Iris Nothofer

Regionale Solidarität und effektive Interessenvertretung unter erschwerten Voraussetzungen

Wie die Gewerksschaftsbewegung in Subsahara-Afrika auf die Corona-Pandemie reagiert und neue (digitale) Kommunikationswege finden muss

Bild: Online Solutions Trade Unions von FES TUCC

Für die Arbeit von Gewerkschaften ist die direkte und persönliche Kommunikation mit ihren Mitgliedern zentral. Angesichts der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen mussten regionale Gewerkschaftsstrukturen und deren Mitgliedsorganisationen neue Kommunikationswege finden und verstärkt auf digitale Technologien zurückgreifen. Der Bericht „Emergency online solutions to the Covid-19 pandemic for African trade unions“ nimmt eine erste Bestandsaufnahme vor.

Die Gewerkschaftsbewegung in Subsahara-Afrika steht vor einer doppelten Herausforderung. Einerseits muss sie in der jetzigen Krisenzeit besonders hart um die Rechte von Arbeiter_innen und die Einhaltung von Arbeits- und Gesundheitsstandards ringen. Andererseits ist durch die vielen Kontaktbeschränkungen der Informationsfluss zwischen Mitgliedern und Gewerkschaften erschwert, teilweise gar gekappt. So können die Regionalstrukturen der Globalen Gewerkschaftsföderationen (GUFs) nur schwer zu ihren nationalen Mitgliedsorganisationen duchdringen, geschweige denn zu den Arbeiter_innen in den Betrieben. Vor diesem Hintergrund hat das regionale Gewerkschaftsprojekt der FES (TUCC) gemeinsam mit IFWEA, einem engen Partner aus dem Bereich der Arbeiterbildung, kurzfristig ein Projekt ins Leben gerufen, um genauer zu beleuchten, wie Gewerkschaften in Subsahara-Afrika ihre Arbeits- und Kommunikationsweisen in Anbetracht der Covid-19-Pandemie angepasst haben. Der dabei herausgekommene Bericht basiert auf Interviews mit mehreren GUF-Generalsekretär_innen und benennt nicht nur Defizite in den Bereichen Kommunikation und Information, sondern entwickelt auch erste Ideen für praktische Maßnahmen.

Schnelles Handeln und viele Baustellen

Positiv fiel zunächst auf, dass gerade die Einbindung in globale Strukturen gut funktionierte. Die GUF-Zentralen halfen den jeweiligen Regionalbüros dabei, ihre Arbeitsabläufe und Kommunikation rasch anzupassen. Dadurch konnten diese sich wiederum schnell darauf konzentrieren, gemeinsam mit ihren Mitgliedsorganisationen für die Rechte von Arbeiter_innen zu kämpfen, die Einhaltung von Kollektivvereinbarungen einzufordern und Druck auf Unternehmen auszuüben. Gleichzeitig fiel für die Regionalbüros ein zentraler Teil ihrer Arbeit weg: Normalerweise unterstützen sie ihre Mitglieder direkt vor Ort, beispielsweise durch Informationsaustausch oder durch gezielte Trainings. Zudem fördern sie mit ihren Aktivitäten regionale Vernetzung und transnationale Solidarität und stärken dadurch die Arbeiterbewegung auf dem Kontinent. Diese gerät durch den Einbruch von Mitgliedsbeiträgen während der Coronakrise auch finanziell unter enormen Druck. In den Interviews wurde die Sorge geäußert, dass gewerkschaftliche Aktivitäten und Interessenvertretung gerade dort wegbrechen, wo sie besonders benötigt werden und wo es um den Schutz der Schwächsten und Verwundbarsten geht.

Zuletzt wurden auch die eigenen Versäumnisse selbstkritisch betrachtet. Oft seien die Nutzung neuer Technologien oder Möglichkeiten der digitalen Mitgliedergewinnung und -aktivierung nur halbherzig diskutiert worden. Auch die Pflege von Mitgliederdaten, der Aufbau von Datenbanken, die verständliche Aufbereitung und Verbreitung von Informationen sowie die Sammlung und digitale Bereitstellung wichtiger Dokumente wurden vernachlässigt. Für die Interviewpartner_innen scheint die aktuelle Situation aber auch ein Weckruf zu sein, solche Instrumente in Zukunft gezielt und strategisch einzusetzen und die entsprechenden Kompetenzen auf- und auszubauen.

Weichenstellung für neue Formen der Kommunikation und des Informationsaustausches

Insgesamt ist klar erkennbar, dass während der ersten Wochen der Kontaktsperren und Reisebeschränkungen neue Kommunikationwege und -techniken aufgegriffen wurden und sich die GUFs sehr aktiv für die Einhaltung von Arbeits- und Gesundheitsstandards einsetzten. Allerdings ist es für sie teils schwierig, bis zur Betriebsebene durchzudringen und so die gewerkschaftliche Interessenvertretung direkt am Arbeitsplatz zu stärken. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Beispielsweise sind die Datenkosten in vielen afrikanischen Ländern enorm hoch, so dass die Gewerkschaftsvertreter_innen in den Betrieben ebenso wie die breite Basis nur begrenzt die Möglichkeit haben, an Webinaren oder anderen Online-Formaten teilzunehmen. Auch brauchen viele Mitglieder noch Unterstützung, wenn es um die Einführung und Nutzung neuer Technologien geht. Gerade der passgenaue Einsatz und das Mitnehmen der Basis setzen Weiterbildungen, die Bereitstellung von Trainingsmaterialien und die Entwicklung leicht verständlicher Anleitungen voraus. Dies betrifft die GUFs und ihre Mitgliedsorganisationen gleichermaßen.

Genau hier versucht nun auch das gemeinsame Projekt zwischen dem TUCC und IFWEA anzusetzen. Der Report entwickelt erste Lösungsangebote, auf die kurzfristig zurückgegriffen werden kann, und stellt weiterführende Informationen bereit. Gleichzeitig soll die momentane Offenheit gegenüber neuen Online-Tools für langfristigere und strukturelle Veränderungsprozesse genutzt werden. Die Ergebnisse aus dem ersten Teil des Projekts wurden nicht nur breit geteilt, sondern auch gleich mit einer Abfrage verbunden, in der die Gewerkschaftspartner angeben können, wo besonders dringend Unterstützung benötigt wird und wo Potenzial für gemeinsame Projekte liegt. Im nächsten Schritt sollen nun zeitnah kleinere Pilotprojekte angestoßen werden, um die angesprochenen Defizite zu überwinden. Denn gerade jetzt ist es für die GUFs und ihre Mitgliedsorganisationen umso wichtiger, schnell und effektiv die Interessen von Arbeiter_innen zu vertreten, neue Mitglieder zu gewinnen und regionale Solidarität stärken.

Eine Chance für mitgliederbasierte und basisdemokratische Gewerkschaften

Die Nutzung neuer Kommunikations- und Informationstechnologien birgt also durchaus Potenzial für eine bessere Einbindung der eigenen Basis sowie für eine stärkere regionale Vernetzung und gemeinsames Handeln. Bestehende Netzwerke und Allianzen, die teilweise auch mit Unterstützung des TUCC aufgebaut wurden, dienen den GUFs und ihren Mitgliedern schon jetzt als wertvolle Plattformen für den Austausch von Informationen und gemeinsame Strategiebildung. Diese Strukturen könnten als Ausgangspunkt für einen lokalen und mitgliedernahen Aufbau von Kompetenzen genutzt werden. Gleichzeitig ist klar, dass die afrikanische Gewerkschaftsbewegung nicht alleine vor den benannten Herausforderungen steht. Auch in anderen Regionen tun sich Gewerkschaften mit der Nutzung von neuen Technologien und Online-Tools schwer. Der Bericht hat daher bereits das Interesse der GUF-Strukturen in anderen Regionen geweckt, wo nun über ähnliche Projekte und auch einen verstärkten Austausch zwischen den Regionen nachgedacht wird.

 

Patel, Saliem

Emergency online solutions to the Covid-19 pandemic for African trade unions

A report based on interviews with five Africa GUF general secretaries
Johannesburg, 2020

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