Ein Weckruf für die EU: Wie sicher fühlen sich die Europäer_innen?

Europas Außen- und Sicherheitspolitik steht vor neuen Herausforderungen. Aber gerade der EU wird eine Schlüsselfunktion bei der Lösung dieser Probleme zugesprochen.

Mit der Charta der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) von 1990 für „Ein neues  Europa“  herrschte eine positive und optimistische Einstellung gegenüber einem geeinten Europa ohne Grenzen. Die letzten knapp 30 Jahre und Ereignisse weisen jedoch erneut auf eine Spaltung Europas hin, die die die außen- und sicherheitspolitische Lage belasten. Und das sowohl innerhalb der EU als auch innerhalb ganz Europas.

Seien es die wütenden Proteste der Gelbwesten in Frankreich,  die stetige Zunahme rechtspopulistischen Einflusses oder aber der EU-Austritt Großbritanniens. Nach einer Studie des Londoner International Institute for Strategic Studies und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik wird der Brexit die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU entscheidend zurückwerfen. Die Annexion der Krimm durch Russland und der andauernde Konflikt in und um die Ukraine herum sund immense Herausforderungen für die EU und die Staaten der Östlichen Partnerschaft.

Auch über das europäische Gebiet hinaus zeigen sich Herausforderungen: Mit Donald Trump als US-Präsident und seinen zunehmend unverlässlichen Handlungen, nicht zuletzt die Suspendierung des INF-Vertrags, die unklare Haltung gegenüber der Bedeutung der NATO für das westliche Bündnis sowie sein ungeklärtes Verhältnis zu Russland. Nicht zu vergessen sind auch die Zeiten, in denen zentrale Mitgliedstaaten der EU wie Frankreich, Belgien, Deutschland und Großbritannien immer wieder Ziel terroristischer Anschläge wurden.

Im Kontext dieser dramatischen Herausforderungen für die europäische Sicherheitsordnung, führte das Regionalbüro Wien für Zusammenarbeit und Frieden der Friedrich-Ebert-Stiftung eine repräsentative Meinungsumfragen zur europäischen Sicherheit in den sieben Ländern Deutschland, Frankreich, Lettland, Polen, Russland, Serbien und Ukraine durch. Zusätzlich wurden  Fokusgruppen von Beratungsexperten der jeweiligen Länder befragt.  Die Studie „Security Radar 2019: Wake-up call for Europe!“ zeigt die Einstellungen und Wahrnehmungen der europäischen Bürger_innen in Bezug auf die aktuelle sicherheits- und außenpolitische Situation Europas.

USA und Russland stellen Sicherheitsrisiko dar

Die repräsentative Umfrage ergibt, dass Russland und die USA von Deutschen als Gefahr für die europäische Sicherheit gesehen werden. Dabei wird die USA mit 50 Prozent noch vor Russland (33 Prozent) als Risiko wahrgenommen, während Polen (77 Prozent) und die Ukraine (67 Prozent) von Russland eine weitaus größere Gefahr befürchten. Zum Thema Russland-Beziehung zeigt sich, dass vorwiegend der Ukraine-Konflikt sowie die USA entscheidende Faktoren für das Verhältnis zu Russland darstellen.  69 Prozent sind davon überzeugt, dass zu wenig Kooperation mit Russland ebenso ein Faktor ist und über die Hälfte der insgesamt befragten Personen stellen sich für die Zukunft mehr Kooperation mit Russland vor, sogar in der Ukraine liegt dieser Wert bei 27 Prozent.

Des Weiteren schätzen die Bürger_innen der sieben europäischen Staaten Kriege und Konflikte als größte Bedrohung ein, wobei  69 Prozent davon im Schnitt glauben, dass dadurch das eigene Land betroffen sein könnte. Eine große Herausforderung für die Sicherheit in Europa ist die Unzufriedenheit der Bürger_innen mit dem politischen Status ihres jeweiligen Landes, insbesondere in den osteuropäischen Staaten. Dennoch ist die EU die Organisation, die laut der Umfrage eine größere Rolle in Zukunft spielen sollte, knapp hinter den Vereinten Nationen und knapp vor der OSZE.

Kein neuer Ost-West-Konflikt

Im Gegensatz zum Kalten Krieg, als zwei große Blöcke ideologisch gegeneinanderstanden, sind die neuen Herausforderungen auch dadurch geprägt, dass sehr viel mehr Staaten an der Diskussion über eine europäische Sicherheit beteiligt sind. Aus den Ergebnissen der Umfrage in sieben Ländern ergeben sich drei unterschiedliche Gruppen. Russland, auf der einen Seite, hat nach der Meinung seiner Bürger nicht den Status, der ihm gebührt. Zudem wird das Land von anderen als Herausforderung für die europäische Sicherheit wahrgenommen. Frankreich und Deutschland auf der anderen Seite, die nicht als Auslöser der Krise gesehen werden, sind mit ihrem jeweiligen Status zufrieden und wollen mehr Verantwortung übernehmen. Die Bevölkerung der zentralosteuropäischen Staaten dagegen bewegt sich zwischen Ost und West, mit Unzufriedenheit mit dem Status des eigenen Landes, aber unterschiedlichen Interessen und Wünschen. Für eine gemeinsame europäische Außenpolitik stellt das sowohl eine Herausforderung aber vor allem ein Gestaltungspotential dar.

Seit einigen Jahren ist wieder sehr präsent, dass Sicherheit ein fragiles Gut ist. Zugleich sind sicherheitspolitische Fragen vor dem Hintergrund der neuen Ausrichtung der USA Bestandteil der Auseinandersetzung um die Zukunft der EU. Die Umfrage zeigt, abgesehen von ernsthaften Bedenken und einer teilweisen Rückwirkung auf die Militarisierung, eine klare Tendenz in Richtung Kooperation und Frieden in Europa. Der Sicherheitsradar 2019 hebt die Dringlichkeit einer friedlichen und inklusiven sicherheitspolitischen Strategie Europas vor. Die europäischen Politiker_innen müssen hierbei ihre Kompetenz unter Beweis stellen und zeigen, dass Entwicklungen wie vor dem ersten Weltkrieg sich nicht wiederholen werden.

Ansprechpartner in der Stiftung

Reinhard Krumm

Security Radar 2019

Wake-up call for Europe!
Wien, 2019

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Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa

Die neuen außenpolitischen Herausforderungen überfordern nationalstaatliche Reaktionsmöglichkeiten: Europa muss einen gemeinsamen Weg finden. Bei der konkreten Ausgestaltung jedoch dominiert oft nationalstaatliches Denken. Eine europäische Zusammenarbeit ist hier besonders schwer, da nationale Sicherheit naturgemäß ein sensibles Thema ist. Trotzdem wollen wir mit verschiedenen Formaten Vertrauen schaffen und Möglichkeiten aufzeigen, an welchen Stellen eine bessere Kooperation sinnvoll wäre.

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