"Big Data", gleich Kontrolle und Profit?

Gesellschaftliche Aspekte von Künstlicher Intelligenz - Fragen an René Röspel

Bild: Susie Knoll

FES: Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) erfährt eine wachsende Aufmerksamkeit in der gesellschaftlichen Debatte. Was genau versteht man unter KI? Weshalb ist das Thema so wichtig und in welchen Alltagsbereichen wird KI zukünftig eine relevante Rolle spielen?

Röspel: Beginnen wir mit der Realität: KI ist da und wird weiter fortschreiten. KI wird unser gesellschaftliches Leben massiv verändern. Künstliche Intelligenz, kognitive Systeme und lernende Maschinen sind in der Lage, Erlerntes auf neue Situationen zu übertragen. Sie können Prozesse planen, Prognosen treffen oder auch mit Menschen interagieren. Kaum ein Bereich des Alltags wird von KI unberührt bleiben, sei es in der Wirtschafts- und Arbeitswelt, im Pflege- und Gesundheitsbereich oder im Bildungswesen. Mit dem Einsatz von KI werden große Hoffnungen, aber auch viele Ängste verbunden. Die smarte, intelligente Nutzung von Daten kann „unsere Welt ein bisschen besser machen“. Aber viele Menschen fürchten auch, von KI „ersetzt“ zu werden. Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass der technologische Fortschritt zu einem sozialen Fortschritt transferiert. KI muss dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Es ist daher richtig und wichtig, dass der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission eingesetzt hat, um sich gerade mit den gesellschaftlich und ethisch relevanten Aspekten von KI zu beschäftigen. Wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen, sie aber auch gleichzeitig vor Utopien bewahren. Seit ein Computer die Schachweltmeisterschaft gewann, hat der Mensch das Rennen beim (Maschinellen) Lernen bereits verloren. Na und? Diese Schach-KI kann besser Schach spielen als ein Mensch – aber sonst nichts. Die Vision eines Schach-Computers, der fortan die Menschheit versklavt, ist und bleibt Science Fiction.

FES: Viele Beschäftigte sorgen sich, dass KI ihre Arbeit grundlegend verändert oder gar überflüssig macht. Wie wird KI die Arbeitswelt verändern und wie können wir diesen Wandel gestalten?

Röspel: KI bedeutet Fortschritt. Aber Fortschritt ist kein Selbstzweck. Dampfmaschine und Industrialisierung heißen heute KI und Digitalisierung. Die historisch belegten, fundamentalen Auswirkungen der Industriellen Revolution auf die Arbeitswelt können uns bei der Gestaltung der Zukunftsvision KI die richtigen Antworten geben. Der „Mehrwert“ von KI muss sozial sein. Klar ist, dass viele Berufe zukünftig wegfallen werden, dafür werden neue entstehen. Laut einer Studie aus den USA (World Economic Forum) stehen angeblich den 75 Mio. Jobs, die durch den Einsatz von KI in den nächsten Jahren wegfallen, 133 Mio. neue Jobs gegenüber. Es wäre naiv zu glauben, man könne diese Entwicklung aufhalten. Es wird daher darauf ankommen, diesen Prozess konstruktiv im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu begleiten. Erstens ist es wichtig, dass die Einbindung intelligenter Systeme transparent und nachvollziehbar geschieht. Zweitens müssen die Menschen in den Betrieben an der Umsetzung beteiligt werden. So werden Ängste genommen und Chancen sichtbar. Menschen müssen für den Umgang mit KI am Arbeitsplatz qualifiziert werden und gleichzeitig muss der Arbeitnehmerdatenschutz fest verankert sein. Wer, wenn nicht wir Sozialdemokraten, sollte diesen Prozess besser gestalten? Wir haben immer bewiesen, dass wir Strukturwandel können.

FES: Die EU, USA und China verfolgen unterschiedliche Strategien bei der Entwicklung von KI. Welche ethischen Standards sollte Künstliche Intelligenz auszeichnen, die in Europa entwickelt wird?

Röspel: Auf unserem Planeten gibt es rund 200 Millionen mehr chinesische Internetnutzer (700 Millionen), als EU-Bürger (512 Millionen). „David gegen Goliath“ lässt grüßen. Mit den aktuellen Entwicklungen der „Künstlichen Intelligenz“ ist auch eine neue Stufe im Prozess der Digitalisierung erreicht. Künstliche Intelligenz erlaubt es, die Vielzahl der heute gesammelten Daten auf völlig neue Weise auszuwerten. Amazon, Google und Co., aber auch China und die USA wenden erhebliche Ressourcen auf, um sich diese Analyse-Möglichkeiten zunutze zu machen. Immer mehr Entscheidungen basieren bereits auf Algorithmen und auf der Basis von Künstlicher Intelligenz. Sie entscheiden auch, welche Nachrichten und Inhalten wir sehen oder welche Produkte und Preise wir angezeigt bekommen, sie entscheiden über Kreditvergaben und Versicherungen oder überwachen den öffentlichen Raum. In der Fachwelt spricht man von „Big Data“ und „social scoring“, viele nennen es aber auch einfach „Digitale Diktatur“. Die Formel – KI gleich „Big Data“, gleich Kontrolle und Profit – darf auf unserem Kontinent nicht gelten. Algorithmus basierte Entscheidungen und KI brauchen demokratische Kontrolle, einen entsprechenden Rechtsrahmen, der Missbrauch und Diskriminierung verhindert. Nach massiven Sicherheitsskandalen in den Digitalkonzernen ruft mittlerweile sogar Mark Zuckerberg nach staatlicher Regulierung. Wir sollten ihn hier ernst nehmen.

 

René Röspel, MdB, ist Obmann der SPD in der Enquete-Kommission "Küntliche Intelligenz - gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale".

------------------------------

Die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“ hat sich im September 2018 konstituiert. Sie hat den Auftrag, die zukünftigen Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitsleben zu untersuchen und staatliche Handlungsempfehlungen zu formulieren. Dem Gremium unter Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) gehören Bundestagsabgeordnete aller Parteien sowie externe Sachverständige an. MdB René Röspel ist Obmann der SPD in der Enquete-Kommission.

------------------------------

Die Fragen an René Röspel stellte Andreas Wille, Referent für die Bereiche Arbeit, Bildung und Forschung in der Abteilung Wirtschafts-und Sozialpolitik.

 

Wirtschaft:
Vera Gohla
030 26935-8331
Vera.Gohla(at)fes.de

Finanzen:
René Bormann
0228 883-8312
Rene.Bormann(at)fes.de

Ökologie:
Max Ostermayer
030 26935-8319
Max.Ostermayer(at)fes.de

Soziales:
Iva Figenwald
0228 883-8309
Iva.Figenwald(at)fes.de

nach oben