Interview CLACSO Konferenz: Ein Ort für Vernetzung 23.07.2025 Mitte Juni fand die sozialwissenschaftliche Konferenz des Lateinamerikanischen Rates für Sozialwissenschaften (CLACSO) in Bogotá unter dem Titel „Horizontes y transformaciones para la igualdad. Democracias, resistencias, comunidades, derechos y paz“ (Horizonte und Transformationen für Gleichberechtigung. Demokratien, Widerstand, Gemeinschaften, Rechte und Frieden) statt und markierte die Rückkehr von CLACSO an seinen Gründungsort, wo die Organisation 1967 ins Leben gerufen wurde. Oliver Dalichau sieht in den stattgefundenen Diskussionen inspirierende und praxisnahe Ansätze auch für Deutschland. Bild: Urheber: ©FESCOL Interview mit Oliver Dalichau, Leiter des FES-Büros Kolumbien, Juli 2025. Die sozialwissenschaftliche Konferenz des Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales (CLASCO) fand Mitte Juni in Bogotá statt. Was haben die CLACSO-Tage deiner Meinung nach für Demokratie, Menschenrechte und Frieden in Lateinamerika bewirkt? Es war ein beeindruckender Austausch zu den drängendsten Themen der Region. Besonders im Bereich Demokratie, Menschenrechte und Frieden sehe ich erhebliche Auswirkungen: Zum einen bot sie eine dringend benötigte Plattform, auf der unterschiedliche Stimmen – von Wissenschaftler_innen bis zu Aktivist_innen der Zivilgesellschaft – Gehör fanden. Unser Panel „¿Qué es la Paz?“ (Was ist Frieden?), das wir als FES Kolumbien organisiert haben, veranschaulichte eindrucksvoll, dass Frieden weit mehr bedeutet als die Abwesenheit bewaffneter Konflikte. Perspektiven aus Kolumbien, Venezuela und zu Konflikten um Ressourcenextraktivismus wurden zusammengeführt und bereicherten die Diskussion enorm. Ein weiterer zentraler Punkt war die Analyse der Verbindung zwischen illegalen Ökonomien und organisierter Kriminalität, die in einem anderen Panel diskutiert wurde. Hier zeigte sich, wie stark diese Phänomene Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beeinträchtigen. Der wahre Wert der CLACSO-Tage lag für mich in der Vernetzung der Akteur_innen und in der Entwicklung gemeinsamer Strategien. Das vielfältige Programm war so umfangreich, dass ich persönlich nicht alles verfolgen konnte – von 8:00 bis 19:00 Uhr an vier Tagen. Die Teilnehmer_innenzahl von über 28.000 statt der erwarteten 15.000 zeigt, wie groß das Interesse ist und wie wichtig solche Räume für Lateinamerika sind. Wie hat sich die Friedrich-Ebert-Stiftung in die Themen der Konferenz eingebracht? Unsere Kooperation mit CLACSO hat eine lange Tradition. Seit Jahrzehnten teilen wir die Vision einer sozialen Welt, die Zusammenhalt fördert, Mitgestaltung ermöglicht und kritisch reflektiert. Auch in diesem Jahr waren wir mit 15 von der FES organisierten oder mitgestalteten Panels stark vertreten – mehr als jede andere europäische Organisation. Das erlaubte uns, unsere Arbeit für soziale Gerechtigkeit, Demokratie und nachhaltige Entwicklung nicht nur zu präsentieren, sondern aktiv zur Diskussion beizutragen. Besonders hervorheben möchte ich die enge Zusammenarbeit der FES-Büros in der Region: Das Büro in Kolumbien koordinierte intensiv mit den Büros in Ecuador, Mexiko, Venezuela, Chile und Argentinien. Ergänzt wurde dies durch die Expertise unserer regionalen Kompetenzzentren, etwa für sozial-ökologische Transformation in Mexiko-Stadt und Frieden und Sicherheit in Bogotá. Gemeinsam haben wir ein Programm gestaltet, das die Vielfalt und Tiefe der regionalen Themen widerspiegelt. Für mich persönlich zeigt sich hier erneut die Stärke unseres bewährten Modells länderübergreifender Kooperation. Die CLACSO-Tage boten eine fruchtbare Basis für Wissensaustausch und gemeinsames Lernen. Besonders wichtig war für uns auch, dass diese Begegnungsräume es ermöglichen, unsere Programme noch besser auf die Bedürfnisse der Region abzustimmen. Die enge Zusammenarbeit zwischen den Büros sowie der Dialog zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik stärken nicht nur unsere Netzwerke, sondern leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung progressiver Lösungen für die Herausforderungen Lateinamerikas. Gab es Erkenntnisse oder Impulse auf der Konferenz, die auch für Deutschland oder Europa relevant sein könnten? Absolut! Die bei den CLACSO-Tagen diskutierten Themen haben trotz ihrer regionalen Ausprägung eine deutliche internationale Relevanz. Drei Bereiche stechen für mich besonders hervor: Erstens, die Diskussion über demokratische Innovationen und Widerstandsnarrative gegen autoritäre Tendenzen. In Lateinamerika werden Lösungsansätze entwickelt, die für Europa wertvolle Impulse liefern können. Eine unserer Runden, „Narrativas del Poder“ (Erzählungen der Macht) zeigte, wie progressive Kräfte auf rechtspopulistische Bewegungen reagieren, indem sie eigene Erzählungen schaffen, die Macht, Demokratie und soziale Gerechtigkeit positiv umrahmen. Diese Narrative vermitteln inklusive Visionen und fördern den Widerstand gegen Polarisierung. Ebenso betonten lateinamerikanische Aktivist_innen die Bedeutung von Basisorganisationen, die die kollektive Handlungsfähigkeit stärken und nachhaltige Netzwerke schaffen. Ich wünschte mir, hier würden unsere Partner in Deutschland mehr drauf achten und sich davon etwas abschauen. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf politischer Bildung, um Bürger_innen zu ermächtigen, Desinformation und populistischen Manipulationen kritisch zu begegnen. Besonders kreative Formen des Protests, wie kulturelle Aktionen, digitale Kampagnen und die Nutzung sozialer Medien, haben mich beeindruckt. Diese Ansätze erreichen jüngere Generationen und schaffen öffentliche Resonanz. Zweitens zeigte die Debatte zur Energiewende und zum Extraktivismus, dass auch „grüne“ Technologien neue Formen von Ressourcenausbeutung mit sich bringen können. Diese kritische Perspektive ist essentiell für die europäische Diskussion über eine gerechte Transformation unserer Wirtschaftssysteme. Drittens wurden Erkenntnisse zur politischen Partizipation junger Menschen hervorgehoben. Unser Projekt „Juventudes: Asignatura Pendiente“ (Jugend: Unerledigte Aufgaben) verdeutlichte, wie wichtig es ist, die Vielfalt junger Lebensrealitäten und Formen des Engagements zu berücksichtigen. Welche Rolle spielten junge Menschen bei den CLACSO-Tagen, und wie bindet ihr sie in die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung ein? Junge Menschen waren zentrale Akteur_innen der CLACSO-Tage und prägten sowohl die Atmosphäre als auch die Diskussionen. Der Veranstaltungsort – die Nationale Universität Kolumbien in Bogotá – wurde bewusst gewählt, um Studierenden Raum zu geben und sie aktiv einzubinden. Ihre starke Präsenz zeigte, dass sie der Motor des Wandels sind: Sei es in der Klimabewegung, im Protest gegen soziale Ungleichheit oder in der Verteidigung demokratischer Werte. Besonders beeindruckend war der Wunsch nach Engagement, der während der Konferenz spürbar war. Digitale Räume spielen dabei eine wachsende Rolle. Sie ermöglichen es jungen Menschen sich zu organisieren, Anliegen sichtbar zu machen und transnationale Solidarität aufzubauen. Gleichzeitig wurden Herausforderungen wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse, eingeschränkte politische Mitbestimmung und soziale Ungleichheit thematisiert. In der FES Kolumbien binden wir junge Menschen systematisch in unsere Arbeit ein – von Praktikumsplätzen bis zu gezielten Nachwuchsprogrammen. Besonders wichtig ist uns, Gewerkschaften zu unterstützen, mehr junge Menschen und Frauen in ihre Strukturen einzubinden, um zukunftsfähig zu bleiben. Mir ist etwas deutlich geworden: Die Nationale Universität ist nicht nur ein inspirierender Ort, sondern auch ein Symbol für die Stärke der jungen Generation. Und abschließend: Was nimmst du persönlich von der Konferenz mit? Der intersektionale Ansatz vieler Diskussionen – die Verbindung von Klima-, Gender- und sozialen Fragen – hat mich besonders beeindruckt. Diese ganzheitliche Perspektive sollten wir in Europa stärker fördern. Die Konferenz zeigte, wie eng die sozialwissenschaftliche Forschung in Lateinamerika mit gesellschaftlichen Bewegungen verbunden ist und praxisnahe Lösungen entwickelt. Ich wünsche mir, dass wir in Deutschland ähnliche Ansätze verfolgen. Besonders bereichernd war auch der Austausch zwischen den FES-Büros in der Region. Zu sehen, wie ähnliche Themen in anderen Ländern angegangen werden, eröffnete neue Perspektiven und stärkte die länderübergreifende Zusammenarbeit. Neben den Panels waren die Gespräche am Rande der Konferenz mindestens genauso wertvoll. Die Energie und Kreativität, die trotz großer Herausforderungen in Lateinamerika spürbar sind, nehme ich als Motivation mit – ebenso wie ein kleines Schlafdefizit! Oliver, vielen Dank für das Gespräch.