Sehnsucht nach Würde und Sicherheit

Auch in Lateinamerika verlassen immer mehr Menschen ihre Heimat, meist gen USA. Die FES widmet diesem Phänomen eine neue Publikationsreihe.

Migration in (Latein-)Amerika

Nicht nur in Europa, auch auf den amerikanischen Kontinenten haben steigende Einwanderungs- und Flüchtlingszahlen jüngst Schlagzeilen gemacht. Die Publikationsreihe „Menschen in Bewegung – Migration in (Latein-)Amerika“ beschäftigt sich unter anderem mit der Einwanderungspolitik der USA und mit den Migrationsgründen. Im Zentrum steht für viele die Sehnsucht nach einem Leben in Würde und Sicherheit.

Aufgrund des hohen Wohlstandsgefälles zwischen Nordamerika, Mexiko, Zentralamerika und der Karibik zieht es viele Menschen dieser Region in die USA. Dabei beabsichtigen bei weitem nicht alle Migrant_innen, ihre Heimat für immer zu verlassen. Die meisten wollen zumindest kurz- oder mittelfristig Geld verdienen, als Saisonarbeiter_innen in der Landwirtschaft oder Gastronomie oder als Pflegekräfte, um ihre Familien finanziell zu unterstützen. In Honduras machen die Rücküberweisung von Migrant_innen 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Sie übersteigen die ausländischen Direktinvestitionen im Land um das Dreifache.

US-Wahlkampf: Abschottung oder progressive Politik?

Auch wenn die US-amerikanische Einwanderungspolitik offener gestaltet ist als die der Europäischen Union, werden dort nicht alle Ankommenden bedingungslos mit offenen Armen empfangen. Die Ankunft vieler unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge aus Zentralamerika im Jahr 2014 hat für große Bestürzung in der US-amerikanischen Öffentlichkeit gesorgt. Es folgten hitzige, politische Debatten darüber, wie mit den „undokumentierten“, irregulär eingereisten Migrant_innen umzugehen ist und wie verhindert werden kann, dass sich die Wanderungsbewegung fortsetzt.

Das Thema spielt auch im aktuellen US-Wahlkampf eine große Rolle: Donald Trump befürwortet den Bau einer Mauer entlang der südlichen Grenze der USA und will alle Latino-Einwanderer ohne Papiere abschieben. Hillary Clinton wirbt für eine progressive Einwanderungs- und Integrationspolitik. Davon würde die USA wirtschaftlich wie gesellschaftlich profitieren, wie Michael Czogalla belegt.

Die derzeitige US-amerikanische Außenpolitik setzt zum einen auf verstärkte Grenzkontrollen – nicht nur an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, sondern auch entlang der Grenzen zwischen Mexiko und den Nachbarstaaten Guatemala und Belize. So sollen die Migrationsrouten strenger kontrolliert werden. Zum anderen beabsichtigen die USA, mit entwicklungspolitischen Ansätzen die wirtschaftliche und soziale Lage in Herkunftsländern wie El Salvador, Guatemala und Honduras zu verbessern. Alle Maßnahmen zielen darauf ab, die Anreize dafür, in die USA auszuwandern, zu reduzieren, wie Eric Olson in seinem Beitrag „Grenzen ziehen und Wohlstandsperspektiven schaffen“ zeigt.

Flucht vor organisierter Kriminalität, Gewalt und Perspektivlosigkeit

El Salvador, Guatemala und Honduras, die Länder des „nördlichen Dreiecks“, sind von Gewalt und Unsicherheit geprägt. Organisierte Banden mit bis zu 50.000 Mitgliedern kontrollieren ganze Stadtviertel und Landstriche. Die staatlichen Institutionen sind häufig korrupt und eng mit der organisierten Kriminalität verwoben. Viele Bürger_innen leben in ständiger Angst vor Überfällen, Erpressungen und Zwangsrekrutierungen durch die Banden. Mordraten wie in Bürgerkriegen zeugen von der extremen Gewalt, der die Menschen ausgesetzt sind. Zudem ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch, so dass junge Menschen kaum auf ein würdevolles Leben hoffen können.

Der Wirtschaftswissenschaftlerin Ana Ortega von der Nationalen Universität von Honduras zufolge ist Migration auch eng verbunden mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Natürliche Ressourcen, Bodenschätze, Arbeitskraft – all dies beuten ausländische Unternehmen aus. Zugleich schützt die Regierung von Honduras die Menschen- und Arbeitnehmerrechte der eigenen Bürger_innen nicht ausreichend. Stattdessen bereichern sich korrupte Eliten an dem ausbeuterischen System und profitieren davon, dass ärmere Bevölkerungsgruppen das Land verlassen müssen und ihre Machtposition so nicht gefährden.

Leben in Sicherheit und Würde ermöglichen

Die menschliche Sehnsucht nach einem Leben in Würde und Sicherheit ist auch in Lateinamerika ein starkes Motiv für Migration. Die Autor_innen der Publikationsreihe „Menschen in Bewegung: Migration in (Latein-)Amerika“ fordern, dass die Regierungen die Rahmenbedingungen schaffen müssen, die ihren Bürger_innen solch ein Leben ermöglichen. Gleichzeitig müssen kurzfristig das Überleben und die Würde der Menschen geschützt werden, die ihr Land verlassen und an einem anderen Ort ein Auskommen finden möchten.

Einige Regierungen haben erste, wichtige Schritte unternommen: Costa Rica hat jüngst eine Vereinbarung mit dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge und mit der Internationalen Organisation für Migration abgeschlossen, um akut bedrohte Menschen in Sicherheit zu bringen („Protection Transfer Arrangement“). Während die USA ihre Aufnahme prüft, finden sie in Costa Rica Schutz, statt in ihrem Heimatstaat abzuwarten, wo sie besonders gefährdet wären.


Olson, Eric L.

Grenzen ziehen und Wohlstandsperspektiven schaffen!

US-amerikanische Strategien in der Flüchtlingskrise unbegleiteter Minderjähriger aus Zentralamerika
Berlin, 2016

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Czogalla, Michael

Immigrant ̲ innen aus Lateinamerika in den USA

Jobmotor und Jungbrunnen?
Berlin, 2016

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Ortega, Ana

Freiwillige Migration oder Vertreibung?

Emigration aus Honduras als Überlebensstrategie
Berlin, 2016

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Martínez, Daniel E.

Im Schatten der Mauer

Die Auswirkungen des US-amerikanischen Ausbaus von Grenzschutz und verstärkter Zuwanderungskontrolle
Berlin, 2016

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Serje, María Cristina

Politik für Binnenvertriebene in Kolumbien

hehre Ziele, widrige Bedingungen
Berlin, 2016

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Ingrid Roß
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