Bei den Wahlen geht es um die Wirtschaft, doch die Gewerkschaften verweigern jegliches Engagement

Obwohl wirtschaftliche Belange bei den kommenden Wahlen die zentrale Rolle spielen, halten sich Irans Gewerkschaften zurück. Angesichts des weitreichenden Ausschlusses von Präsidentschaftskandidat*innen und konfrontiert mit Fragen des Überlebens für ihre eigenen Organisationen hoffen sie schlicht, dass bessere Zeiten kommen werden.

Bild: Kalb

Zep Kalb

 

 

Beschäftigte aus allen Branchen gingen in den vergangenen Jahren auf die Straße. Mehr als einmal führte ihr Frust über den sinkenden Lebensstandard zu lautem Protest und großen Demonstrationen. Den Politiker*innen ist sehr wohl bewusst, dass die Wahlberechtigten im Land unter der schwierigen ökonomischen Lage leiden. Tatsächlich spielen Wirtschaftsfragen, wie Esfandyar Batmanghelidj ausführt, bei den Präsidentschaftswahlen 2021 eine elementare Rolle.

Insofern wäre zu erwarten, dass Arbeitnehmer*innenorganisationen und Gewerkschaften überlegen, wie sie strategisch profitieren können. Nicht so in Iran in diesem Jahr. Die Gewerkschaften werden das Rennen um die Macht im Staat aussitzen und auf bessere Zeiten warten.

 

Gewerkschaftlich organisierte Arbeiter*innen in der Islamischen Republik

Die organisierten Arbeitnehmer*innen Irans machen nur selten international Schlagzeilen. Doch es gibt Gewerkschaften, die in der Islamischen Republik offiziell zugelassen sind und sich entweder nach Branchen oder nach Berufen organisieren. Einflussreicher und mit politischem Gewicht organisiert haben sich etwa die Pflegekräfte im Gesundheitswesen, Lehrer*innen, Ingenieur*innen, Journalist*innen und Filmemacher*innen. Das Haus der Arbeitenden, ein Zusammenschluss der Angestellten in Industriekonzernen und Großunternehmen des Dienstleistungssektors, nimmt für sich in Anspruch, als Dachverband die werktätige Bevölkerung insgesamt zu vertreten. Der Verband organisiert auch Kampagnen der zahlreichen lokalen Verbände von Rentner*innen.

Auf die repressiven Jahre nach der Revolution von 1979 und den achtjährigen Krieg mit Irak erlebte Iran eine Phase der politischen Öffnung. Während sich die Nachkriegsregierungen für eine Liberalisierung des aufgeblähten öffentlichen Dienstes einsetzten, begannen auch die Werktätigen in den späten 1980er und 1990er Jahren wieder, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Ehemalige Revolutionär*innen und Kriegsveteran*innen erhielten organisatorische Hilfestellung, um als Vertretung ihrer Berufsgruppen Einfluss auf Politik und Tarifverhandlungen zu nehmen.

Die Unterschiede zwischen den iranischen Gewerkschaften sind groß. Einige von ihnen vertreten eine signifikante Zahl von Beschäftigten in der jeweiligen Branche. Die Gewerkschaft der Filmschaffenden bietet ihren Mitgliedern großzügige Sozialleistungen und schafft damit einen großen Anreiz, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Gleichwohl sind nicht alle Beschäftigtenorganisationen so erfolgreich. Die Gewerkschaft der Lehrenden und das Haus der Arbeitenden sind heute zwar die einflussreichsten Organisationen ihrer Art in Iran. Da sie ihren Mitgliedern jedoch vergleichsweise wenige Vorteile bieten, blieben sie bislang eher klein.

In den vergangenen zwanzig Jahren mussten sich alle Gewerkschaften an die rapide Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Land anpassen. Liberalisierung und neoliberale Reformen haben den politischen Einfluss der gewerkschaftlich Organisierten in Iran nachhaltig unterminiert. Führende Vertreter*innen der Gewerkschaften, die sich diesem Trend widersetzten, indem sie in ihren Verbänden mehr Partizipation ermöglichten und sie für größere Gruppen neuer Mitglieder öffneten, wurden nicht selten durch staatliche Repression und Einschüchterung zurückgedrängt. So bemühte sich insbesondere die Gewerkschaft der Lehrenden darum, die eigene Organisation klein zu halten und gleichzeitig so erfolgreich wie möglich zu Versammlungen und Demonstrationen zu mobilisieren, wenn das politische Klima es zuließ. Für die Lehrer*innen war der Atomdeal 2015 eine solche Gelegenheit. Mit zunehmender politischer Öffnung und weniger Repression organisierte ihre Gewerkschaft mehrere Runden nie zuvor gesehener landesweiter Proteste, die nicht selten in mehreren Dutzend Städten überall in Iran auf die Straße getragen wurden. Die Beschäftigten im Bildungswesen forderten höhere Gehälter, weniger Lohndiskriminierung und größere Arbeitsplatzstabilität in ihrer zunehmend privatisierten Branche.

 

Kooperation und Konfrontation mit der Regierung Rohani

Zurückhaltend formuliert, ließen sich die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften und der Regierung Rohani als instabil und ungesund beschreiben. Zwar leisteten die Organisationen der Beschäftigten Widerstand gegen die Politik des Präsidenten, dennoch unterstützten sie die politischen Gruppierungen, die hinter ihm standen. Dankbar akzeptierten sie eine Minderung der Repressionen sowie direkte Verhandlungen und Konsultationen mit der Staatsmacht. Rohani vergab überdies mehrere Schlüsselpositionen an gewerkschaftsfreundliche Politiker*innen. So hatte von 2013 bis 2018 der eng mit dem Haus der Arbeitenden verbundene Ali Rabi‘i das Amt des Ministers für Arbeit und Soziales inne.

Nach den gedeihlichen ersten Jahren der Regierung Rohani verschlechterte sich die Lage der Gewerkschaften nach 2017 rapide. 2018 führte die Wiedereinsetzung und Verschärfung der Sanktionen durch die Trump-Administration zu einem dramatischen Einbruch der Wirtschaft im Land. Internationaler Druck und massive Proteste der Bevölkerung in den Jahren 2018 und 2019 förderten die Einheit im gespaltenen politischen Establishment Irans. Die Opposition wurde brutal niedergeschlagen, die Repression nahm zu. Obwohl nie bewiesen werden konnte, dass die Gewerkschaften unmittelbar an den Protesten im Dezember 2017 und November 2019 beteiligt waren, wurden führende Vertreter*innen beschuldigt, Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet und mit den Forderungen der Demonstrierenden sympathisiert zu haben. Die Lage verschärfte sich dadurch, dass die globale Pandemie Iran besonders hart traf. Notstandsmaßnahmen und der Lockdown bewirkten den Ausschluss der Gewerkschaften von politischen Plattformen und erschwerten die Mobilisierung der Werktätigen. Besonders hart traf es die Gewerkschaft der Lehrenden: Für die Organisation von Protesten drohten ihren politischen Führer*innen Hausarrest oder Haftstrafen.

Ironie des Schicksals: Trotz der massiven Schwächung der Gewerkschaften seit 2017 haben sie für die Wahlbündnisse der Reformer*innen an Bedeutung gewonnen, denn der Niedergang der Gewerkschaften ging einher mit einem weitaus umfassenderen Backlash gegen reformorientierte und moderate Gruppierungen in der iranischen Politik. Während der Wächterrat hochrangige Reformer*innen von der Kandidatur um die Präsidentschaft ausschloss, durften sich schwächere Kandidat*innen aus dem Umfeld der Gewerkschaften, vermutlich, weil sie eine geringere Bedrohung darstellen als andere Vertreter*innen der Opposition, zur Wahl stellen. Entsprechend wurde das Reformbündnis bei den Parlamentswahlen 2020 ausschließlich vom Haus der Arbeitenden, einer Gruppe aus dem Umfeld der Gewerkschaft der Lehrenden und der Partei des mittlerweile verstorbenen ehemaligen Präsidenten Akbar Hashemi Rafsandschani geführt. Wenig überraschend endete die Wahl mit einer schweren Niederlage für die Reformkräfte, da die begrenzte Außenwirkung der Beschäftigtenorganisationen das Fehlen prominenterer Kandidierender nicht ausgleichen konnte.

 

Die Wahlen aussitzen

In diesem Jahr, wenige Tage vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, haben die Gewerkschaften weitgehend auf eigene Kampagnen verzichtet. Der gedämpfte Enthusiasmus dürfte die Wählenden kaum motivieren, ein Kreuz auf den Stimmzettel zu machen.

Die Gewerkschaften halten sich raus, und dafür gibt es zwei Gründe. Diese liegen zum einen in den Wahlen selbst. Die Gewerkschaftsführer*innen folgen in der Regel den Empfehlungen des Reformflügels, aus dem bislang jedoch noch keine klare Aussage für einen bestimmten Kandidaten kam. Dazu kommt das dünne Band, das Wahlbewerber*innen und Gewerkschaften verbindet. Keine*r der Kandidat*innen rühmt sich seiner beruflichen Identität oder wirbt damit, dass er/sie der Arbeiterklasse angehört. Keine*r von ihnen war je für eines der großen Ministerien oder einen der Wohlfahrtsverbände tätig, die an den Tarifverhandlungen mit den Beschäftigtenvertreter*innen beteiligt sind: die Sozialversicherungsträger, das Ministerium für Arbeit und Soziales oder das Bildungsministerium. Auf der Seite der Reformer kandidieren der Ökonom und ehemalige Notenbankchef Abdolnaser Hemmati und der Bürokrat und ehemalige Provinzgouverneur Mohsen Mahralize.

Die Gewerkschaften wollen die Wahlen jedoch auch deshalb aussitzen, weil ihr eigenes Überleben als Organisation auf dem Spiel steht. Die letzten Jahre der Präsidentschaft Rohani waren unglaublich hart – sowohl für die Aktivist*innen, als auch für die Organisationen als solche. Nun hoffen die Gewerkschaftsführenden, dass sich die Beziehungen zu einer neuen Regierung wieder verbessern. Viele erinnern auch die Präsidentschaftswahlen von 2005, als ihre Wahlkampfunterstützung für die späteren Wahlverlierer*innen eine Entfremdung von und repressive Gegenschläge der neuen Regierung mit sich brachte.

Zum ersten Mal seit der Revolution 1979 ist das Haus der Arbeitenden, Irans größte Gewerkschaft, nicht mehr direkt im Parlament oder in der Regierung vertreten. Sein letztes Abgeordnetenmandat verlor es 2020, und Ali Rabi’i gab das Amt des Arbeitsministers 2018 auf. Im Bemühen, wieder an Einfluss zu gewinnen, appelliert das Haus der Arbeitenden nun an die Wahlberechtigten, ihre Stimme abzugeben. Das Rennen um das Präsidentenamt hat in der Kampagne der Gewerkschaft bislang jedoch keinerlei Rolle gespielt. Das Haus konzentriert sich ausschließlich auf eine Nachwahl, um Alireza Mahdschoob, der seit langem an der Spitze des Verbandes steht, wieder im Parlament zu sehen. Wie die Gewerkschaft der Lehrenden ist auch das Haus der Arbeitenden scheinbar vorsichtig optimistisch, dass sich sein Schicksal, trotz zahlreicher Rückschläge in den vergangenen vier Jahren, im Laufe der Zeit eigentlich nur verbessern kann.

 

 

Zep Kalb ist Doktorand der Soziologie an der University of California, Los Angeles. Er hat umfangreich zu Arbeiterbewegungen, Wirtschaftssanktionen und „contentious politics“ (zivilem Ungehorsam) in Iran geforscht

Auf Twitter: @zepkalb

 

 

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