Stresstest zeigt: Die Demokratie erodiert von rechts

Wo liegen die Schwachstellen in europäischen Demokratien? Aufschluss dazu kann eine experimentelle Umfrage des Kompetenzzentrums Demokratie der Zukunft in Zusammenarbeit mit Prof. Milan Svolik bieten. Die Ergebnisse sind eine Warnung.

Wo liegen die demokratischen Schwachstellen in europäischen Demokratien? Um das herauszufinden, hat das Kompetenzzentrum Demokratie der Zukunft in Zusammenarbeit mit Prof. Milan Svolik einen Stresstest in Form einer experimentellen Umfrage entwickelt. Sie betont die Kompetenz der Bevölkerung, Politikerinnen und Politiker zu identifizieren und gezielt nicht zu wählen, die planen, die Demokratie von ihrem Amt aus zu schwächen. Der aus den Ergebnissen der experimentellen Studie resultierende Artikel zählte zu den 10 meistgelesenen Artikeln des Jahres 2023 im Journal of Democracy.  

Demokratische Resilienz wurde in dieser Studie mit der Fähigkeit der Bevölkerung gleichgesetzt, undemokratisch gesinnte Kandidat_innen zu identifizieren und infolge von ihnen abzurücken. Wie misst man diese Fähigkeit? In einer groß angelegten Umfrage in Estland, Deutschland, Polen, Serbien, Spanien, Schweden und der Ukraine wurden Wähler_innen mit Szenarien konfrontiert, in denen sie zwischen Kandidat_innen wählen müssen, von denen einige demokratiefeindliche Maßnahmen unterstützen. Durch den Vergleich der Wahlergebnisse für die undemokratischen Kandidat_innen mit jenen für demokratische, jedoch sonst in allen übrigen Punkten identische Kandidat_innen, wird die demokratische Resilienz eines Landes gemessen. 

Jene Europäer_innen, die bei unserem demokratischen Stresstest am schlechtesten abschneiden, stammen aus zwei Untergruppen der Wählerschaft. Die Wähler_innen der ersten Gruppe unterstützen Parteien, die abwechselnd als extrem, populistisch, radikal oder nationalistisch bezeichnet werden: Die Konservative Volkspartei (EKRE) in Estland, die Alternative für Deutschland (AfD), Recht und Gerechtigkeit sowie Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit in Polen, Vox in Spanien, die Serbische Fortschrittspartei, die Sozialistische Partei Serbiens und Dveri in Serbien, sowie die Schwedendemokraten in Schweden. Diese Wähler_innen verfolgen das Ziel, Einwanderung zu reduzieren, die Rechte von Minderheiten zu schwächen, sowie die traditionelle Familie und die nationale Souveränität zu erhalten. Ihre Toleranz gegenüber Autoritarismus liegt allerdings nicht in ihrem Interesse an anderen politischen Themen wie Einwanderung oder traditionellen Werten begründet, sondern in ihrer geringen Wertschätzung für die Demokratie an sich. Die zweite Gruppe der politisch Unbeteiligten ist zwar politisch dahingehend inaktiv, dass sie nicht an Wahlen teilnimmt, jedoch in mehreren Ländern als schlafende Anhänger der illiberalen Rechten zu verzeichnen sind und somit genauso viel Nachsicht gegenüber Verstößen gegen die Demokratie zeigen.  

Dass die geringste demokratische Resilienz die Wähler_innen der extremen, populistischen oder nationalistischen Rechten sowie die politisch Unbeteiligten aufweisen, gilt insbesondere in Ländern wie Polen und Serbien, in denen illiberale, rechte Parteien autoritäre Tendenzen offen unterstützen und gewählt werden. Doch selbst in den übrigen Ländern weisen die Anhänger_innen der illiberalen Rechten als auch politisch Desinteressierte eine erhebliche Toleranz gegenüber undemokratischen Handlungen auf. 

Wird die Demokratie grundsätzlich abgelehnt oder für andere Themen geopfert? 

Die Wurzel der demokratischen Schwächen der illiberalen Rechten liegt wie erwähnt nicht in ihrer allgemeinen Einstellung zur Demokratie begründet, sondern darin, dass sie bereit sind, demokratische Prinzipien zu opfern, wenn es um ihre politischen Prioritäten geht. Im Gegensatz dazu zeigen politisch Desinteressierte, deren Namen sich davon ableitet, dass sie angeben, nicht zur Wahl zu gehen, eine generelle Geringschätzung für die Demokratie. Sie neigen zudem dazu, sich der illiberalen Rechten zuzuwenden, sollten sie sich wieder politisch engagieren. 

Die Ergebnisse sind eine Warnung davor, der Rhetorik der illiberalen Rechten Glauben zu schenken, wenn diese behaupten, für eine stärkere, direktere Form der Demokratie einzutreten. Denn die Studie des FES Kompetenzzentrums Demokratie der Zukunft zeigt, dass die Wählerschaft der illiberalen Rechten tatsächlich eine umfassendere Ablehnung der Demokratie auszeichnet und bereit ist, weitreichendere undemokratische Maßnahmen zu unterstützen, als ihre politischen Anführer_innen bislang gewagt haben. Europas autoritäres Potenzial, sowohl aktiv als auch schlafend, befindet sich an den rechtsextremen Flanken seiner Wählerschaft. 

 

Über die Autorin

Margarete Lengger ist im FES Regionalbüro für internationale Zusammenarbeit in Wien für Kommunikation der beiden ansässigen Kompetenzzentren Demokratie der Zukunft und Frieden und Sicherheit zuständig.


Demokratisches Europa

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