Augen zu und weiter so?

Der Westbalkangipfel soll nach dem Brexit als Beruhigungspille und Selbstversicherung der EU herhalten. Doch wie interessant ist ein Beitritt noch für diese Länder? Gerade angesichts von Offerten aus China und Russland, muss die EU deutlicher machen, worin ihre Attraktivität besteht.

Bild: Bild: "What is the Future of Solidarity", Urheber und Lizenz: FES

Im Rahmen des von der deutschen Bundesregierung angestoßenen „Berlin-Prozesses“ treffen sich die sechs Nicht-EU-Staaten des westlichen Balkans (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien) einmal im Jahr mit den sechs Mitgliedern Deutschland, Frankreich, Italien, Kroatien, Österreich und Slowenien sowie der EU-Kommission und internationalen Finanzorganisationen.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande haben – zehn Tage nach dem Brexit-Referendum – den diesjährigen Gipfel in Paris dazu genutzt, die Westbalkanstaaten einmal mehr ihrer Beitrittsperspektive zu versichern. Die Kanzlerin habe darüber hinaus Druck auf die kroatische Regierung ausgeübt, die Blockade der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Serbien (Kapitel 23 und 24) aufzugeben.

„Connectivity“ war ein Schlagwort des Gipfels. Zusagen über Mittel für regionale Infrastruktur und Energieinvestitionen wurden wiederholt, ein über das letzte Jahr hinweg ausgehandeltes, regionales Jugendwerk (RYCO) wurde offiziell mandatiert. Neben 96 Millionen Euro für drei Eisenbahnprojekte in Serbien, Albanien und Kosovo, versprach die EU weitere 50 Millionen für Gebäudesanierungen und Wasserkraftwerke.

Offensichtlich war allen Beteiligten daran gelegen, den Eindruck kontinuierlichen Fortschritts zu vermitteln. Tatsächlich ist die Einigung auf ein gemeinsames Jugendwerk als Erfolg zu werten, war im Verhandlungsprozess doch das Kunststück vollbracht worden, die mannigfaltigen diplomatischen Klippen für regionale Zusammenarbeit auf dem Balkan zu umschiffen und dabei auch noch Perspektiven aus der Zivilgesellschaft mit den Bedürfnissen der Regierungen in Einklang zu bringen.

Ein Blick hinter die Kulissen relativiert jedoch den vordergründigen Eindruck gedeihlicher Zusammenarbeit. Nur wenige Wochen vor dem Gipfel beklagte die EU-Kommission öffentlich, dass die Regierungen der Region kaum Bemühungen unternommen hätten, gemeinsame Infrastrukturprojekte anzustoßen. Ein Grund dafür könnte sein: Es liegen andere Angebote auf dem Tisch. China bietet den Staatenlenkern im Rahmen seiner „New Silk Road“-Strategie direkte Kompensation, wenn sie Bau- und Modernisierungsvorhaben an chinesische Firmen vergeben, freilich ohne jegliche politische Konditionierung. Und Russland bietet immer offener eine alternative Sicherheitspartnerschaft zu EU und NATO an.

Konkrete Forderungen aus der Zivilgesellschaft

Die fehlende Bereitschaft der Balkanregierungen mit Vertretern der Zivilgesellschaft zu sprechen, welche am Rande des Gipfels mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung einen Citizen Summit zur Zukunft der Solidarität in Europa organisierten, zeigt auch: Die EU muss sich der strategischen Frage stellen, ob „Stabilisierung durch regionale Zusammenarbeit“ wirklich ein zielführender Ansatz für die Region ist – denn für Stabilität ohne liberale Demokratie haben die Balkanstaaten „bessere“ Alternativen.

Zur „Schließung der Balkanroute“ wurden im Gespräch mit dem österreichischen Außenminister, Sebastian Kurz, und dem französischen Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Harlem Désir, weitere kritische Stimmen laut. Die tatsächlichen Zahlen der Flüchtenden seien, laut Aussagen von Helfer_innen entlang der Route, kaum zurückgegangen. Die offiziellen Zahlen sänken nur, weil Menschen auf der Flucht nicht mehr registriert würden. Stattdessen floriere die kriminelle Industrie – also genau die Schmuggelbanden, die doch eigentlich bekämpft werden sollten.

Auf besagtem Zivilgesellschaftsforum (Twitter: #csfparis) formulierten engagierte Bürger_innen und Europaparlamentarier_innen denn auch schon einmal folgende Ideen und Empfehlungen für die zukünftigen Beziehungen:

1. Schaffung sicherer und legaler Migrationskorridore durch die Balkanstaaten und vollständige Achtung internationaler Rechte und der Menschenrechte einschließlich des Rechts auf Asyl

2. Demokratie als Bedingung nachhaltiger Stabilität: Eröffnung der Beitrittsverhandlungen in den Kapiteln 23 und 24 (Justiz, Grundrechte & Korruption) in allen Staaten der Region

3. Schaffung eines EU-Sonderbotschafters zur Lösung bilateraler Konflikte in den Staaten des westlichen Balkans und Einbindung der angrenzenden Staaten Bulgarien, Rumänien und Griechenland in das Gipfelformat

4. Erweiterung des ERASMUS+ Programms auf die gesamte Region; Einbindung Sloweniens und Kroatiens in das regionale Jugendwerk

5. Beendigung der neu beschlossenen, 5 Millionen Euro umfassenden, Kohleenergieprojekte in Südosteuropa und Unterstützung bei der Implementierung der „Western Balkans Sustainability Charter“

Politikerinnen und Politiker, denen an der Zukunft Europas gelegen ist, sollten zuhören.

Ein Video des Civil Society Forum finden Sie hier.

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