Weltweit einzigartig: Neue Transparenz- und Umweltstandards mit besonderem Schutz für Aktivist_innen kommen aus Lateinamerika.
Wir sprachen mit Thomas Hartmann, Berliner Referent für das Regionalprojekt sozial-ökologische Transformation in Lateinamerika, über die gerade erschienene FES-Perspektive »Das Abkommen von Escazú - Meilenstein für Menschenrechts- und Umweltpolitik« (Link s. u.).
Am 22.4.2021 trat das Abkommen von Escazú in Kraft. Worum geht es genau, und warum wird es als Meilenstein bezeichnet?
Das »Abkommen für den Zugang zu Information, die öffentliche Teilnahme und den Zugang zur Justiz in Angelegenheiten der Umwelt in Lateinamerika und der Karibik« wurde von 24 Staaten über mehrere Jahre verhandelt und ist nach seinem Entstehungsort in Costa Rica benannt. Mit der Ratifizierung von zwölf Ländern wurde die nötige Mindestzahl erreicht, damit das Abkommen im April schließlich in Kraft treten konnte. Es ist der erste Vertrag, der von und für die Staaten Lateinamerikas verhandelt wurde und das erste regionale Umweltabkommen überhaupt. Sein Ziel ist die Verknüpfung von Menschen- und Umweltrechten. Mehr Bürger_innenbeteiligung und die Durchsetzung von Bürger_innenrechten in Umweltangelegenheiten sollen beispielsweise zu neuen Mechanismen bei der Prävention von sozialen Konflikten bzw. deren Deeskalation sowie bei der Garantie der Menschenrechte führen. Zivilgesellschaftliche Akteure spielten dabei von Beginn an eine zentrale Rolle und waren an den Verhandlungen beteiligt. Zudem ist es weltweit das erste Mal, dass auch verbindliche Schutzmechanismen für Menschenrechts- und Umweltaktivist_innen in einem internationalen Abkommen festgeschrieben wurden. Der Escazú-Vertrag geht damit über das internationale Übereinkommen von Aarhus hinaus, das seit 1998 jedem Menschen Rechte im Umweltschutz zuschreibt.
Warum ist der Schutz von Aktivist_innen besonders im lateinamerikanischen Kontext so zentral?
Lateinamerika verfügt über die weltweit größte Biodiversität. Die Ausbeutung begehrter, meist nicht erneuerbarer, natürlicher Ressourcen führt aber auch zu massiver Umweltzerstörung. Für die Staaten sind die Einnahmen, etwa aus dem Bergbau oder der industriellen Landwirtschaft, eine wichtige Devisenquelle, so dass wirtschaftliche Interessen meist im Vordergrund stehen - zu Lasten der Umwelt. Die betroffenen ländlichen und oft indigenen Regionen profitieren dabei kaum von den Einnahmen und stehen der Zerstörung ihres Lebensraums gegenüber. Gleichzeitig ist Lateinamerika auch die gefährlichste Region auf der Welt für Umweltaktivist_innen. Alleine 2019 sind nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Global Witness mindestens 212 Umweltschützer_innen weltweit getötet worden. Mehr als zwei Drittel davon wurden in Lateinamerika registriert. An der Spitze lag Kolumbien mit 64 Toten. Besonders betroffen sind Frauen und Indigene, während die Täter_innen weitestgehend straflos bleiben. Zudem war Lateinamerika schon vor der Corona-Pandemie weltweit die Region mit der größten sozialen Ungleichheit. Diese Kluft hat sich durch den Einbruch der Wirtschaft weiter vertieft, während das Interesse an der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der industriellen Landwirtschaft noch gestiegen ist. Die Folge sind soziale Konflikte, die oft mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Angesichts der großen Zahl getöteter Aktivist_innen sowie der Auswirkungen der Klimakrise auch auf die sozialen Konflikte kann das Escazú-Abkommen einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Menschen- und Umweltrechte in der Region leisten.
Welche Mechanismen können zur Konfliktlösung beitragen, und wie geht es mit dem Abkommen weiter?
Obwohl es in den meisten beteiligten Ländern umfassende Umweltgesetze gibt, werden die bestehenden Beteiligungs- und Umweltschutzmechanismen bisher oft nicht ausreichend umgesetzt. Im Rahmen des Escazú-Abkommens haben sich die Länder zu verschiedenen Maßnahmen verpflichtet, die zur Prävention von Konflikten in der Region beitragen könnten: etwa die Schaffung eines vergleichbaren gesetzlichen Rahmens für den Zugang zu Informationen, umfassende Klagerechte, die Umkehr der Beweispflicht oder das Einsetzen von Umweltgerichtshöfen. Im Frühjahr 2022 wird dann bei der ersten Mitgliederkonferenz der Vertragsländer über die weiteren Regelungen und deren Implementierung entschieden. Problematisch bleibt allerdings, dass wichtige Staaten mit besonderer Relevanz für die Umwelt und mit gleichzeitig großem Konfliktpotential wie Brasilien, Chile oder Peru das Abkommen bisher nicht ratifiziert haben. Letztlich wird der Erfolg des Abkommens aber auch wesentlich vom Beitritt dieser Länder abhängen. Öffentlicher Druck und politische Informationsarbeit bleiben daher in der Region - aber ebenso hierzulande - auch künftig nötig, damit das Abkommen die bereits geweckten Hoffnungen auch erfüllen kann.