Table.Europe: Christiane Kesper – Fokus auf Entwicklung

Seit 36 Jahren ist Christiane Kesper bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung aktiv, seit 2022 als Leiterin des Brüsseler Büros. Nun gibt sie das Amt ab. Ihr Nachfolger steht in den Startlöchern. Für die Zukunft der EU hat Kesper einen klaren Wunsch: mehr Geschlossenheit.

36 Jahre, so lang wird Christiane Kesper Teil der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) gewesen sein, wenn sie ihr Amt als Leiterin des Brüsseler Büros der FES Anfang Juni altersbedingt an ihren Nachfolger Tobias Mörschel abgibt. Über die Rolle der Stiftung im politischen Alltagsgeschehen – sowohl in Berlin als auch in Brüssel – weiß wohl kaum jemand so gut Bescheid wie die 64-Jährige.

Luxemburger Kind deutscher Eltern

Schon ihre Kindheit und die Jugend waren dabei geprägt von einem europäischen Gefühl. Kesper kam 1959 in Luxemburg zur Welt. Ihre Eltern hatten „sehr jung und abenteuerlustig“ acht Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Schritt raus aus Deutschland gewagt, um im westlichen Nachbarland eine berufliche Chance wahrzunehmen.

Später ging Kesper in Belgien zur Schule. „Als deutsches Kind im Ausland war mir Europa immer nah“, erinnert sie sich. Ebenso fühlte sie sich früh der Politik verbunden. Speziell der Fokus auf Entwicklungspolitik bestimmte ihre weitere Laufbahn. Eben jenen wählte sie auch für ihr Studium der VWL und Politikwissenschaft in Heidelberg. Ein Postgraduiertenstudium beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik ebnete ihr dann den Weg zur Friedrich-Ebert-Stiftung – als eine der ersten Frauen im Bereich der Projektassistenz.

Über Guatemala und Brüssel nach Berlin

Kesper zog es zum Start 1988 nach Guatemala, wo sie zwei Jahre als Juniorexpertin im Bereich der Gesellschaftspolitik tätig war. „Das hat mich damals sehr überrascht, weil ich kein Wort Spanisch gesprochen habe“, kommentiert Kesper diesen ersten Schritt. Danach sei eine Tätigkeit in Libyen und anderen Teilen der Welt möglich gewesen. Stattdessen heuerte sie von 1992 von 1995 erstmals in Brüssel an, bevor sie den größten Teil ihrer Laufbahn in Berlin verbrachte.

Bis 2022 war sie auch dort in der Entwicklungspolitik aktiv, ab 2008 leitete sie die Abteilung internationale Entwicklungszusammenarbeit. Dort war sie für circa 80 Projekte in Ländern des globalen Südens verantwortlich und stand 180 Mitarbeitern und etwa 580 Ortskräften vor. Kesper blickt zurück: „Angesichts der zahlreichen Projektstandorte mussten wir oftmals eine Krise in der Welt nach der anderen managen, zuletzt die gefährliche Ausreise unserer Ortskräfte aus Afghanistan.“

Die Rückkehr nach Brüssel als Schritt zurück?

Warum dann also überhaupt 2022 der Schritt zurück nach Brüssel, mit weniger Verantwortung und weniger Mitarbeitern? Es ist die Faszination Europa, mit der Kesper diesen Schritt erklärt. „Um Europapolitik zu verbessern, muss man nun einmal dahin gehen, wo Entscheidungen getroffen werden. Das hat mich an der Aufgabe gereizt“, sagt sie.

In Brüssel organisiert sie mit der FES, die vom Auswärtigen Amt mit Haushaltsmitteln gefördert wird, verschiedene Events. Diese sollen dafür sorgen, den „an der EU interessierten Menschen die politischen Prozesse verständlich zu machen und ein Bewusstsein für europapolitische Fragen zu fördern“. Zwar hat die Stiftung keinerlei Entscheidungsmacht, dennoch findet es Kesper sehr attraktiv, die aktuellen Themen der Zeit für die Menschen aufzuarbeiten.

„Wenn die EU geopolitisch eine Chance haben soll, dann muss sie einheitlicher auftreten“

In Themen von Migration über Sicherheitspolitik bis zu Gleichstellung und Soziales suche Kesper mit ihren Mitarbeitern und anderen Organisationen – wie der Foundation for European Progressive Studies – immer wieder nach Strategien für eine maximaleWirkkraft. „Wir analysieren, wo es in der Brüsseler Debatte Leerstellen gibt und versuchen diese durch ein progressives und internationales Beratungsangebot zu füllen. Das geschieht in der Hoffnung, dass dieses von den Akteuren angenommen wird“, erklärt sie. Besonderen Wert lege sie bei den Veranstaltungen daher darauf, dass die „Entscheider aus allen europäischen Institutionen dabei sind“. Auch eine mögliche Reform der EU hat Kesper weit oben auf der Liste.Vor allem mit Blick auf ein in seiner Zusammensetzung möglicherweise stark verändertes Parlament hat sie klare Vorstellungen für die Zukunft. Sie fordert: „Wenn die EU geopolitisch eine Chance haben soll, dann muss sie dafür sorgen, dass sie einheitlicher auftritt.“ Die als „German Vote“ bekannt gewordene fehlende Einigkeit der deutschen Koalitionspartner sei dabei ein Negativbeispiel aus der jüngeren Vergangenheit. „In Zukunft müssen progressive Kräfte in der EU unbedingt geschlossen auftreten und sich nicht spalten lassen oder selbst zergliedern“, sagt Kesper weiter.

Extra-Motivation nach der Europawahl?

Insgesamt geht die Noch-Leiterin des Brüsseler Büros davon aus, dass eine mögliche Veränderung des Europaparlaments bei ihren Kollegen sogar weitere Energie freisetzen könnte. „Ein erstarkter Rechtspopulismus würde unsere Arbeit für ein progressives demokratisches Europa noch wichtiger machen und für viele in unserem Arbeitsumfeld eine Extra-Motivation bedeuten“, sagt sie. Auch das sei ein Grund, warum sie der Stiftung auch nach ihrem Ausscheiden in wenigen Wochen weiter verbunden bleibenwerde.

 

Dieser Artikel erschien im Original von Jasper Bennink auf der Website von Table Europe am 30. Mai 2024.
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