Alles beim Alten: Der israelische Blick auf die iranischen Präsidentschaftswahlen

Israelische Politiker*innen jeglicher Couleur betonen, dass die politische Ausrichtung des nächsten iranischen Präsidenten die strategische Lage nicht verändern wird.

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Raz Zimmt

 

 

Im August 2013, bei einer Solidaritätsveranstaltung für die Palästinenser am „Globalen Al-Quds-Tag“, erklärte der damals frisch gewählte iranische Präsident Hassan Rohani in Teheran, dass die Besatzung Palästinas und Jerusalems „eine offene Wunde im Leib der islamischen Welt” sei. Die Reaktion des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu ließ nicht lange auf sich warten: „Rohani zeigt sein wahres Gesicht früher als erwartet... Seine Worte sollten die Welt von der Illusion heilen, der einige seit den Wahlen im Iran anhängen. “Zwei Monate später wandte sich Netanjahu in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung direkt an den neuen Präsidenten: „Rohani klingt anders als [sein Amtsvorgänger, der Hardliner Mahmud] Ahmadinedschad. In der Frage des iranischen Atomwaffenprogramms unterscheidet sie allerdings nur, dass Ahmadinedschad ein Wolf im Wolfspelz und Rohani ein Wolf im Schafspelz ist.“

Rohanis Überraschungssieg bei den Wahlen 2013 markierte einen wichtigen Wendepunkt in der Politik Irans. Als einer der Gründer des iranischen Regimes und Inhaber zahlreicher wichtiger Posten, darunter auch sensibler im Sicherheitssektor, galt Rohani bei nationalen und internationalen Beobachter*innen als pragmatischer Konservativer. Seine öffentlich vertretenen Positionen unterschieden sich von den Statements seines Vorgängers in innen- wie in außenpolitischen Angelegenheiten. Er äußerte sogar vorsichtig Kritik am Verhalten seines Landes in den Nuklearverhandlungen mit dem Westen. Kurz nach seinem Amtsantritt änderte er auch seine Haltung gegenüber Israel und den Juden. Nach dem radikalen Auftritt am Al-Quds-Tag im Sommer 2013 mäßigte er seine Rhetorik. Im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger jedenfalls schien er deutlich weniger besessen von der Israelfrage.

Gleichwohl wiesen israelische Regierungsvertreter*innen und insbesondere Premierminister Netanjahu die Möglichkeit eines realen Wandels in Iran nach der Wahl Rohanis vehement zurück. Ihre Skepsis begründeten sie mit der spezifischen Struktur des iranischen Establishments, mit einem System, das keine freien und fairen Wahlen zuließe, sowie mit der ungleichen Machtverteilung zwischen Staatspräsidenten und Revolutionsführer, die zur Folge habe, dass ersterer nie gänzlich mit den ideologischen Grundsätzen der Islamischen Republik brechen oder signifikante Änderungen der Politik durchsetzen könne. Weiterhin argumentierten sie, dass der iranische Präsident nur bedingt die Möglichkeit habe, in relevanten Fragen – beispielsweise bei den iranischen Nuklear- und Raketenprogrammen oder den kriegerischen Operationen in der Region – von der offiziellen Israelpolitik des Regimes abzuweichen. In Folge der Unruhen im vergangenen Jahrzehnt, die auch Rohanis achtjährige Amtszeit begleiteten, hat die Iranische Revolutionsgarde (IRGC) ihr Engagement im Nahen Osten und ihren Einfluss auf die Außenpolitik der Islamischen Republik, vor allem im näheren Ausland, signifikant ausgebaut.

Irans feindliche Haltung gegenüber Israel bleibt eines der konsistentesten und kompromisslosesten Elemente der offiziellen Politik der Islamischen Republik. Führende Vertreter, an ihrer Spitze Revolutionsführer Ali Chamenei, melden sich immer wieder mit antiisraelischen Positionen zu Wort und rufen offen zur Vernichtung Israels auf. In dieser Hinsicht sind sich die wichtigsten politischen Gruppen in Iran auch weitgehend einig. Zwar nahm Reformpräsident Mohammad Chatami eine pragmatischere und moderatere Haltung gegenüber Israel ein – er betonte in den 1990er Jahren mehrfach, dass Iran kein Interesse an einer Einmischung in den Friedensprozess zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten habe, und empfahl, man solle sich auf die eigenen Probleme konzentrieren. Doch auch er unterstrich die Notwendigkeit einer Rückkehr aller palästinensischen Geflüchteten nach Israel. Überdies sprach er sich für ein Referendum unter den „ursprünglich in Palästina Lebenden“ aus, die allein über das Schicksal des Landes entscheiden sollten. Jedoch schließt diese Formulierung die meisten israelisch-jüdischen Bewohner*innen des Landes aus, womit dieser Vorschlag faktisch mit der Eliminierung Israels als jüdisch-zionistischer Staat gleichzusetzen ist.

Iranische Aggressionen gegenüber Israel beschränken sich nicht auf öffentliche Erklärungen. Unter allen Präsidenten, den Hardlinern wie den Pragmatikern, ermutigte, förderte und unterstützte das Land antiisraelische terroristische und militärische Aktionen palästinensischer Organisationen und der Hisbollah, um sich sowohl selbst als auch über Stellvertreter entlang der israelischen Grenze festzusetzen.

Beim iranischen Atomprogramm nahm Rohani eine pragmatischere Haltung ein als sein Amtsvorgänger. Im Gegensatz zur konfrontativen Politik Ahmadinedschads versuchte er, die ökonomischen und politischen Kosten auf dem Weg zum nuklearen Schwellenland zu reduzieren. Zwar begannen die vertraulichen Gespräche zwischen Iran und den Vereinigten Staaten mit Erlaubnis von Revolutionsführer Chamenei bereits in der Amtszeit Präsident Ahmadinedschads, doch ermöglichte erst die Wahl Rohanis Fortschritte bei den Verhandlungen, die im Juli 2015 zur Unterzeichnung der Wiener Nuklearvereinbarung (JCPOA) führten.

Die israelische Regierung zeigte sich vom Nukleardeal wenig angetan. Premierminister Netanjahu sprach gar von einem „historischen Fehler“. Israel hatte bereits zuvor die Versuche angeführt, das iranische Atomprogramm zu verzögern. Nun wehrte es sich gegen das Nuklearabkommen und unterstützte den von US-Präsident Donald Trump eingeschlagenen Weg des „maximalen Drucks“. In jüngerer Zeit ging es Netanjahu offenbar vor allem darum, die indirekten amerikanisch-iranischen Gespräche über eine beidseitige Rückkehr zur umfassenden Erfüllung des JCPOA auszuhebeln: durch fortlaufendes israelisches Vorgehen gegen iranische Atomanlagen und die wiederholt vorgetragene Erinnerung, dass Israel nicht an einen Nukleardeal zwischen den Weltmächten und Iran gebunden sei.

Parallel zu politischen Bemühungen setzt Israel auch seine verdeckten Aktivitäten zur Verzögerung des iranischen Nuklearprogramms – sowie der Fortschritte zwischen Iran und den USA auf diplomatischer Ebene fort. Insofern könnte der Sieg eines Hardliners bei den kommenden Wahlen durchaus im israelischen Interesse sein – jedenfalls aus Netanjahus Perspektive. Die Wahl eines konservativen Präsidenten würde zwar die Rückkehr zum Nukleardeal nicht notwendigerweise verhindern, denn das entscheidet der Revolutionsführer. Doch wenn es vor den Wahlen in Iran nicht mehr zu einer Vereinbarung kommt, könnte sich der weitere Verlauf der Verhandlungen schwieriger gestalten. Das wiederum beeinträchtigt die Möglichkeit einer Rückkehr zum JCPOA. Eine solche wäre für Israel das Worst-Case-Szenario: israelische Politiker*innen sind überzeugt, dass der Deal Iran den Weg ebnet, Atomwaffen zu bekommen, sobald die Beschränkungen des Abkommens auslaufen. Überdies würde die Wahl eines Hardliners, nicht zuletzt angesichts der Ambitionen der Iranischen Revolutionsgarde, eine Annäherung auf regionaler Ebene erschweren.

Gleichwohl spürt Israel, dass die Wahl eines pragmatischen Staatspräsidenten die größere Herausforderung darstellen könnte. Denn ein Mann an der Spitze der Regierung, der die Möglichkeit (oder zumindest den Anschein) eines wohlfeileren Agierens Irans auf internationalem Parkett impliziert, könnte die internationale Meinung über das Land positiv beeinflussen. Potenziell könnte dies heißen: weniger Sanktionen, weniger Isolierung und ein positiver Schub für Handel und Wirtschaft. Zweifellos würde ein Hardliner mit kriegstreiberischer Rhetorik, der offen zur Vernichtung Israels aufruft und sich als Falke positioniert, den israelischen Bemühungen um eine Mobilisierung der internationalen Gemeinschaft gegen die Islamische Republik besser zupasskommen.

Auf mehreren Ebenen tragen Iran und Israel heute einen komplexen Konflikt aus. Die Feindschaft gegenüber Israel bleibt dabei eine wichtige Komponente der offiziellen Politik Irans, während Israel selbst, insbesondere unter dem aktuellen Premierminister, ein fundamentales Interesse an der Aufrechterhaltung der Spannungen hat. Aufgrund des spezifischen Charakters des politischen Systems Irans betrachtet Israel das Land als existenzielle Bedrohung, gleichzeitig dienen die iranisch-israelischen Spannungen aber auch den persönlichen Interessen des Premierministers Netanjahu. Dieser nutzt die anhaltende Konfrontation, um die israelische Öffentlichkeit von seinen eigenen politischen und justiziellen Problemen abzulenken und sich als den einzigen Staatsmann zu präsentieren, der der iranischen Bedrohung erfolgreich etwas entgegensetzen kann.

Vermutlich würde aber auch ein Amtsnachfolger Netanjahus keinen fundamental anderen Kurs gegenüber Iran fahren. Der Mainstream der israelischen Politik weist keine nennenswerten Unterschiede in der Iranfrage auf. In der israelischen Politik treffen Militäroperationen gegen iranische Versuche, in Syrien Fuß zu fassen, oder verdeckte Aktivitäten gegen das iranische Atomprogramm mehrheitlich auf Zustimmung, und zwar unabhängig von der politischen Couleur. Vielleicht würde ein anderer Premierminister eine etwas abweichende Rhetorik gegenüber Iran wählen, offensive Aussagen gegen das Land abschwächen und die Iranfrage möglicherweise nicht mehr als oberste Priorität betrachten. Eine grundsätzliche Änderung der israelischen Sicht auf Iran als strategische Bedrohung oder der Entschlossenheit des Landes, gegen Irans Atomprogramm, die Raketenkapazitäten und regionale Kampagnen auch in Zukunft vorzugehen, ist dennoch nicht zu erwarten.

Sollte in Iran ein pragmatischerer Staatspräsident gewählt werden, wird Israel vermutlich daran erinnern, dass die strategischen Entscheidungen des Landes von Revolutionsführer Chamenei getroffen werden und sich an der iranischen Politik nichts ändern wird. Übernimmt ein Hardliner das Präsidentenamt, dürfte Israel argumentieren, dass die gesamte iranische Führung nun unter der Kontrolle der Radikalen stehe und fordern, dass die internationale Gemeinschaft mehr denn je gegen Iran mobil macht. Unabhängig vom Wahlausgang: Solange beide Seiten ihre anhaltende Konfrontation als Nullsummenspiel begreifen – in dem Iran das Existenzrecht Israels nicht anerkennt und Israel die essenziellen Interessen Irans leugnet – wird der iranisch-israelische Konflikt andauern.

 

 

Dr. Raz Zimmt ist Iranexperte am Institute for National Security Studies (INSS) und ehemaliger „Iran-watcher“ der Israelischen Verteidigungskräfte.

Auf Twitter: @RZimmt

 

 

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