„Die Schule von morgen“ – im Dialog mit Klaus Hurrelmann

Bild: Kaja Trenk und Laura Furth von Privat

Von Kaja Trenk und Laura Furth

 

Am 06.02.2020 kamen sämtliche Pädagogik-Kurse des Duisburger Steinbart-Gymnasiums mit Professor Klaus Hurrelmann über die Schule von morgen ins Gespräch. Klaus Hurrelmann reiste aus Berlin an, nachdem wir, Laura Furth und Kaja Trenk, aus dem Pädagogik-Lk eine Stellungnahme auf seinen Blogbeitrag für Friedrichs Bildungsblog verfassten und ihm zuschickten.

Der Leistungskurs beschäftigte sich zu diesem Zeitpunkt mit dem Thema „Funktionen von Schule“. Herr Hurrelmann antwortete nicht nur auf die Stellungnahme, sondern kam sogar persönlich zum Gespräch nach Duisburg.

Ein Erfahrungsbericht darüber, wie Schule und Wissenschaftler miteinander ins Gespräch kommen kann.

 

So kam der Stein ins Rollen...

Zu dem Thema „Schule von morgen“ gibt uns Klaus Hurrelmann in seinem Blogbeitrag „Bildung in der digitalen Welt“ für Friedrichs Bildungsblog, den bildungspolitischen Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung, eine klare Antwort.

Basierend auf seinem „Entwicklungsmodell der produktiven Realitätsverarbeitung“, in welchem er von sogenannten Entwicklungsaufgaben spricht, erkennt er die Herausforderung der neuen Generation von  Schulen an, Kindern und Jugendlichen dabei zu helfen, alle ihre Entwicklungsaufgaben zu bewältigen und somit eine Bildungsstätte für das ganze Leben zu sein. Schule sollte also nicht nur intellektuell und kognitiv schulen, wie es die Entwicklungsaufgabe „Qualifizieren“ verlangt, sondern zudem auch auf den Konsum (Entwicklungsaufgabe Konsumieren), das soziale Leben (Binden), die gesellschaftliche Teilhabe (Partizipieren) und vor allem den Medienkonsum eingehen. Ebenso in Bezug auf die Veränderung der Gesellschaft hinsichtlich der digitalen Medien, Globalisierung und ökologische Herausforderungen ist also eine neue Generation von Schulen notwendig.

Folgende ausgewählte Auszüge aus seinem Blog verdeutlichen dies:

„Bei 20 Prozent [der Schüler] ist die Unsicherheit aber nicht zu übersehen, und bei weiteren 20 Prozent kann von einer nicht erfolgreichen Bewältigung der Entwicklungsaufgaben und einem unzureichenden Aufbau der Selbststeuerung und Selbstwirksamkeit gesprochen werden.“

„Die Schule von morgen kann nicht mehr nur eine Lehrinstitution sein, sondern sie sollte eine Bildungsstätte sein, die ihre Schülerinnen und Schüler in allen Entwicklungsaufgaben unterstützt.“

„Die Schule verliert an Autorität, wenn sie auf die tatsächlichen Herausforderungen des Alltagslebens der Schülerinnen und Schüler nicht eingeht.“

„Die heutige junge Generation von Schülerinnen und Schülern braucht Schulen, die kompetent, sensibel und liebevoll auf ihre Bedürfnisse und die ihrer Eltern eingehen.“

„Die Angehörigen der jungen Generationen fordern das geradezu heraus, sie unterminieren starre Hierarchien, wünschen Team- und Projektarbeit und möchten auch persönlich angesprochen werden.“

„Voraussetzung ist, dass der jeweils erreichte Entwicklungsstand eines Schülers oder einer Schülerin durch ein genau passendes Angebot von Lernimpulsen aufgenommen wird.“

Im Unterricht haben wir uns mit Hurrelmanns Bild von einer neuen Schule beschäftigt und haben zu seinen Vorschlägen Stellung auf der Basis unseres pädagogischen Wissens, aber auch auf der Grundlage unserer 12-jährigen Schulerfahrungen, bezogen.

 

Auszüge aus unserer Stellungnahme

Wie Sie schon richtig gesagt haben, fehlt uns die unterrichtliche Anbindung zu relevanten Lebensbereichen, die in dem aktuellen Lehrplan nicht eingebaut sind, wie z.B. der „richtige“ Umgang mit Stress.

Ein anderer Aspekt ist, dass Sie die Schule auffordern, liebevoll und sensibel auf die Bedürfnisse der Kinder und Eltern einzugehen. Sie stellen fest, dass viele Familien die Bedürfnisse der Kinder nicht mehr ausreichend decken können, wobei die Schule dies ausgleichen soll. (Kann sie das denn?)

Wo es problematisch wird
Das erste Problem ist, dass das Einbauen von Unterrichtsinhalten, die nichts mit der kognitiven Bildung zu tun haben, ziemlich schwierig ist, da wir in allen erdenklichen Bereichen ziemlichen Zeitdruck haben und kein Platz für neue Inhalte ist.

Ein weiteres großes Problemfeld ist der Lehrer_innenberuf an sich, denn zum einen gibt es viel zu wenig Lehrer_innen, sodass ein individuelles Fördern bei so vielen Schüler_innen auf einmal quasi unmöglich wäre. Zum anderen ist die Ausbildung unserer Wahrnehmung nach kaum pädagogisch ausgelegt, sodass viele Lehrer_innen zwar enorm viel Wissen haben, aber dafür pädagogisch nicht wirklich auf die Kinder eingehen können.

Wie es funktionieren kann
Unser erster Ansatz wäre, an die Politik zu gehen, denn es müssten verschiedene Gesetze geändert werden, damit die Schulen überhaupt die Möglichkeit haben, Ihre Forderungen umzusetzen. Wir bräuchten mehr Zeit in der Schule, eine andere Ausbildung für Lehrer_innen, eine Gesetzesänderung, sodass Lehrer_innen überhaupt so individuell und persönlich auf die Kinder eingehen können.

Trotzdem denken wir, dass kleine Punkte schon umgesetzt werden können.
So könnten vielleicht ein oder zwei Stunden pro Woche eingebaut werden, in denen Schüler_innen frei an jedem Fach arbeiten können, wo sie gerade Hilfe brauchen, und in denen Lehrer_innen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen; quasi als eine Art Nachhilfestunde mit Lehrer_innen als Ansprechpartner, sodass individuelle Problemfelder auf eigene Weise angegangen werden könnten.

 

(https://www.fes.de/themenportal-bildung-arbeit-digitalisierung/bildung/artikelseite-bildungsblog/sehr-geehrter-herr-hurrelmann)

 

Herr Hurrelmann kommt zu Besuch - unsere Vorbereitungen

Dass etwas an unserem Schulsystem geändert werden muss, stellte Hurrelmann schon öfter fest und auch wir stimmen seinen Forderungen zu. Dennoch hatten wir am Anfang den Eindruck, dass all diese Forderungen unerreichbar scheinen, bis die Politik selber Änderungen beschließt. Bis das einmal passiert ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Trotzdem hatten wir am Ende unserer Stellungnahme selber schon eine kleine Fantasiereise unternommen und überlegt, wie man schon kleine Teile von Hurrelmanns Forderungen umsetzen könnte. Diese Ideen konnten wir in der nächsten Unterrichtsstunde weiter ausbauen, in der uns unsere Pädagogiklehrerin eine Methode vorstellte, die normalerweise in Unternehmen genutzt wird, um innovative neue Projekte zu entwickeln.  Mit der „Zukunftswerkstatt“ stellt man sich ein Ziel vor und lässt dabei alle Umstände außer acht. Im nächsten Schritt versucht man einen kleinen Teil von diesem utopisch erscheinenden Ziel umzusetzen und kommt so schrittweise seinem Ziel näher. In unserem Leistungskurs kamen mehrere erfolgreiche Projektideen heraus, die wir Herrn Hurrelmann in unserem Dialog vorstellen konnten. Zusätzlich sammelten natürlich alle teilnehmenden Kurse Fragen an Herrn Hurrelmann, denn wann kann man schon mal einem Theoretiker, den man im Unterricht thematisiert hat, persönlich Fragen stellen?

 

Der Dialog

Um alle Kurse auf denselben Stand zu bringen, erläuterte Herr Hurrelmann zu Beginn des Dialoges seine Thesen zur Sozialisation und den Entwicklungsaufgaben. Um einen groben Einblick in den Inhalt der Diskussionsrunde zu geben, folgt nun eine Zusammenfassung der relevantesten Fragen und Hurrelmanns Antworten:

Die Frage, die sich unsere Generation wohl am häufigsten stellte, war die Umsetzung der medialen Bildung im Unterricht. Für Hurrelmann ist die Antwort ganz klar: Schulen müssen medienkompetenter werden und ihre Fächer dementsprechend anpassen. Schüler lernen zu Hause sowieso hauptsächlich mit Lernplattformen, Apps und Videos. In der Zukunft wird der Umgang mit dem Computer zu den Grundfähigkeiten zählen und viele Berufe finden sich ebenfalls in diesem Feld wieder. Ein Wahlpflichtfach Informatik reicht nicht aus, um die Schüler darauf vorzubereiten, denn dort lernen nur ganz wenige Kinder den Umgang mit Computern und häufig hauptsächlich das Programmieren. Dabei werden viel zu wenig Kinder erreicht und auch der Inhalt dieses Faches bereitet nicht wirklich auf einen Beruf neben dem Programmieren vor. Mediennutzung sollte in jedem Fach in verschiedenen Formen eingesetzt werden. Zurecht wirft das Zweifel bei einigen Lehrern auf. Wie soll sichergestellt werden, dass die Aufgaben bearbeitet werden und nicht der nächste Post für Instagram? Man sollte sich diesbezüglich jedoch keine Sorgen machen, da es verschiedene Wege gibt, um die Konzentration der Schüler auf die Aufgaben zu gewährleisten. Spezielle Programme beispielsweise. Einige Schulen in Deutschland machen es bereits vor, jedoch noch nicht alle.

Doch nicht nur bei der Mediennutzung sieht Hurrelmann einen Bedarf zur Reform: „Es kann doch nicht sein, dass die Schule immer noch so eingerichtet ist, wie vor knapp hundert Jahren“ kritisiert Hurrelmann. Schulen müssen sich also nicht nur medial reformieren, sondern sich von Grund auf an heutige Gegebenheiten anpassen. Schüler lernen nun einmal besser in einer für sie ansprechenden Umgebung und nicht auf harten Stühlen und im Frontalunterricht. Genauso wie Bewegung und ein kreativer Freiraum zur Herangehensweise die Lernleistung immens steigern.

Diese Antwort bildete die perfekte Vorlage für die nächste Frage: Welche Rolle müssen Lehrer_innen dann seiner Meinung nach einnehmen? Das Lehrer-Schüler Verhältnis muss sich natürlich ebenso an die heutige Zeit anpassen, hebt Hurrelmann hervor. Viele Schüler_innen sind in Zeiten des Internets bereits ihren Lehrer_innen voraus, schnell einmal googeln und die Antwort ist klar. Entscheidend ist nicht alles zu wissen, sondern das Richtige von dem Falschen unterscheiden und anwenden zu können. Alleine als Wissensvermittler dürfen Lehrer_innen also nicht mehr tätig sein. Die neue Aufgabe der Lehrer_innen ist nun, die Selbstständigkeit der Schüler_innen zu fördern und ihre Arbeit durch den pädagogischen Faktor zu ergänzen und auszuweiten, indem sie Anregung bieten, anleiten und individuell fördern. Ebenso müssen Lehrer_innen medial fit gemacht werden. Dies gelingt nur durch Schulungen und aktive Weiterbildung im Bereich Medienkompetenz, bis neu ausgebildete Lehrer_innen diese Kompetenz schon im Studium vermittelt bekommen. Dabei muss jedoch auch auf die Allgemeingültigkeit in ganz Deutschland geachtet werden. Sich zu verbessern bedarf dabei auch manchmal Vernetzung. So kann man beispielsweise für eine „interconnectedness“ zwischen den Schulen sorgen und etwa allgemeine, selbstgedrehte Lernvideos zur Verfügung stellen, die von anderen Schüler_innen genutzt werden können.

Natürlich haben wir als Leistungskurs auch unser Projekt zur Zukunftswerkstatt miteingebracht. Unsere Gruppe hat dort die Fantasiereise aus unserer Stellungnahme aufgegriffen und „Vertiefungsstunden" entwickelt. Das utopische Ziel war eine individuelle Förderung von jedem Schüler, wozu kleinere Klassen und offengelassene Herangehensweisen gehören. Normalerweise ist das natürlich einerseits aus Zeitgründen als auch wegen einer deutlichen Überlastung eines jeden Lehrers nicht für alle Schüler_innen umsetzbar. Am Ende der Stunde hatte unsere Gruppe die Idee, dass jeweils für die Unter-, Mittel- und Oberstufe eine Vertiefungsstunde in der Woche eingeführt wird. In dieser Stunde herrscht Anwesenheitspflicht, jedoch kann jeder Schüler selbst entscheiden, mit welchem Fach und mit welchem Inhalt er sich beschäftigen möchte. Dazu stehen Fachlehrer und Fachräume mit Materialien zur Verfügung. Hier kann ein Schüler also nicht verstandenen Inhalt aufarbeiten, indem er den Fachlehrer um Hilfe fragt, Materialien oder das Internet selbstständig nutzt oder beispielsweise in Gruppen zusammenarbeitet. Natürlich kann die Zeit auch dazu genutzt werden, interessante Themengebiete tiefer zu behandeln, wozu im normalen Arbeitsalltag selten Zeit ist. Ausgebaut werden kann dieses Ergebnis noch mit einer anderen Zukunftswerkstatt-Idee. Eine andere Gruppe beschäftigte sich mit der Rhythmisierung, denn manche Schüler arbeiten lieber früh am Morgen, andere sind eher später kognitiv wirklich da. Deshalb gab es die Idee, dass die Vertiefungsstunde einmal in der ersten und einmal in der letzten Stunde angeboten wird, sodass jeder Schüler entscheiden könnte, ob er zu der ersten oder letzten Stunde kommen möchte. Eine andere Gruppe beschäftigte sich mit der Einrichtung in der Schule. Das Ziel waren bequemere Stühle, verstellbare Tische, hellere und größere Räume. Mit der Kiss-Methode (keep it small and simple) kam die Gruppe zu dem Ergebnis, dass jeder Schüler ein orthopädisches Kissen mitbringen könnte und so das Sitzen erleichtern könnte. Herr Hurrelmann interessierte sich sehr für diese Ergebnisse, denn er ist der Überzeugung, dass kleinere Sachen schon umgesetzt werden könnten und dass dabei Lehrer_innen und Schüler_innen zusammenarbeiten müssen. Des Weiteren plädierte er, dafür dass kreative Methoden deutlich öfter eingesetzt werden müssen, in denen Schüler_innen Neues entwickeln können.

Trotzdem fragten sich viele im Plenum, warum sich bis jetzt nicht viel in der Schule geändert hat. Es war nicht das erste Mal, dass Herr Hurrelmann seine Forderungen veröffentlicht hat und wie er auf Nachfrage verdeutlichte, hat er viele Kontakte zu wichtigen Politiker_innen und wird bei diesem Thema fast immer nach seiner Meinung und seinen Erkenntnissen gefragt. Wie er auch schon in der ersten Antwort auf unsere Stellungnahme schrieb: „Meiner Erfahrung nach geht das nur durch eine permanente Diskussion mit dem Ziel, dass sich immer mehr Menschen der Position anschließen und auf diese Weise allmählich einen Druck auf die Politik ausgeübt werden kann. Politikerinnen und Politiker können nur handeln, wenn sie sicher sind, dass ihre Entscheidungen von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen werden. Das kann dauern.“ Er sagt aber auch, dass eben diese Diskussion, die wir gerade führten, ein erster Schritt ist. Genauso wie unsere Zukunftswerkstatt.

 

Unser Fazit

Insgesamt hat uns der Dialog mit Herrn Hurrelmann gezeigt, dass es sich lohnt, auch schon kleine Projekte umzusetzen und man so ebenfalls viel erreichen kann, anstatt nur auf die Politik warten zu müssen. Denn wenn man ständig dafür sorgt, den Dialog über das Thema aufrechtzuerhalten, kann man auf lange Sicht dafür sorgen, seine Ziele zu erreichen. Trotzdem hätten wir uns gewünscht, mehr Zeit zur Verfügung zu haben, um unsere Fragen intensiver klären zu können und um weitere Umsetzungsmöglichkeiten zu erarbeiten.

Besonders in der jetzigen Situation, welche der Coronakrise geschuldet ist, merkt man, dass Hurrelmanns Forderungen schon längst hätten umgesetzt werden müssen. Dennoch erkennen wir diese Zeit auch als Chance an und hoffen, dass die Schulen, welche zurzeit sowieso mit digitalen Medien unterrichten müssen, da Schüler_innen oft nicht zur Schule gehen können, diese in Zukunft auch in den normalen Schulalltag mit einbinden werden.

 

Kaja Trenk und Laura Furth besuchen das Steinbart-Gymnasium in Duisburg. Sie belegen den Leistungskurs Pädagogik und absolvieren derzeit ihr Abitur.