Liberale glaubten, dass Populist_innen eine Repräsentationslücke in der politischen Debatte füllten. Deswegen fingen vermeintliche Mainstream-Akteure selbst an, rechtspopulistische Positionen zu übernehmen und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten zu etablieren, was man zuvor als extremistische Hetze verstand.
Zitat:
„Der, man kann es nicht anders nennen, Opportunismus des Mainstreams führt häufig dazu, dass sich das politische Spektrum insgesamt langsam, aber sicher verschiebt.“
Darüber hinaus offenbart die Idee einer Repräsentationslücke ein problematisches Bild demokratischer Repräsentation, die lediglich schon immer vorhandene Interessen und Identitäten reproduziert. Viel plausibler ist ein dynamischer Prozess von Repräsentation: Interessen und Identitäten bilden sich erst durch ein politisches Angebot heraus und sind deshalb auch veränderbar. Die französischen Gelbwesten entstanden eher als Signal gegenüber dem Präsidenten Emmanuel Macron, der sich bei der Anhebung der Spritpreise anscheinend zu wenig Gedanken über die finanziellen Auswirkungen für viele Menschen gemacht hatte. Man fühlte sich übersehen, aber nicht kulturell zurückgesetzt. Oft verstehen die Menschen ihre Erfahrungen eben nicht so, wie es Populist_innen mittels eines kulturellen Konflikts suggerieren.
Entscheidend ist, wie Liberale mit den berechtigten Interessen der Menschen umgehen. Angesichts der Lügen von Donald Trump und anderen Populist_innen verfielen Liberale allzu oft in eine technokratische Haltung, in der sie glaubten, Wahrheit und Rationalität gepachtet zu haben. Die Begründung von Alternativlosigkeit, die die Politik im Rahmen der Eurokrise oder der Hartz-Gesetze begleitete, schaffte eine Demokratie ohne Wahlmöglichkeiten. Je mehr dabei Populist_innen reüssierten, desto mehr zweifelten Liberale an der Rationalität der Menschen und delegierten Politik noch stärker an technokratische Institutionen und Gerichte. Dabei haben Technokratie und Populismus eines gemeinsam: Sie sind antipluralistisch und entpolitisieren den demokratischen Diskurs.