"Für eine gerechte Bodenpolitik" - in Erinnerung an Hans-Jochen Vogel

Hans-Jochen Vogel ist am Sonntag, den 26. Juli 2020 im Alter von 94 Jahren gestorben. In vielerlei Ämtern und Funktionen, vor allem als Oberbürgermeister von München, Bundesjustizminister, Oppositionsführer im Deutschen Bundestag und als SPD-Parteivorsitzender, hat er die Geschichte und die politische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland wie auch der Sozialdemokratie entscheidend mitgestaltet und nachhaltig geprägt.

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Mit unserem Interview zum Thema Bodenpolitik möchten wir an ihn und seine herausragenden politischen Visionen erinnern.

Schon früh in seiner Karriere beschäftigte sich der Volljurist mit der Bodenpolitik und setzte sich bereits im Wahlkampf 1972 („Kampf der Bodenspekulation“)  gegen Bodenspekulationen ein. Immer wieder verwies er auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1967, in dem es hieß: „Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen. (…) Der Grund und Boden ist weder in seiner volkswirtschaftlichen noch in seiner sozialen Bedeutung mit anderen Vermögenswerten ohne weiteres gleichzustellen; er kann im Rechtsverkehr nicht wie eine mobile Ware behandelt werden.“
Vogel protestierte gegen den leistungslosen Gewinn durch Spekulationen: damals wie heute. Anlass für sein erneutes Engagement findet der 93-Jährige in der Erfolglosigkeit der Mietpreisbremse. Ursächlich für die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt seien nicht in erster Linie die Vermieter_innen, sondern die Spekulationen, die die Mieten in die Höhe trieben.
Hans-Jochen Vogel schied 1994 aus der aktiven Politik aus und lebt heute in einem Seniorenstift in München. Dort haben wir ihn im Sommer 2019 für ein Interview getroffen. Das Gespräch führte Anna-Lena Koschig, Leiterin des BayernForums der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Welche Rolle spielt der Boden bei der Schaffung bezahlbaren Wohnraums?

H-J.V.: Die Antwort ist verhältnismäßig einfach: Weil der Grund- und Bodenpreis bei der Errichtung eines Wohngebäudes ein ganz wesentlicher Faktor ist und dieser ständig gewachsen ist. Vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren war von den Kosten eines Wohngebäudes ein Teil von etwa 8-10 % der Preis für Grund und Boden, der sich dann darauf abrechnen ließ, die Baukosten waren an die 90 %. Heute sind die Kosten, die für Grund und Boden ausgegeben werden müssen (für einen Wohnbau), schon bei 50% und die Baukosten machen nur noch 48-49 % aus. Das sind Münchner Werte, aber das gilt im Grunde für die gesamte Bundesrepublik – jedenfalls für die 77 Großstädte, die es in der Bundesrepublik gibt. Mich hat sehr gewundert, dass lange Zeit immer nur von Mietpreissteigerung geredet wurde, aber von einer ganz wesentlichen Ursache der Mietpreissteigerung, nämlich die explosive Erhöhung der Baulandpreise, ist nicht geredet worden.

Deswegen habe ich auch 2017 noch einmal eine Initiative[1] ergriffen und zwar deswegen, weil ich mit dem ganzen Problem schon vor 50 Jahren als Münchner Oberbürgermeister und dann als Bundesbauminister sehr zu tun hatte und ich mich schon damals sehr engagiert habe. Darum wollte ich das nicht einfach so vorbeilaufen lassen, dass die Medien und dass die Politik über die Mietpreissteigerung reden, aber nicht über die wesentliche Ursache: die Steigerung der Baulandpreise.

 

[1] Mehr Infos zur Initiative für ein soziales Bodenrecht: www.initiative-bodenrecht.de

Sie haben bereits in den 70er Jahren ein soziales Bodenrecht gefordert: Was hat sich seitdem getan?

H-J.V.: Ich habe als Bundesbauminister eine Novelle zum Bundesbaugesetz eingebracht. Da fand sich erstmals neu, dass die Gebote – also Baugebot, Pflanzgebot, Abrissgebot, Erneuerungsgebot –, die bisher nur im Städtebauförderungsgesetz standen, also nur für größere Stadtentwicklungsmaßnahmen galten, generell galten, also ins Baugesetzbuch übernommen wurden. Dann, dass die Erhaltungssatzung, die ja auch heute immer wieder eine Rolle spielt, durch das Gesetz geschaffen wurde. Auch das Vorkaufsrecht hat damals schon eine Rolle gespielt und ist verbessert worden.

Ein ganz wesentlicher Punkt war der sogenannte Planungswertausgleich. Es ist ein Verstoß gegen rechtliche Grundsätze, dass die Allgemeinheit zwar Eingriffe in das Bodeneigentum entschädigt, Enteignungen zum Beispiel, aber auch andere. Dass aber der Gewinn, der für den Eigentümer dadurch entsteht, dass die Allgemeinheit ihm ein Baurecht oder andere Rechte zuerkennt oder Infrastruktur um sein Grundstück herum schafft und damit den Preis immer weiter hochtreibt, dass er dafür keinen Pfenning hergeben muss.

Außerdem habe ich schon damals – und jetzt wieder – an die bayerische Verfassung erinnert: Da steht im Artikel 161, dass leistungsloser Bodengewinn für die Allgemeinheit in Anspruch zu nehmen ist. Ja, sicher kann man sagen, das ist durch das Grundgesetz, Artikel 14 und Artikel 15, außer Kraft gesetzt in dem Sinn, dass auf diesem Gebiet die Länder nicht eigene Gesetze und Maßnahmen treffen können. Aber die Staatsorgane müssen überall da, wo sie an Gesetzgebung mitwirken, also die Mitglieder der Staatsregierung, die im Bundesrat sitzen, zum Beispiel, sich an diesen Artikel erinnern.

Die Sache ist dann zunächst sogar ziemlich einheitlich betrieben worden. Es gab einen CSU-Parteitag im Juli 1973 und da hat Franz-Josef Strauss eine sehr scharfe Rede gegen die Spekulanten gehalten und der Parteitag hat beschlossen: Planungswertausgleich. Zwar nicht wie wir als bodenrechtliche, sondern als steuerrechtliche Maßnahme, aber im Ergebnis war es das Selbe. Und in der CDU hat der Vorstand dies ebenfalls beschlossen, aber der CDU-Parteitag hat es dann mit knapper Mehrheit abgelehnt. Dann ist leider in diesem Entwurf nicht ein hundertprozentiger Planungswertausgleich, sondern nur ein fünfzigprozentiger von mir hineingeschrieben worden, weil der Koalitionspartner FDP gesagt hat, mit fünfzig Prozent macht er mit, mit hundert aber nicht. Und es gab damals noch andere Probleme, die wichtiger erschienen und deswegen ging der Vorschlag in das Gesetzgebungsverfahren mit 50 Prozent ein. Das Gesetzgebungsverfahren hat zwei Jahre gedauert und 1976 wurde dann endgültig der Text verabschiedet und da war der Planungswertausgleich draußen. Die CDU/CSU hat zwischendrin ein bisschen in unsere Richtung agiert, mit der Behauptung, wir wollten die Eigentümer von Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen und die Bauern enteignen. Da hat der Klaus Staeck dieses berühmte Bild gemalt: „Arbeiter, sie wollen euch eure Villen im Tessin enteignen!“

Und dann wurde die Sache dünner und blasser: Es gab zwar immer wieder mal Änderungen und es gab auch eine Möglichkeit hier in München, dass man einen Vertrag schließen konnte, mit jemandem, der investieren wollte, und dass der dann aufgrund des Vertrages[1] auch gewisse Leistungen für die Infrastruktur erbrachte. Aber es hat an dem Preisanstieg insgesamt nichts geändert. Wissen Sie wie hoch die Preissteigerung auf Bundesebene seit 1962 und die auf Münchner Ebene seit 1950 ist? Von 1962–2017 sind bundesweit die Baulandpreise um 2.400% gestiegen. Das hat scheinbar niemanden bisher aufgeregt. In München war die Steigerung von 1950–2015 39.000%. Und wer ein bisschen nachdenkt, der wird dahinter auch erkennen, was an leistungslosen Gewinnen – ich sage jetzt nicht einfach Bodeneigentümern, sondern vor allem Spekulanten – zugeflossen ist. Der Gewinn war schon da, wenn du heute gekauft und in zwei Jahren wieder verkauft hast. Ohne irgendetwas zu bauen. Und neuerdings höre ich, dass auch von China die ersten Investoren kommen, die diese deutsche Besonderheit und Eigenheit ausnutzen.

 

[1] Konzeptvergabe in München: www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Stadtplanung-und-Bauordnung/Wohnungsbau/Konzeptioneller-Mietwohnungsbau.html

Wie zeichnet eine soziale Bodenpolitik konkret aus?

H-J.V.: Zunächst einmal muss man auf die besondere Eigenart des Grund und Bodens eingehen. Der Grund und Boden ist unverzichtbar. Man kann nicht eine Sekunde leben, ohne Boden in Anspruch zu nehmen. Und er ist unvermehrbar. Er kann auch nicht von einem Ort zum anderen transferiert werden. Das ist ein wesentlicher Unterschied gegenüber einer produzierten Ware, die je nach Bedarf produziert werden kann. Diese Besonderheit hat erfreulicherweise auch das Bundesverfassungsgericht 1967 ausgedrückt. Ich sage es noch etwas detaillierter: Es muss ein Gebiet geben, in dem für den Umgang und die Nutzung von Grund und Boden das Allgemeinwohl maßgeblich ist und nicht das, was beim Markt das treibende Motiv ist, nämlich Gewinnerzielung, Vermehrung des Gewinns. Ich bin kein Gegner des Marktes, die SPD hat ja da eine grundlegende Änderung schon im Godesberger Programm 1959 vollzogen. Aber beim Grund und Boden darf man die Entwicklung nicht dem Gewinnstreben einzelner Beteiligter am Geschehen überlassen, sondern man muss dafür sorgen, dass hier das Allgemeinwohl maßgebend ist.

Ja, und wie? Es geht nicht durch Vergesellschaftung, wie das jetzt in Berlin durch ein Bürgerbegehren zum Thema geworden ist. Es geht auch nicht mit massenhaften Enteignungen. Es geht nur, indem der Grund- und Bodenbesitz der Gemeinden mehr und mehr ausgedehnt und erweitert wird. Und da gibt es ein glänzendes Vorbild und dieses Vorbild ist die Stadt Wien. Wien hat schon 1918 damit begonnen, sein Eigentum an Grundstücken immer weiter auszudehnen. Heute wohnen etwa 30-40 Prozent der Mieter in Wien in Wohnungen, die auf Grundstücken der Stadt oder städtischen Gesellschaften oder von Genossenschaften errichtet worden sind, an die die Stadt die Grundstücke nicht verkauft, sondern im Erbbaurecht weitergegeben hat. Mit ganz konkreten Regeln und Bedingungen. Das hängt auch mit der Förderung der Wohnungen zusammen (d.h. Sozialwohnungen). Infolgedessen hat Wien konstante Mieten seit Jahr und Tag.

Meine Vorschläge bedeuten, dass einiges im Bundesbaugesetz geändert und verbessert werden muss. Insbesondere Bestimmungen, die es leichter machen, dass Grund und Boden am Schluss bei der Stadt bleiben. Also noch eine deutliche Ausweitung des Vorkaufsrechts mit Preislimitierung, das heißt bei Ausübung des Vorkaufsrechtes muss die Gemeinde nicht automatisch den Preis zahlen, den der Verkäufer mit dem Käufer vereinbart hat. Vielmehr bemisst sich das, was die Gemeinde zahlen muss, nach Aufstockung dieses Kaufpreises um den Zuwachs des Verbraucherindex für jedes Jahr, das seit diesem Erwerb verstrichen ist. Aber die Kernempfehlung von mir ist, dass man wirklich die Gemeinden ermuntert und dass man sie auch durch Zuschüsse dafür in den Stand setzt, ihren Anteil zu erweitern.

Es gibt also gute Ansätze und meine Hauptempfehlung ist, dass alles getan wird, dass das Grundeigentum der Kommunen wächst, denn die sind ja dem Allgemeinwohl verpflichtet und haben keine Grundlage dafür, dass sie mit Grund und Boden spekulieren. Damit soll dann auch die Periode endgültig überwunden sein, in der noch vor einigen Jahren, die Grundstücke meistbietend angeboten und verkauft wurden. Auf meine Anregung hin ist in dem Koalitionsvertrag die Schaffung einer eigenen Kommission eingetragen worden und die arbeitet aktuell. Ich habe alle meine Anregungen, von denen ich auch hier gesprochen habe, auch an den Vorsitzenden geleitet. Ich bin gespannt, ob sie die Zahlenreihen – insbesondere die über den Anteil der Grundstückskosten und der Baukosten an der Errichtung eines Miethauses, und die konkreten Vorschläge beispielsweise vom Städtetag, noch prüfen und bewerten und dann ja oder nein sagen.

Und zum Schluss, erinnere ich daran, dass drei Männer die Bedeutung dieser Frage, die wir erörtern, für zentral erklärt haben. In alphabetischer Reihenfolge: Konrad Adenauer als Kölner Oberbürgermeister. Ich hab das Zitat nicht wörtlich im Kopf, aber im Ergebnis sagt er, es gibt nichts Wichtigeres als den Umgang mit Grund und Boden. Dann Willy Brandt, in einem Büchlein 1974: Es ist eine wichtige Aufgabe, dass die Parteien sich vereinigen in der Bemühung, dass es zu einem sozialen Bodenrecht kommt. Er sprach von einer Bodenrechtsreform. Und auch Gustav Heinemann, der gesagt hat, „es muss doch nun endlich…“ Tja, ich würde mich freuen, wenn die Nachfolger in diesen Ämtern sich jetzt ähnlich äußern und auch ähnlich handeln würden.

Bild: Hans Jochen Vogel von Helmut Zeisenberger

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