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Gewerkschaften in der G20 – anerkannt, aber ohne Durchschlagskraft

Die südafrikanische G20-Präsidentschaft setzt die richtigen Themen – doch es fehlt ihr an Mitteln, um die Forderungen des Labour-20-Gipfels zu erfüllen.

Es ist heutzutage ist es eine erfreuliche Überraschung, wenn die G20 – ein weitgehend informeller Koordinierungsprozess zwischen den 19 größten Volkswirtschaften der Welt sowie der Europäischen Union und der Afrikanischen Union – ihre Beratungen unter einem progressiven Leitmotiv stattfinden lässt. „Solidarität, Gleichheit, Nachhaltigkeit“ – mehr guten Willen kann man sich kaum wünschen. Wenn der Bereich Arbeit und Beschäftigung in seinem Motto „Leben und Arbeiten in einer ungleichen Welt“ das grundlegende Übel unserer Zeit anerkennt, weckt dies Erwartungen.

Der Labour-20-Gipfel, Treffen der Gewerkschaftsdachverbände aus den G20-Ländern unter der Leitung des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) vom 28. bis 29. Juli 2025 in George, Südafrika, begrüßte die politische Intention der Gastgeber. In ihrer Eröffnungsrede wies Zingiswa Losi, Präsidentin des COSATU, des größten Gewerkschaftsbundes Südafrikas, zu Recht auf den Kern der Sache hin:

„Ungleichheit ist das beabsichtigte Ergebnis eines Systems, das gegen uns gerichtet ist. Es basiert auf Gier und dem Prinzip, dass Profit vor Menschen kommt. Die Arbeiterklasse ist die einzige Kraft, die dies ändern kann.“

Gewerkschafter_innen haben wenig Schwierigkeiten, die vielen Gesichter der mittlerweile obszönen Ungleichheit zu beschreiben: sinkende Arbeitseinkommen, fehlende existenzsichernde Löhne, eingeschränkte Tarifverhandlungen, Steuerungerechtigkeit und untragbare Schuldenstände in vielen Ländern des Globalen Südens.

In diesem Zusammenhang fordert die Labour-20-Erklärung in erster Linie, dass die G20-Länder konkrete und zeitgebundene Verpflichtungen in Bezug auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, Einhaltung von Arbeitnehmerrechten (Zeitplan für die Ratifizierung der grundlegenden ILO-Arbeitsnormen sowie ein UN-Vertrag über Wirtschaft und Menschenrechte) und sozialen Schutz (Finanzierung eines Globalen Fonds für sozialen Schutz) eingehen.

Was die Gewerkschaftsbewegung tatsächlich erreicht, ist eine Verpflichtung, den Anteil junger Menschen, die am stärksten Gefahr laufen, dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden, bis 2030 um weitere 5 % zu senken – eine Erweiterung eines G20-Ziels von 2015, diesen Anteil bis 2025 um 15 % zu reduzieren. Hinzu kommt die Zusage, die geschlechtsspezifische Kluft bei der Erwerbsbeteiligung bis 2030 um 25 % sowie das geschlechtsspezifische Lohngefälle bis 2030 um 25 % gegenüber dem Niveau von 2012 zu reduzieren.

Diese Ziele sind lobenswert und das Ergebnis mühsamer Verhandlungen (nicht zuletzt angesichts der Tatsache, wie kompliziert es ist, mit bestimmten Ländern am Verhandlungstisch überhaupt das Thema Geschlechtergleichstellung anzusprechen und sich auf messbare Ziele zu einigen). Sie reichen jedoch bei weitem nicht aus, um die Ursachen der Ungleichheit zu bekämpfen oder das Vertrauen der Beschäftigten in die Führung der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt wiederherzustellen. Bedauerlicherweise stellen diese Ziele wahrscheinlich die fortschrittlichsten Verpflichtungen dar, die die G20 in absehbarer Zukunft eingehen werden – insbesondere angesichts einer nachfolgenden US-Präsidentschaft, die nicht einmal bereit ist, eine gemeinsame Erklärung der Arbeitsminister_innen zu unterstützen.
 

Fragile multilaterale Ordnung und die Forderung nach arbeitnehmerorientiertem Handel

Entsprechend wenig überraschte es, dass sich viele Diskussionen auf dem L20-Gipfel um den derzeitigen Unilateralismus und den Zerfall der multilateralen Handelsordnung drehten. Unmittelbar nach der Bekanntgabe eines neuen Handelsabkommens zwischen der EU und den USA herrschte Einigkeit unter den Teilnehmer_innen, dass die handelspolitische Linie der Trump-Regierung nicht im Interesse der Beschäftigten ist.  

„Handel ist kein isoliertes Thema. Er ist Teil einer umfassenderen Agenda, die Deregulierung, die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen sowie Angriffe auf Arbeitnehmerrechte umfasst und für geopolitische Zwecke genutzt wird, während gleichzeitig die Souveränität untergraben wird – beispielsweise in Brasilien oder Südafrika.“, betonte Cathy Feingold vom US-amerikanischen Dachverband AFL-CIO,

 Die Gewerkschaften forderten sich selbst auf, eine Gegenvision zu entwickeln: einen arbeitnehmerorientierten Handel, der auf klaren Regeln und verbindlichen Verpflichtungen für Arbeitnehmerrechte basiert. Ziel ist es, unfaire Praktiken wie Zwangsarbeit oder die Einschränkung von Tarifverhandlungen zu beenden, Lieferketten resilienter zu gestalten und die Dekarbonisierung voranzubringen. Die Kapitel zum Thema Arbeit müssen überdacht und verbindlich, durchsetzbar und mit zeitlichen Vorgaben gestaltet werden – wie im Handelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko (USCMA).

Afrikanische Gewerkschaften bestanden darauf, dass diese Maßnahmen auf das Afrikanische Kontinentale Freihandelsabkommen (AfCFTA) ausgeweitet werden. Sie forderten darüber hinaus, dass künftige Handelsabkommen den politischen Spielraum für Entwicklungsländer erhalten, um lokale Industrien zu fördern und nachhaltige Lieferketten mit größerer lokaler Wertschöpfung aufzubauen. Der Zusammenhang zwischen Handel und Industriepolitik für eine erfolgreiche grüne Transformation wurde wiederholt betont. Antonio Lisboa von CUT aus Brasilien fügte hinzu:

„Ohne öffentliche Investitionen und Kontrolle kann es keine gerechte Transformation geben. Wir können die Energiewende nicht privaten Unternehmen überlassen, weil es keine menschenwürdigen Arbeitsplätze gibt.“
 

Die Agenda der Beschäftigten: Bekämpfung der Informalität, digitale Macht, Demokratie und Frieden sichern
 

Die Empörung der Gewerkschaftsvertreter_innen beschränkte sich nicht nur auf die Handelspolitik. Die Beschäftigten sind entsetzt über die zunehmende Informalität auf dem Arbeitsmarkt. Nach Angaben der ILO arbeiten 60 % aller Beschäftigten weltweit ohne rechtlichen und sozialen Schutz. „Verschiedene Regierungen haben eine strategische Entscheidung getroffen, die Arbeitsgesetze zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit abzubauen.“, beklagte Massimo di Pietro von der italienischen UIL.

Darüber hinaus sind die Arbeitnehmer_innen besorgt über die zunehmende Macht digitaler Plattformen und die Bedrohung, die künstliche Intelligenz für menschenwürdige Arbeit darstellt. Es wurden Forderungen nach einer strengen Regulierung der Plattformarbeit durch die ILO sowie nach einer Beteiligung der Gewerkschaften an der KI-Governance laut.

„Multinationale Technologieunternehmen haben die Kontrolle übernommen. Sie haben mehr Macht als Staaten, und wir sind strukturell von ihnen abhängig. Wir müssen mit ihnen verhandeln. Lasst uns Standards für künstliche Intelligenz festlegen und eine Technologiedemokratie aufbauen.“, forderte Jose Enrique Onate Vera von der UNT aus Mexiko.

Solche Positionen spiegeln das verbreitete Gefühl wider, dass demokratische Kontrolle zunehmend von privaten und finanziell mächtigen Akteuren unterlaufen wird. Die letzte G20-Präsidentschaft Brasiliens schlug daraufhin eine Vermögenssteuer vor (2 % für Personen mit einem Vermögen von einer Milliarde US-Dollar, die für 3.000 Personen gelten und weltweit 250 Milliarden US-Dollar einbringen würde). Dieser Vorschlag wurde jedoch von einigen Ländern, darunter auch in Europa, nicht unterstützt. Daher drängen die Gewerkschaften weiterhin darauf, ihn auf der Tagesordnung zu belassen.

Schließlich appellierten die Gewerkschaften gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Bewegungen weltweit nachdrücklich für Frieden. Liv Torres von LO-Norwegen brachte die überwältigende Stimmung der Gipfelteilnehmer_innen zum Ausdruck:

„Die Möglichkeit von Frieden und Multilateralismus hängt von der Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte ab. Deshalb müssen wir auch eine klare Stellungnahme abgeben, um dem, was in Gaza geschieht, ein Ende zu setzen!“

Zingiswa Losi von COSATU beim  L20/Treffen der Arbeitsgruppe der Beschäftigten der G20

Bild: von South African Department of Employment and Labour Zingiswa Losi von COSATU beim L20/Treffen der Arbeitsgruppe der Beschäftigten der G20

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