Wohlfahrt 4.0? Europäische Wohlfahrtsstaaten in der Digitalisierung

Vorstellung einer Studie sowie Dokumentation der FES-Tagung vom 17. Oktober 2016 in der FES Berlin

Welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung für Europas Wohlfahrtsstaaten mit sich? Prof. Daniel Buhr, Universität Tübingen, hat eine Studie im Auftrag der FES erarbeitet, die diese Frage anhand eines Vergleichs von drei Politikfeldern – Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Innovationspolitik – für sieben Länder Europas beantworten möchte.

Die Studie wurde im Rahmen einer Tagung am 17. Oktober 2016 in der FES Berlin vorgestellt: Zur Video-Dokumentation der Tagung.

Der folgende Artikel führt in das Thema ein und skizziert die Entwicklungen, die in der Studie untersucht werden. Die Gesamtstudie sowie die einzelnen Länderstudien sind im Folgenden als PDF-Downloads abrufbar.

Digital ist besser – wenn alle profitieren

Die Digitalisierung in Europa sollte einen gesellschaftlichen Fortschritt unterstützen. Dafür braucht es einen aktiven Staat – Schweden kann ein Modell dafür sein.

Bild: von ANDIA / VISUM

Die Digitalisierung verändert unsere Welt. Mit dem Siegeszug der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ist eine veritable industrielle Revolution verbunden. Neben dem umfassenden Einsatz von Computern in allen Lebensbereichen ist es vor allem die sich mit rasendem Tempo verändernde Welt des Internets, die uns dazu permanent anhält unsere Gegenwart zu updaten. Soweit die Binsenweisheit.

Industrie 4.0 - mehr als nur vernetzte Maschinen

Doch jenseits der Illusionsmaschinen der sozialen Medien haben wir es tatsächlich mit fundamentalen Verschiebungen der (Realitäts-)Produktion zu tun. Es sind eben nicht nur Blasen im Überbau - IKT verändern die Basis von Wirtschaft und Gesellschaft. Dafür steht das Schlagwort Industrie 4.0, das auf die vierte industrielle Revolution verweist. Nach Mechanisierung, Massenfertigung und automatisierter Produktion ist es nun die "smarte Fabrik", in der wir unsere Güter, aber auch gesellschaftliche Verhältnisse herstellen. Grundlage dafür sind "intelligente, digital vernetzte Systeme" die eine "selbstorganisierte Produktion" ermöglichen sollen und in der "Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren", so die Plattform Industrie 4.0 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.

Doch eine brummende, zukunftsfähige Wirtschaft ist nur das eine, der gesellschaftliche Wandel, der damit einhergeht, das andere. Und dieser wird nicht widerspruchs- oder konfliktfrei über die Bühne gehen, weil er nicht nur Gewinner hervorbringt. Die smarte Fabrik wird neue, spezifische Arbeitskräfte benötigen, und entsprechend werden auch Jobs verloren gehen. Für Großbritannien beispielsweise wird angenommen, dass "bis zu 35% der Arbeitsplätze anfällig sind für eine weitgehende Automatisierung". Das stellt die Sozialsysteme vor massive Herausforderungen.

Auf dem Weg zu Wohlfahrt 4.0

Wie weit die Digitalisierung in verschiedenen europäischen Ländern bereits fortgeschritten ist, besonders aber wie sie sich als Wohlfahrtsstaaten auf den Wandel einstellen, ist Gegenstand der jüngst erschienenen Studie "Auf dem Weg zu Wohlfahrt 4.0?". Im Auftrag der FES hat ein Wissenschaftlerteam um den Tübinger Politikwissenschaftler Daniel Buhr sieben EU-Mitgliedstaaten in Hinblick auf den Stand der Digitalisierung in Arbeit, Gesundheitswesen und Innovation untersucht. Daneben stand die Frage im Zentrum, ob und wie erfolgreich die verschiedenen Sozialstaatstypen in der EU diese gesellschaftliche Transformation schon heute unterschiedlich angehen. Denn die übergeordnete Herausforderung ist, "was getan werden [muss], damit aus technischer Innovation auch sozialer Fortschritt entstehen kann" oder: "Wie kann die Digitalisierung auch zu einer Modernisierung des Wohlfahrtsstaates führen"?

Dabei überrascht es nicht, dass die untersuchten Staaten - Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland, Estland, Großbritannien und Schweden - unterschiedlich weit digitalisiert sind. Das beginnt bei der digitalen Infrastruktur und geht bis zum e-Government und der Integration digitaler Technologien in die Wirtschaft. Estland ist beispielweise besonders weit im Bereich der digitalen Verwaltung, Großbritannien bei Humankapital und Internetnutzung, Deutschland hat Stärken in der Produktion. Insgesamt betrachtet steht jedoch Schweden an der Spitze.

Für die Autor_innen der Studie zeigen sich hier die Vorteile des nordischen Wohlfahrtsmodells, welches auf Umverteilung und universelle Dienste beziehungsweise Rechte setzt und einen "aktiven Staat" erlaubt. Genau der ist gefordert, wenn die wirtschaftlich-gesellschaftliche Transformation, die mit der Digitalisierung verbunden ist, zum Allgemeinwohl beitragen soll. Andrea Nahles hat gerade das "Weißbuch Arbeit 4.0" vorgestellt, um gleichermaßen "Flexibilität und Schutz" in der Arbeitswelt zu ermöglichen - dies ist ein wichtiger Schritt. Doch die Digitalisierung sollte noch umfassender gedacht und weiterentwickelt werde, hin zu einer Wohlfahrt 4.0. Der Blick nach Norden kann dabei helfen.

Die Gesamtstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung:

Die einzelnen Länderstudien:

 

Ansprechpartnerin in der FES:

Beate Martin


Video-Dokumentation

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