Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Warum driften junge Männer und Frauen in Südosteuropa auseinander?
Der Gender Gap Report der FES-Jugendstudie 2024 zeigt: In Politik, Beruf und Alltag öffnet sich die Wertekluft zwischen den Geschlechtern – mit Folgen für Demokratie und Gleichstellung in der Region.
„The growing gulf between young men and women“ – so beschreibt The Economist die wachsende Kluft zwischen jungen Frauen und Männern weltweit. Die Financial Times spricht von einer „new global gender divide“, einem der zentralen gesellschaftlichen Phänomene unserer Zeit.
Südosteuropa bietet einen besonders aufschlussreichen Rahmen, um diese globalen Entwicklungen zu beobachten. Unterschiedliche historische Erfahrungen, politische Systeme und kulturelle Prägungen treffen hier aufeinander – und zeigen, wie sich weltweite Muster in post-transitionalen Gesellschaften konkret ausformen.
In seiner Serie The Gender Gap Report analysiert Semir Dzebo vom FES-Büro Demokratie der Zukunft in Wien auf Basis der Daten der Jugendstudie Südosteuropa 2024 – einer Befragung von fast 9.000 jungen Menschen in zwölf Ländern – wie sich Unterschiede zwischen jungen Männern und Frauen in ihren politischen Einstellungen, sozialen Werten und Alltagshaltungen zeigen. Die Ergebnisse beleuchten nicht nur den Wandel einer Generation, sondern auch die Herausforderungen demokratischer Entwicklung in der Region.
Wenn junge Menschen gefragt werden, wer die besseren politischen Führungspersönlichkeiten sind, zeigt sich ein klares Muster: Rund ein Viertel (24,6 %) der jungen Männer meint, Männer seien „bessere politische Führer“ als Frauen – bei den jungen Frauen teilt nur etwa jede Zehnte (10,9 %) diese Ansicht. Diese deutliche Geschlechterdifferenz zieht sich durch alle untersuchten Länder. Bemerkenswert ist: Die Kluft schrumpft nicht, wenn das politische Interesse steigt oder eine linke politische Orientierung vorliegt – im Gegenteil, sie wird in vielen Fällen sogar noch größer. Politisches Engagement und selbst linke Identifikation schließen also traditionelle Geschlechterbilder keineswegs aus, sondern gehen mitunter mit stärkeren stereotypen Vorstellungen einher. Das deutet darauf hin, dass Annahmen über Autorität und Geschlecht tiefer verankert sind als andere politische Überzeugungen – und somit ein zentrales Hindernis für gleichberechtigte politische Teilhabe darstellen.
Bei der Frage, was junge Menschen in Südosteuropa von einer Partnerschaft erwarten, zeigt sich ein klares Muster: Bildung steht bei beiden Geschlechtern ganz oben auf der Liste, gefolgt von wirtschaftlicher Stabilität. In nahezu allen Kriterien sind Frauen selektiver als Männer – sie legen größeren Wert auf Einkommen, Bildung, Familienakzeptanz, Religion und nationale Herkunft.
Einzige Ausnahme ist das Thema Jungfräulichkeit: Hier zeigen Männer eine deutlich höhere Selektivität als Frauen. Es ist das einzige Merkmal, bei dem Männer konservativere Erwartungen formulieren als Frauen. Zugleich verdeutlichen die Daten, dass sich städtische und ländliche Jugendliche nur geringfügig unterscheiden – die entscheidende Trennlinie verläuft zwischen den Geschlechtern.
Diese Muster spiegeln gesellschaftliche Realitäten wider: Frauen gewichten ökonomische und bildungsbezogene Kriterien stärker, was auf anhaltende Ungleichheiten in Beschäftigung und Einkommen hinweist. Männer zeigen dagegen Zurückhaltung gegenüber sich wandelnden sozialen und sexuellen Normen.
Auch bei Einstellungen zur Arbeitswelt werden Geschlechterunterschiede sichtbar. Während die Mehrheit Gleichberechtigung befürwortet, hält ein signifikanter Anteil junger Männer an der Auffassung fest, Männer sollten in Krisenzeiten Vorrang auf dem Arbeitsmarkt haben – fast doppelt so viele wie Frauen. Mit zunehmender Berufserfahrung verfestigt sich dieses Muster: Während Frauen egalitärere Haltungen entwickeln, neigen Männer zu einer Retraditionalisierung.
Diese Befunde machen deutlich, dass Gleichstellung kein linearer Fortschrittsprozess ist. Selbst Bildung und politische Aktivierung garantieren keine Abkehr von tradierten Geschlechterbildern. In einer Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit und gesellschaftlicher Polarisierung werden alte Rollenbilder oft neu verhandelt – und können gerade dort wieder an Stärke gewinnen, wo man sie am wenigsten erwartet.
Die Zustimmung zur Aussage „Männer sind bessere politische Anführer“ variiert deutlich nach politischer Orientierung. Während rechtsgerichtete Jugendliche erwartungsgemäß höhere Zustimmungswerte zeigen, offenbart die Analyse überraschend, dass auch unter linksgerichteten Jugendlichen besonders ausgeprägte Gender-Gaps bestehen. So stimmen 34,4 % der rechtsgerichteten Männer und 21,9 % der rechtsgerichteten Frauen zu, während unter linksgerichteten Jugendlichen die Differenz sogar 14,8 Prozentpunkte beträgt. Politische Links-Rechts-Orientierung verstärkt somit nicht nur geschlechtsspezifische Unterschiede, sondern kann paradoxerweise die Kluft zwischen Männern und Frauen in der Bewertung politischer Führung sogar vergrößern.
Haben Männer bei allgemeiner Jobknappheit ein größeres Recht auf Anstellung bzw. Beschäftigung als Frauen? In der Region Südosteuropa verdeckt ein moderater Gesamteffekt deutliche regionale Unterschiede: Obwohl der durchschnittliche Gender-Gap bei 6,9 % liegt, verbergen sich dahinter erhebliche regionale Extreme. Montenegro und Slowenien weisen mit über elf Prozentpunkten die größten Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf. In Albanien hingegen zeigen Männer und Frauen ähnlich hohe Zustimmungswerte. Die Türkei verzeichnet zwar die geringste Lücke, jedoch insgesamt besonders hohe Zustimmung zu einem Vorrang für Männer. Insgesamt lehnt die Mehrheit der Jugendlichen – vor allem junge Frauen – männliche Vorrangrechte bei knappen Arbeitsplätzen deutlich ab: Zwischen 60 und 85 Prozent der jungen Frauen sprechen sich dagegen aus.
Die Kombination von Beschäftigungsstatus und finanzieller Lage des Haushalts zeigt die Komplexität der Einstellungen junger Menschen zu männlicher Job-Priorität. Unter beschäftigten Männern aus prekären Haushalten unterstützen 20 % die Idee, dass Männer Vorrang bei knappen Jobs haben – der höchste Wert in der Matrix. Arbeitslose Männer aus denselben Haushalten liegen bei 17 %, während Frauen über alle Beschäftigungsgruppen hinweg konstanter reagieren: Junge Frauen aus prekären Haushalten stimmen zu 11–12 % für männliche Vorrangrechte. Die Grafik verdeutlicht, dass ökonomischer Druck vor allem bei jungen Männern traditionelle Vorstellungen von Geschlechterrollen in der Arbeitswelt verstärken kann, während Frauen vergleichsweise stabile Ablehnung zeigen.
Betrachtet man die durchschnittlichen Wichtigkeitsbewertungen für Partner:innenkriterien, zeigt sich ein deutliches Muster: Frauen bewerten alle Merkmale – von wirtschaftlicher Stabilität über Bildungsniveau bis zur Zustimmung der Familie – im Schnitt wichtiger als Männer. Die einzige Ausnahme bildet die Jungfräulichkeit, die Männer höher gewichten als Frauen. Diese Unterschiede spiegeln sowohl materielle Realitäten als auch kulturelle und normative Erwartungen wider: Frauen zeigen eine pragmatische Auswahlstrategie, während Männer traditionellere sexuelle Normen in den Vordergrund stellen. Die Grafik verdeutlicht so, dass Partnerwahlpräferenzen nicht nur individuelle Vorlieben abbilden, sondern tief verwurzelte Geschlechterunterschiede widerspiegeln.
Die kommenden Teile der Serie werden die Geschlechterunterschiede in Südosteuropa weiter vertiefen. Im Fokus stehen dabei Einstellungen zur Akzeptanz von LGBTQ+-Personen, Wahrnehmungen von Frauenrechten, das Spannungsfeld zwischen traditionellen und progressiven Werten sowie Vorstellungen von Familie, Ehe und individuellen Lebenszielen. Zudem wird das Ausmaß der politischen Teilhabe junger Menschen untersucht. Der regionale Vergleich bietet damit einen umfassenden Einblick in das Zusammenspiel von Geschlecht, sozialen Normen und politischer Kultur – und zeigt auf, welche Chancen und Hürden für Gleichstellung in dieser Generation bestehen.
Zur Originalstudie mit allen Details gelangen Sie hier.
Veranstaltungen, Projekte, Analysen und Hintergrundinformationen:
weitere Informationen