Felix L. Esch

Europas Bündnis: Unabdingbar in der weltpolitischen Realität

Außenpolitische Ungewissheiten und das Erbeben der großen Allianzen stellen ein geeintes Europa vor Probleme, bieten aber auch einmalige Chancen.

Wer in Europa aufwächst, das war seit den 1990er Jahren die Maxime, der muss keine Angst haben vor Krieg, vor Flucht, vor Zerstörung. Das Schulhofprinzip fester Bündnisse, das „tust Du meinem Freund weh, dann muss ich Dir weh tun“, hat über Jahre die internationale Gemengelage zumindest noch soweit beruhigt, dass Staatsoberhäupter überlegt und friedensorientiert miteinander gesprochen haben. Dabei war irgendwann dann auch weniger der Abschreckungseffekt der Bündnisse, als die Zuversicht im Wissen um klare Rollenverteilungen entscheidend.

Heute scheint dieser Schulhof von einer grundlegenden Nervosität geprägt, die Staatengemeinschaft wirkt irritiert und fest zugesicherte, jahrelang bestehende und gemeinhin vorausgesetzte Rückendeckungen verwässern. Plötzlich werden einst unantastbare Bündnisse in Frage gestellt, Allianzen wie die NATO offen angezweifelt. So sieht Donald Trump die US-Beteiligung mittlerweile weniger als das Einhalten eines Versprechens, denn als kräfte- und geldzehrende Verpflichtung ohne Nutzen. Die Konsequenzen: Allseitige Unsicherheit und aufflammende Furcht vor neuerlichen Kriegen. Und das sogar innerhalb Europas. Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Vorstöße des französischen Präsidenten Macron hin zu einer auch außen- und sicherheitspolitisch engeren europäischen Verzahnung mehr als zeitgemäß.

Kein Bündnisse ist mehr unabdingbar

Einen wirksamen und effektiven europäischen Verbund in Fragen der Außenpolitik als ernstzunehmendes und verlässliches Bündnis zu gestalten, stellen auch Reinhard Krumm, Alexandra Dienes und Simon Weiss in ihrer neuen Publikation „Allein oder im Verbund - Allianzen in Zeiten außenpolitischer Unsicherheit“ des Referats Mittel- und Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung als notwendige Modifizierung der Union im Lichte der aktuellen internationalen Konstellation dar.

Es sind keine hochtrabenden, schlicht am Verhandlungstisch kommunizierten Sorgen um potentielle Konflikte, die dazu drängen. Repräsentativ erwiesene, ganz reale Kriegsängste der Europäer, im Westen wie im Osten des Kontinents, sind als solche zu behandelnde Entwicklungen der letzten Jahre. Und die Gründe für solche Ängste?

Die Autor_innen schildern eindrücklich die neue außenpolitische Wirklichkeit: Die Karten sind neu gemischt, Gewissheiten, die noch vor einem Jahrzehnt in Stein gemeißelte Leitlinien waren, müssen heute plötzlich neu evaluiert werden. Allerorts auffällig werden Tendenzen unterschiedlicher Staaten, einer Bündniseinbindung überdrüssig zu sein, die USA-Kritik an der NATO ist da nur das plakativste Beispiel. Mehr und mehr wird es fast salonfähig, sich Szenarien ganz ohne derlei Zusammenschlüsse vorzustellen. Und das, so wird in der FES Perspektive deutlich, liegt nicht nur an den nicht mehr ganz neuen außenpolitischen Kräfteverhältnissen mit China als gewichtigem Gegenspieler.

Staaten wollen sich nicht festlegen, sich Optionen offenhalten – könnte sich doch bald noch eine bessere Möglichkeit ergeben. Diese stark populistisch befeuerten „Bindungsängste“ lassen sich auch historisch wiederfinden und machen so zumindest grobe Vergleiche mit der Zeit des Wiener Kongresses und vor dem ersten Weltkrieg erkennbar.

Doch es kann durchaus möglich sein, auch in Zeiten solcher Unsicherheiten handlungs- und verteidigungsfähig zu bleiben: Wirtschaftlich immerhin können Kooperationen oft – in unterschiedlichen Ausmaßen – fortbestehen, während politische Konfrontationen immer näher rücken.

Nur gemeinsam gegen den „Rest der Welt“

Krumm, Dienes und Weiss argumentieren klar dafür, dass die gesamte EU die Zeichen der Zeit liest, sich gemeinsam als wirtschaftlich und gleichermaßen außenpolitisch wettbewerbsfähiger Block den aktuellen internationalen Herausforderungen stellt. Kein einzelner Staat bringt die Kraft auf, allein zu agieren.  

Wer heute noch glaubt, die populistisch geschürten und überzogenen Ängste um den nationalstaatlichen Souveränitätsverlust an den europäischen Bund sei auch nur im Entferntesten von Relevanz, dem sei empfohlen den Blick in den so fernen wie nunmehr machtvollen Osten zu wagen.

Aus deutscher, französischer, italienischer, aus jeder europäischen einzelstaatlichen Perspektive ist der bare Gedanke daran, einen nationalen Alleingang gegenüber den großen Mit- und Gegenspielern auf internationaler Ebene zu wagen, schlichtweg eines: Realitätsfern.

Ansprechpartner in der Stiftung

Reinhard Krumm

Krumm, Reinhard; Dienes, Alexandra; Weiss, Simon

Allein oder im Verbund?

Allianzen in Zeiten außenpolitischer Unsicherheit
Berlin, 2019

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Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa

Die neuen außenpolitischen Herausforderungen überfordern nationalstaatliche Reaktionsmöglichkeiten: Europa muss einen gemeinsamen Weg finden. Bei der konkreten Ausgestaltung jedoch dominiert oft nationalstaatliches Denken. Eine europäische Zusammenarbeit ist hier besonders schwer, da nationale Sicherheit naturgemäß ein sensibles Thema ist. Trotzdem wollen wir mit verschiedenen Formaten Vertrauen schaffen und Möglichkeiten aufzeigen, an welchen Stellen eine bessere Kooperation sinnvoll wäre.

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