Je mehr in den 1950er Jahren die Bundesregierung und die Menschen im Westen davon überzeugt waren, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung bei ihnen erfolgreicher vollzog (Stichwort „Wirtschaftswunder“), desto mehr trat der Gedanke, selbst Bittsteller zu sein, in den Hintergrund. Gleichzeitig waren sie sich der in der Nachkriegszeit empfangenen Hilfe bewusst und wollten nun selbst Verwandte und Bekannte in der ebenfalls wie die Bundesrepublik 1949 gegründeten DDR unterstützen.
Werbung für Paketversand
Die Bundesrepublik ihrerseits hatte ein großes Interesse daran, dass sich die Menschen auf privater Ebene Päckchen und Pakete schickten. Durch Plakatwerbung, Zeitungs- und Radioaufrufe versuchte sie, die Bundesbürger zum Versand von Paketen zu motivieren. Immer wieder hörten und sahen die Menschen die Mahnungen „Dein Päckchen nach drüben – sie warten drauf“ oder „In guten wie in schlechten Zeiten: Briefe, Päckchen und Pakete nach drüben“. Dabei verfolgte die Bundesrepublik mit ihren Aufrufen nicht nur ein rein karitatives Anliegen. Konnte doch so ganz ohne weiteres vermittelt werden, dass es der eigenen Bevölkerung im Westen schon wirtschaftlich wieder so gut ging, dass sie zusätzlich in der Lage waren, ihre Landsleute im Osten zu unterstützen.
Dieser Umstand darf besonders zu Zeiten des Kalten Kriegs nicht zu gering eingeschätzt werden. Denn die Versorgung mit Lebensmitteln war für die Menschen, besonders nach Kriegsende, ein wichtiger Gradmesser dafür, welches politisches System erfolgreicher war beziehungsweise die Menschen gut und umfassend versorgen konnte.
Die Aufrufe mahnten die Bürger_innen im Westen Deutschlands regelmäßig, ihren »armen Brüdern und Schwestern« im Osten Deutschlands Päckchen und Pakete zu schicken. Und das taten sie auch. Viele erinnern sich auch heute noch an die große Freude, die die Westpakete ins Haus brachten. Dabei ist es vor allem der unverwechselbare Geruch - die Mischung aus Kaffee, Kakao, Seife, Schokolade sowie Orangen und Puddingpulver, die beim Öffnen den ganzen Raum erfüllte -, der vielen Empfängern noch präsent ist.
Und auch die „Ostpakete“, die regelmäßig an Verwandte und Bekannte in die Bundesrepublik geschickt wurden, hatten einen typischen Geruch - den nach selbstgebackenem Stollen. Doch auch mit klassischer Literatur, Schallplatten und kunstgewerblichen Gegenständen bemühten sich die Menschen aus der DDR, eine Freude zu bereiten.
Die Menschen verhielten sich unterschiedlich gemäß ihrer eigenen Sozialisationserfahrungen in Bezug auf den Päckchen- und Paketverkehr. Besonders die Zeitzeugen der Jahrgänge 1923-35, die den Krieg erlebt und nach dessen Ende selbst durch CARE-Pakete Unterstützung erfahren hatten, verschickten Geschenksendungen aus einer karitativen Motivation heraus. Bei den Geschenksendungen aus dem Osten handelt es sich der Größe nach zumeist um Päckchen.
Aus der Überzeugung heraus, dass es um die Lebensumstände der Menschen schlechter bestellt sein müsse als um die eigenen, war es für viele westlichen Versender eine Art Selbstverständlichkeit, verbunden mit dem Gefühl der Verpflichtung, zu helfen. Gleichzeitig betonten sie immer wieder, dass auch sie nach Kriegsende nicht - wie viele der ostdeutschen Verwandten und Bekannten zu glauben schienen - im »Schlaraffenland« lebten, sondern sich bei ihnen der wirtschaftliche Aufschwung erst nach und nach einstellte.
Früher selbst Hilfe erhalten
Aufgrund der bewussten Erfahrung des eigenen Mangels entschieden sich diese ersten Versender vor allem für haltbare Lebensmittel wie Mehl, Zucker, Dauerwurst, Konserven und Kaffee, also Produkte, deren Verbrauchszeitpunkt aufgrund langer Haltbarkeit selbst bestimmt werde konnte. Die in der Forschung untersuchte zweite Jahrgangsgruppe (1947-55), altersmäßig meist die Kinder der ersten Zeitzeugen, hielt vor allem die Verbindungen zu den bereits vorhandenen Empfängern aufrecht. Nur selten wurden neue Empfänger in die Liste der beschenkten Menschen aufgenommen, so dass über die Jahre - dies zeigte sich bei der dritten Gruppe der Zeitzeugen (Jahrgang 1959-71) - die Verbindungen immer weniger wurden. Dies lag vor allem am Fehlen persönlicher Beziehungen, die in den vorangegangenen Altersgruppen noch existiert hatten. Nur selten wurde der Versand in gleicher Intensität von den nächsten Generationen weitergeführt. Vielmehr reduzierte sich dieser und beschränkte sich auf bestimmte Festtage sowie kurze Briefe oder Postkarten.
Die Geschenksendungen aus Ost und West lösten nicht immer nur Freude aus, denn oft waren mit ihnen Unsicherheiten verbunden. Diese ergaben sich in erster Linie aus dem unterschiedlichen Charakter, der den Geschenksendungen innewohnte. Obwohl die Westpakete meist aus Lebensmitteln bestanden, also Gegenständen, denen typischerweise nicht unmittelbar der Charakter eines Geschenkes beigemessen wird, war die Freude bei den Beschenkten über die Maßen vorhanden. Diesen Lebensmitteln wurde schon allein deshalb eine Besonderheit zugeschrieben, da sie in der DDR kaum oder gar nicht zur Verfügung standen und durch ihre bunten und farbenfrohen Verpackungen, die es in der DDR so nicht gab, von einer Aura des Exquisiten umgeben waren.
Schenken auf Augenhöhe?
Da die Freude darüber im Osten Deutschlands groß war und dies auch so in den Westen kommuniziert wurde, wurde Lebensmitteln beiderseitig der Status eines Geschenks beigemessen. Obwohl die Ostpakete, abgesehen von regionalen Spezialitäten wie Stollen, die nur zur Weihnachtszeit verschickt wurden und dann meist zu einem Großteil aus bundesrepublikanischen Zutaten bestanden, meist keine Lebensmittel enthielten, sondern Bücher, Handwerkliches oder andere Waren, hielt sich bei den Beschenkten im Westen die Freude in Grenzen. Diese Schieflage wurde durch folgenden Gegensatz verstärkt: So gehörte der Inhalt der Westpakete für die Versender selbst zum Alltag, konnte ohne Probleme erworben werden und löste bei den Empfängern dennoch große Glücksgefühle aus. Die Gegenstände aus dem Osten hingegen, die für die Versender selbst eine Rarität darstellten und meist nur mühsam besorgt werden konnten, riefen bei den westdeutschen Empfängern dagegen nicht die gleiche Wertschätzung hervor. Zum einen, da jene Produkte in der Bundesrepublik einfach zu kaufen waren, und zum anderen, weil die kunstgewerblichen Gegenstände nicht immer den Geschmack trafen.
Dieses Schenken auf unterschiedlichen Ebenen stellte insbesondere die ostdeutschen Versender vor eine Herausforderung - konnten sie doch nur schwerlich auf »Augenhöhe« zurückschicken. Sie fühlten sich deshalb insgesamt eher in der Rolle der Nehmenden als der Gebenden, auch wenn sie diese Zuschreibung nur allzu gern abgestreift hätten. Oft versuchten sie sich auf anderem Wege zu revanchieren, beispielweise indem sie vor Ort zum Restaurantbesuch einluden. Doch auch dies war problematisch, wenn der Besuch den Betrag des Zwangsumtausches (D-Mark in DDR-Mark) nicht verfallen lassen wollte und deshalb selbst zum Essen einlud, so dass auch dieser Weg der »Wiedergutmachung« nur teilweise beschritten werden konnte.
Wesentliche Motive
Grundsätzlich existierten zwei Motive, die die Menschen in West und Ost dazu veranlassten, Päckchen und Pakete zu verschicken. Zum einem ein karitatives Motiv, Unterstützung zukommen zu lassen, und zum anderen ein kommunikatives Motiv, also das Bestreben, durch Geschenksendungen mit dem Empfänger in Kontakt zu bleiben. Beide Beweggründe waren in Ost und West unterschiedlich stark ausgeprägt. Das karitative Moment - auch wenn es zu Beginn sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik für den Päckchen- und Paketverkehr in den jeweils anderen Teil Deutschlands postuliert wurde - verankerte sich vor allem in den Köpfen und Herzen der bundesrepublikanischen Versender.
In den ersten Nachkriegsjahren schien es für die Menschen in Ost und West so, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik schneller vollzog als in der DDR. Dies hielt die SED-Regierung der DDR ihrerseits jedoch nicht davon ab, ebenfalls ein karitatives Moment für den Versand der Ostpakete zu beschreiben. Jedoch wurde dabei - verglichen mit den umfassenden und regelmäßigen Aufrufen in der Bundesrepublik, die vor allem einen Individualversand forderten - mehr der gesamtgesellschaftliche Auftrag von Organisationen wie der Volkssolidarität und den Volkseigenen Betrieben hervorgehoben. Sie sollten dazu beitragen, den Arbeitern, um die es nach Überzeugung der DDR-Führung in der kapitalistischen Bundesrepublik schlechter bestellt war, eine Unterstützung zukommen zu lassen. In der ostdeutschen Presse fand sich Anfang der 1950er zu den Festtagen immer wieder der Hinweis, dass die »eingekerkerten Freiheitskämpfer« - gemeint waren jene Arbeiter und Bauern, die in der Bundesrepublik lebten und sich für die Vorzüge des sozialistischen Gesellschaftssystems einsetzten - mit Geschenksendungen bedacht werden sollten.
Spiegel der Lebensverhältnisse
Der Versand der Päckchen und Pakete half einerseits, den grundlegenden Kontakt zwischen Familien und Bekannten aufrechtzuerhalten, andererseits trug er dazu bei, die entstandenen Bilder vom Leben der Menschen im jeweils anderen Teil zu bestätigen.
Jedes Westpaket, das mit teilweise kostbaren, exotisch anmutenden und bunt verpackten Lebensmitteln und Produkten gefüllt war, verstärkte den Eindruck, dass das Leben in der Bundesrepublik gleich einem »Schlaraffenland« sein müsste. In diesem schien kein Mangel zu herrschen und alles stand jedem jederzeit zur Verfügung. Die Geschenksendungen, die „den Westen“ ganz praktisch und handhabbar in die ostdeutschen Wohnzimmer und Küchen brachten, schienen mehr als verheißungsvoll. Dass aber viele Versender auch mit ihren eigenen finanziellen Mitteln haushalten mussten, war in der DDR nicht immer bekannt und wurde von westdeutscher Seite nur selten kommuniziert.
Auch die Ostpakete bestätigten den Westdeutschen ihre jeweilige Vorstellung über die Lebenssituation der Verwandten und Bekannten zwischen Elbe und Oder. Zeugte der Inhalt der Westpakete von Wohlstand, wirtschaftlichem Aufschwung und für viele auch von einem unbeschwerten Leben in der Bundesrepublik, riefen die Geschenke aus dem Osten oft ein gegenteiliges Gefühl hervor. Den Gegenständen wohnte kein »Zauber« inne und sie erfüllten zumeist keine langgehegten Wünsche. Sie konnten grundsätzlich alle in der Bundesrepublik erworben werden. Dennoch wurde die Absicht der ostdeutschen Versender, sich revanchieren zu wollen, stets anerkannt und wertgeschätzt. Da sich der Inhalt der Ostpakete über die Jahre kaum veränderte und hauptsächlich aus nicht konsumierbaren, aber platzraubendem Waren bestand, hätten viele Empfänger_innen lieber darauf verzichtet. Aus diesem Grund verwiesen manche gerne darauf, dass es dieses Danks nicht bedürfe, zumeist versehen mit der Begründung, dass sie sich die Gegenstände ohnehin selbst kaufen könnten und sich die Verwandten und Bekannten die finanzielle Belastung nicht weiter zumuten sollten - ein oft gut gemeinter Hinweis, der den »armen Brüdern und Schwestern« das Leben erleichtern sollte.
Dass er die Rolle der Westdeutschen als Gebende und der Ostdeutschen als Nehmende über Jahrzehnte hinweg zementierte und die Schieflage in den persönlichen Beziehungen weiter ausbaute, war den Menschen in der Bundesrepublik kaum bewusst, den Menschen im Osten hingegen sehr wohl.