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Die bedrohlichen Auswirkungen des Klimawandels auf das Leben der Menschen im Feuchtgebiet Tanguar Haor in Bangladesch: ein Fotoessay unseres Kollegen Harunur Rashid Sagar.
Text und Fotos von Harunur Rashid Sagar (FES Bangladesch)
„Wenn das noch ein paar Jahre so weitergeht, fürchte ich, dass wir keine Schule, keine Ernten und keine Zukunft mehr in Tanguar Haor haben werden“, sagt Md Mudassir Alam, Direktor der Janata High School, und lässt seinen Blick zum Horizont schweifen. Das Wasser war einst ein Segen für den Boden, nun aber überschwemmt es zu manchen Zeiten die ganze Gegend und bringt Zerstörung, während es zu anderen Zeiten völlig ausbleibt.
Tanguar Haor ist ein ausgedehntes saisonales Feuchtgebiet im Nordosten von Bangladesch, welches sich über eine Fläche von 10.000 Hektar erstreckt und über 70.000 Menschen in 46 Dörfern eine Lebensgrundlage bietet. Im Jahr 2000 wurde Tanguar Haor aufgrund seiner reichen Biodiversität zum Ramsar-Gebiet erklärt, einem Feuchtgebiet von internationaler ökologischer Bedeutung gemäß der Ramsar-Konvention von 1971. Die hier vorkommenden Fischarten und Nutzpflanzen und das Wasser der Gegend ernähren das Land und seine Bevölkerung. Dieses Gleichgewicht wird jedoch durch die Auswirkungen des Klimawandels mehr und mehr gestört.
Das System der Flüsse Surma und Kushiyara, das das Haor-Becken durchzieht, steht aufgrund von Temperaturschwankungen und veränderten Niederschlagsmustern unter immer größerem Druck. Dieses einzigartige Gebiet ist hochgradig anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels, was sich insbesondere auf die Lebensgrundlagen der dort ansässigen Gemeinden auswirkt. Jüngste wissenschaftliche Daten zeigen, dass die Regenfälle in der Tanguar Haor-Region in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen sind. Zwischen 1980 und 2008 sank die jährliche Gesamtniederschlagsmenge um 582mm, während die Durchschnittstemperatur um mehr als 1,4°C anstieg. Hierbei ist in den letzten 39 Jahren ein Aufwärtstrend sowohl bei der jährlichen Höchst- als auch der Tiefsttemperatur zu beobachten. Diese Klimaveränderungen haben direkte Auswirkungen auf Erntezyklen, die Lebensräume von Fischen und die hydrologischen Bedingungen des Feuchtgebiets im Allgemeinen.
Aus Sicht eines lokalen Umweltaktivisten ist die Ursache des Problems, dass die Natur bei der Entwicklungsplanung ignoriert wird. Dies schade letztendlich sowohl der Umwelt als auch der lokalen Bevölkerung. „Wenn wir von Entwicklung sprechen, geht es nicht nur um Infrastruktur“, sagt Ruhul Amin, Hauptkoordinator der lokalen Organisation Amra Haorbasi (“Wir, das Haor-Volk”). „Es ist, als würden wir gegen die Natur kämpfen, aber so sollte es nicht sein. Wir müssen im Einklang mit ihr leben. Ansonsten werden die Folgen schlimmer sein, als wir uns das vorstellen können.”
Bäuer_innen in Tanguar Haor konnten sich lange auf eine jährliche Reisernte verlassen. Angepflanzt wurde in der von Oktober bis März andauernden Trockenzeit, geerntet kurz vor dem Monsun, der historisch immer im Juni begann. Aber dieser früher so verlässliche Kalender gilt nicht mehr: „Wir haben uns immer auf eine Reisernte verlassen. Und jetzt ist nicht einmal mehr die sicher. Die Überschwemmungen kommen zu früh, und die trockenen Monate sind heftiger als früher“, erzählt ein Bauer aus der Upazila (Sub-Distrikt) Tahirpur. Es kommt nun häufig schon Ende März oder Anfang April zu Sturzfluten – Wochen früher als in der Vergangenheit – die fast reife Ernten vernichten und die Familien tiefer in Armut stürzen.
Zu den Klimaveränderungen kommen die Auswirkungen menschlicher Verhaltensweisen hinzu. „Ich glaube, eine der Hauptursachen der Sturzfluten ist die Überbevölkerung. Die Menschen bauen Häuser und vergrößern ihr Ackerland, indem sie die Kanäle und Teiche zuschütten, die das Wasser zu den Hauptflüssen ableiten. So wird der natürliche Fluss des Wassers blockiert“, sagt Md. Noman Ahmed, Direktor der Satgaon Jibdara High School (Upazila Shantiganj, Distrikt Sunamganj). „Es werden viele schlecht geplante künstliche Uferbefestigungen gebaut. Dadurch laufen die Flüsse in der Regenzeit über, und es kommt zu Sturzfluten. Die Situation verschärft sich zusätzlich, weil Flüsse wie der Surma und der Kushiara wegen der Verschlammung nur eine geringere Tiefe aufweisen“, fügt er hinzu.
Der Schaden betrifft aber nicht nur die Landwirtschaft. Auch die Erträge im Fischfang gehen immer weiter zurück, denn die früher im Überfluss vorhandene Fischarten sind entweder abgewandert oder aufgrund gestörter Laichzyklen, verschmutzter Gewässer und schrumpfender Lebensräume drastisch zurückgegangen. „In jeder Saison jagen wir die Fische tiefer ins Feuchtgebiet hinein. Es gibt nun weniger, und sie sind schwieriger zu finden“, so Md. Eyasin, langjähriger Fischer aus Tanguar Haor. Jüngere Studien zeigen, dass unregelmäßige Regenfälle, steigende Temperaturen, Sedimentablagerungen, Überfischung und die Degradierung der Sumpfwälder stark negative Auswirkungen auf die Vielfalt an Fischarten in Tanguar Haor haben, was wiederum das ökologische Gleichgewicht und die lokalen Existenzgrundlagen beeinträchtigt.
Die indirekten Auswirkungen des Klimawandels (Welleneffekte), sind auch im Bildungs- und Gesundheitswesen deutlich spürbar. „Während der Überschwemmungen bleibt unsere Schule geschlossen, und es gibt drei oder vier Monate lang keinen Unterricht“, erzählt Subarna Akter Jui, eine Neuntklässlerin der Janata High School. „Wegen der langen Unterbrechungen haben wir große Schwierigkeiten bei wichtigen Prüfungen.” In Folge dessen brechen viele Schüler_innen die Schule komplett ab. Ungefähr 77% der Bevölkerung in der Region verlassen die Schule ohne Abschluss oder haben nur die Grundschule absolviert, was die Schwierigkeiten der Anpassung an die neuen klimatischen Herausforderungen noch verstärkt. Im Vergleich dazu sind laut Daten des Amtes für Statistik landesweit nur ca. 24% der Einwohner_innen über 7 Jahren Analphabet_innen.
Frauen und Mädchen tragen die schwerste Last. Da die Wasserquellen während der Überschwemmungen oft verschmutzt sind, ist die Situation für die Frauen besonders schwer, da sie die Aufgabe haben, frisches, sauberes Wasser zu beschaffen, das sie auch für ihre Monatshygiene benötigen. Sie lassen oft Mahlzeiten aus, damit ihre Kinder genug zu essen haben. Der fehlende Zugang zu Basisdienstleistungen ist eine der zentralen Ursachen der Vulnerabilität in der Tanguar Haor-Region und betrifft Frauen aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität, ihres niedrigeren Einkommens und ihren geringeren Alternativen zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage überproportional.
Auch lokale Führungspersönlichkeiten sind frustriert: „Jedes Jahr brechen die Dämme zusammen – von denen viele gleichzeitig als Straßen dienen – weil Hochwasser und Regenfälle stärker werden“, sagt Md. Ali Hyder, Vorsitzender des Unionsrates von Sreepur North (Tahirpur). „Wenn das passiert, kennt unser Leid keine Grenzen. Wir suchen dringend nach einer langfristigen Lösung. Ich rufe die zuständige Behörde inständig dazu auf, aktiv zu werden.“ Aber die Infrastruktur mit den Straßen und Schutzdämmen bleibt anfällig und schwach.
Fähren sind während des Monsuns für das Transportwesen und den Handel in der Region unverzichtbar. Aber auch die Menschen, die auf den Fähren arbeiten stehen in Bezug auf den Klimawandel vor ganz eigenen Herausforderungen. „In manchen Jahren trocknet das Feuchtgebiet zu schnell aus, dann sind Boote nutzlos. Und dann wiederum gibt es Zeiten, in denen das Hochwasser und der Regen so stark sind, dass wir unser Leben riskieren, wenn wir unsere Fahrgäste transportieren“, sagt Delwar Hossain, ein Fährmann aus Current Bazar (Tahirpur). Außerdem sind die Kraftstoffpreise gestiegen, und weniger Fahrgäste können es sich leisten, für die Überfahrt zu bezahlen – auch dies erschüttert die Einkommensstabilität.
Trotz all dieser Schwierigkeiten sind die Menschen in Tanguar Haor keine passiven Opfer. Anpassungsstrategien werden gefunden: manche seit Jahrhunderten bekannt, manche neu entwickelt. Die Diversifizierung der Nutzpflanzen, das Anlegen von Gemüsegärten zur Selbstversorgung, Aquakultur in Netzgehegen, sowie Pflanzungen in Hochbeeten sind Methoden, die nun in den Dörfern ausprobiert werden. NGOs und lokale Organisationen haben begonnen, Schulungen über klimaresistente Landwirtschaft und Notfallvorsorge anzubieten. Frauen sind immer mehr an der Erschließung alternativer Existenzgrundlagen wie Schneidern und Gemüsezucht beteiligt, um das Haushaltseinkommen zu ergänzen.
Expert_innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft schlagen mehrere Gegenmaßnahmen vor: Zunächst sollten die Flüsse regelmäßig ausgebaggert und Verbindungskanäle wieder geöffnet werden, um das natürliche Abfließen des Wassers zu gewährleisten. Zweitens sollte im Feuchtgebiet eine saisonale Schonzeit eingerichtet werden, damit sich Fische und andere Arten vermehren und angemessen wachsen können. Drittens sollten bei Investitionen in die Infrastruktur Dämme, flutresistente Straßen und solarbetriebene Wasseraufbereitungssysteme priorisiert werden. Viertens sollte dringend eine auf die Bedürfnisse der Haor-Gemeinden abgestimmte Schul- und Berufsausbildung eingeführt werden. Und zu guter Letzt sind Aufklärungskampagnen sowohl für die Bevölkerung als auch für Tourist_innen essenziell, um die Biodiversität des Feuchtgebiets zu schützen.
Internationale Regelungen wie das Nachhaltige Entwicklungsziel der Vereinten Nationen Nummer 13, das dringend zur Bekämpfung des Klimawandels und dessen Auswirkungen aufruft, sollte als Orientierung für Bangladeschs nationale und lokale Strategien herangezogen werden. Tanguar Haor als wichtige Öko- und Wirtschaftszone verdient gezielte Aufmerksamkeit – nicht nur, um ein wichtiges Feuchtgebiet zu retten, sondern auch um die vielen Leben zu schützen, die von ihm abhängen.
Als die Sonne über dem Wasser untergeht und die teilweise versunkenen Häuser in goldenes Licht taucht, sagt Ruhul Amin nachdenklich: „Rettet Tanguar Haor, rettet Sunamganj.” In seinen Worten hallt sowohl Dringlichkeit als auch die Würde eines Volkes wider, das sich weigert aufzugeben.
Tanguar Haor ist mehr als ein Ort auf der Landkarte. Es ist ein lebendiges, atmendes Ökosystem und eine Lebensader für tausende Menschen. Seine Zukunft hängt nicht nur von der Gnade der Natur ab, sondern auch von menschlichem Handeln – koordiniert, inklusiv und dringend. In der Geschichte des Klimawandels sind die Menschen von Tanguar Haor nicht nur passive Schachfiguren. Sie sind die Autor_innen an vorderster Front und schreiben eine Geschichte über das Überleben, über Resilienz und über Hoffnung.
Harunur Rashid Sagars Fachgebiete sind Entwicklungskommunikation, Medien und Fotografie, Bereiche, in denen er über ein Jahrzehnt lang praktische Erfahrung gesammelt hat. In seiner Rolle als Kommunikations- und Projektmanager im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Bangladesch koordiniert er Kommunikations- und Projektinitiativen, die eine nachhaltige Zukunft fördern. Klimagerechtigkeit ist eine seiner Leidenschaften, und Sagar nutzt seine eigene Sichtweise und sein erzählerisches Talent, um die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels offenzulegen und die gelebten Realitäten von vulnerablen Ökosystemen und Gemeinschaften zu beleuchten.
Dieser Beitrag erschien im Original in englischer Sprache auf asia.fes.de
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