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Zunehmende Externalisierung in der Migrationssteuerung

Angesichts der zunehmenden Externalisierung in der Migrationssteuerung ruft der UN-Sonderberichterstatter zu den Menschenrechten von Migrant_innen zu einer gemeinsamen Reflexion auf.

Externalisierung als thematischer Schwerpunkt des UN-Sonderberichterstatters

Der UN-Sonderberichterstatter zu den Menschenrechten von Migrant_innen, Gehad Madi, widmete seinen aktuellsten Bericht an die UN-Generalversammlung dem Phänomen der Externalisierung in der Migrationssteuerung und dessen Auswirkungen auf die Menschenrechte von Migrant_innen. Wie der Bericht feststellt, ist die Externalisierung in den letzten Jahren zu einem prägenden Merkmal der Migrations-, Asyl- und Grenzsteuerung geworden. Das Phänomen ist zwar nicht neu, nimmt jedoch eindeutig zu.

Oft geht die Externalisierung mit weiteren restriktiven Ansätzen einher, wie zum Beispiel der Versicherheitlichung und der Kriminalisierung von Migration. Diese Maßnahmen erhöhen den Druck auf zivilgesellschaftliche Akteur_innen, die sich für die Rechte von Migrant_innen einsetzen, und tragen zur zunehmenden Militarisierung der Grenzen bei. Angesichts der weiten Verbreitung dieses Phänomens und seiner gravierenden menschenrechtlichen Auswirkungen ruft der Sonderberichterstatter zu einer gemeinsamen Reflexion auf.
 

Begriffsbestimmung der Externalisierung

Der Bericht definiert die Externalisierung der Migrationssteuerung als verschiedene Formen internationaler Zusammenarbeit, die darauf abzielen, die Verantwortung für das Migrationsmanagement von den Zielländern auf andere Staaten zu verlagern. Diese Maßnahmen grenzen sich ab von echter internationaler Zusammenarbeit oder Partnerschaften, die Migration, den Zugang zu Asyl und die Verantwortungsteilung erleichtern.

Dabei werden drei Hauptformen der Externalisierung unterschieden:

Risiko der Verletzung staatlicher Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen

Ein zentrales Anliegen des Sonderberichterstatters ist die Befürchtung, dass Externalisierungspraktiken ernsthaft gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen verstoßen könnten, die sich aus den von europäischen Staaten ratifizierten Kern-Menschenrechtsverträgen ergeben. Zu den wichtigsten gefährdeten Rechten und Verpflichtungen gehören das Recht, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen, das Non-Refoulement-Prinzip, das Verbot von Kollektivausweisungen, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren, das Verbot willkürlicher Inhaftierungen sowie von Folter oder Misshandlung, das Recht auf Leben, das Verbot von Verschleppungen, das Verbot von Rassendiskriminierung sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

Da Externalisierungsmaßnahmen extraterritorial sind und mehrere Akteur_innen involviert sind, kann es schwierig sein, die rechtliche Verantwortung für Verstöße festzustellen. Wie der Bericht jedoch betont, können Staaten ihre internationalen Verpflichtungen nicht umgehen, indem sie die Migrationskontrolle an andere Staaten oder private Akteur_innen auslagern. Der Bericht verweist auf Urteile in Fällen wie Sonko gegen Spanien und A. S. und andere gegen Italien, bei denen die beklagten Staaten im Zusammenhang mit extraterritorialen Migrationskontrollmaßnahmen zur Verantwortung gezogen wurden.
 

Mangel an Transparenz

Externalisierungsmaßnahmen verstoßen häufig gegen die Grundprinzipien der Rechtstaatlichkeit, insbesondere Transparenz und Rechenschaftspflicht, sowie gegen die mit der Rechtstaatlichkeit verknüpften ethischen Werte wie dem Grundsatz von Treu und Glauben. Viele der in diesem Kontext getroffenen Vereinbarungen werden bewusst informell gestaltet, um die parlamentarische Kontrolle und die Offenlegung in der Öffentlichkeit zu umgehen. Da mehrere Staaten und nichtstaatliche Akteur_innen wie internationale Organisationen oder private Unternehmen beteiligt sind, wird die Gewährleistung von Transparenz zusätzlich erschwert.
 

Empfehlungen des Sonderberichterstatters

Der Bericht kritisiert, dass zahlreiche Staaten beträchtliche Ressourcen darauf verwenden, ihre Migrationsverantwortung zu externalisieren, statt ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und die positiven Beiträge von Migrant_innen für die Gesellschaft anzuerkennen. Daher fordert der Sonderberichterstatter die Staaten auf, sämtliche Externalisierungsmaßnahmen einzustellen.

Bis zu deren Beendigung mahnt er die Staaten, jede Form der Migrationszusammenarbeit so zu gestalten, dass sie im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen und -standards sowie dem Grundsatz von Treu und Glauben steht, geschlechtergerecht ist und keine Situationen der besonderen Schutzbedürftigkeit hervorruft oder bestehende verschärft. Die Staaten sollten zudem jegliche finanzielle, technische oder materielle Unterstützung für Partner einstellen, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, einschließlich der Bereitstellung von Ausrüstung, Überwachungsinstrumenten und sonstiger Technologien.

Der Bericht unterstreicht außerdem, wie wichtig die Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung und Umsetzung migrationspolitischer Maßnahmen ist, und fordert in diesem Zuge folgende Maßnahmen: stärkere Transparenz- und Rechenschaftsmechanismen, einschließlich Ex-ante- und regelmäßiger menschenrechtlicher Folgenabschätzungen aller migrationspolitischen Kooperationsvereinbarungen, eine unabhängige Überwachung der Menschenrechte, idealerweise unter Einbeziehung der nationalen Menschenrechtsinstitutionen der kooperierenden Staaten, sowie zugängliche Beschwerdemechanismen, die es Einzelpersonen ermöglichen, Verstöße zu melden und ihre Rechte durchzusetzen.

Abschließend fordert der Sonderberichterstatter die Staaten auf, die wirksame Aufklärung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen durch Strafverfolgungsbehörden oder andere Beauftragte zu gewährleisten, die Täter zur Verantwortung zu ziehen und den Opfern sowie ihren Familien Wiedergutmachung zu gewähren.
 

Über die Autorin

Dr. Izabella Majcher ist Expertin für internationales Flüchtlings- und Menschenrechtsrecht mit besonderem Schwerpunkt auf der Migrations- und Asylpolitik der EU. Sie erwarb einen Doktortitel in internationalem Recht am Graduate Institute of International and Development Studies (IHEID) in Genf, engagierte sich in der Menschenrechtsarbeit vor den Vereinten Nationen und der EU und ist als Beobachterin für Zwangsrückführungen beim schweizerischen Nationalen Präventionsmechanismus tätig. Izabella arbeitet zudem als Beraterin für verschiedene internationale und Nichtregierungsorganisationen und unterstützte die Ausarbeitung des in diesem Blogbeitrag behandelten Berichts. Sie verfasste diesen Blogartikel in ihrer persönlichen Eigenschaft.

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.

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