Schuld ist immer die EZB? Sicher nicht.

Die andauernde deutsche Kritik an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist fehlgeleitet. Nicht die EZB ist das Problem, sondern der deutsche, fiskalpolitische Dogmatismus; die Austeritätspolitik in Europa ist gescheitert!

Der deutsche Finanzminister steht unter Beschuss. Nach Donald Trump in den USA und Emmanuel Macron in Frankreich stimmt nun auch der IWF in den heterogenen Chor der Kritik mit ein. Mehrfach beklagte IWF-Chefin Christine Lagarde in den letzten Wochen die hohen deutschen Exportüberschüsse. Diese müssten nun endlich für verstärkte Investitionen in die Infrastruktur genutzt werden, um der europäischen Wirtschaft den lange ersehnten Wachstumsschub zu verschaffen. Der Gescholtene seinerseits wies alle Schuld von sich und suchte diese reflexartig bei der EZB, die mit ihrer „ultra-lockeren Geldpolitik“ für die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone und auch auf globaler Ebene verantwortlich sei, so Schäuble.

Die Umkehr der Schuldfrage

Ausgerechnet in Deutschland, wo die Unabhängigkeit der Zentralbank traditionell großgeschrieben wird, ist die EZB nun also seit Beginn der Eurozonen-Krise massiven Angriffen ausgesetzt. Insbesondere der geldpolitische Aktivismus des „souveränen Diktators“ EZB (Die Welt) seit 2014 wird erheblich kritisiert. Der Ankauf von Staatsanleihen sei eine verbotene monetäre Staatenfinanzierung, die Negativzinspolitik verhindere Anreize für Strukturreformen und enteigne die deutschen Sparer_innen, und gemeinhin sei die EZB die derzeit größte Bedrohung für die Stabilität der Eurozone – viel fatalistischer als im deutschen Mainstream-Diskurs geht es kaum noch. Wolfgang Schäuble verstieg sich gar in der Behauptung, die Geldpolitik der EZB sei für den Aufstieg der rechtspopulistischen AfD in Deutschland (mit-) verantwortlich.

Die Verantwortung Deutschlands

Bei aller Selbstzufriedenheit und Schuldzuweisung nach Frankfurt gerät die Verantwortlichkeit der deutschen Politik aus dem Blick. Die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik hat wesentlich zu den Ungleichgewichten in der Eurozone und auf globaler Ebene beigetragen. Zugleich hat die von Deutschland aus in ganz Europa propagierte Austeritätspolitik das Wirtschaftswachstum in der Eurozone nachhaltig gebremst. Die EZB allein kann diese Fehlentwicklungen nicht auffangen – und Schäubles weiterhin verfolgte ‚Politik der schwarzen Null‘ ist nicht gerade förderlich, um die Binnennachfrage (und damit über den deutschen Import auch die europäische Wirtschaft) anzukurbeln.

Für Jörg Bibow, Ökonomie-Professor am Skidmore College im Bundesstaat New York und Research Associate am Levy Economics Institute ist die Kritik an der EZB somit fehlgeleitet. In der von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie „Der verspätete Aktivismus der EZB: Zwischen Hoffnung und Verzweiflung“ skizziert er die Rolle der EZB im europäischen Anti-Krisenmanagement und räumt mit Missverständnissen und Fehlurteilen auf. Vor allem zu Beginn der Euro-Krise 2008/09, und ab dann fortfolgend,  habe die EZB mit ihrer lange Zeit zu zögerlichen  Geldpolitik durchaus Fehler gemacht. Doch mit einiger Verspätung sei es letztendlich dem aktiven und problemadäquaten Eingreifen der EZB zu verdanken, dass die Europäische Währungsunion noch nicht vollends auseinandergebrochen ist.

Die Politik ist am Zug

Denn eins ist klar: Die ursprünglichen Konstruktionsfehler der Eurozone bestehen weiterhin: sie ist eine Währungsunion ohne wirkliche Wirtschaftsunion. Gleichzeitig gibt es massive makroökonomische Ungleichgewichte. Solange nichts unternommen wird, um diese Divergenzen zu beseitigen, wird auch die EZB die wirtschaftspolitischen Probleme der Eurozone nicht lösen können. Für Bibow sind die geldpolitischen Grenzen erreicht. Nicht die EZB ist das Problem, sondern die fehlende Flankierung der notwendigerweise expansiven Geldpolitik durch eine gemeinsame, deutlich aktivere Fiskalpolitik.

Die EU – beziehungsweise die Eurozone – braucht eine deutliche Vergrößerung des gemeinsamen Budgets, eine expansivere Fiskalpolitik und einen stetigen Abbau der makroökonomischen Ungleichgewichte, sonst bleibt die Währungsunion ein ewigwährender Kampf. Konkret heißt das ganz im Sinne des IWF: Es braucht Investitionen, um Europa auf den Wachstumspfad zurückzuführen! Die größte Gefahr für die Eurozone ist nicht die EZB, sondern der immer weiter isolierte, kurzsichtige Dogmatismus der deutschen Fiskal- und Wirtschaftspolitik in Europa.

Ansprechpartner in der Stiftung:

Markus Schreyer