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Wir trauern um Michail Gorbatschow

Der erste und letzte Präsident der Sowjetunion war bis zu seinem Tod ein überzeugter Kämpfer für den Frieden und für ein gemeinsames europäisches Haus mit Russland als einem integralen Teil. Seine Bedeutung für die deutsche und europäische sowie globale Entwicklung war immens. Das Ende des Kalten Krieges, die neue Freiheit der zentralosteuropäischen Staaten und die deutsche Einheit wären ohne ihn undenkbar gewesen. Der britische Historiker Archie Brown schrieb zu Recht vom „Gorbatschow-Faktor in der Geschichte“. Die Welt war ihm dankbar dafür, insbesondere Deutschland. 

Seine Reformen hatten eine bessere Zukunft für sein Volk und für die Welt zum Ziel. Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau) hatten jedoch nicht den Erfolg, den er gebraucht hätte, um die Sowjetunion zu demokratisieren. Am Ende stand der Zerfall dieser Supermacht des Kalten Krieges und die Abwendung der Menschen von Gorbatschow und seinen Ideen. Für seinen Mut hat Gorbatschow einen hohen persönlichen Preis gezahlt. Was ihn aber besonders schmerzte, war die US-Rhetorik vom Sieg, von der Überlegenheit des Westens und das Scheitern seiner Initiative zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der Russischen Föderation.

Umso mehr schätzte Gorbatschow die Gespräche mit deutschen sozialdemokratischen Politikern und Politikerinnen. Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen seiner Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) war stets vertrauensvoll und anregend.

Beim 20-jährigen Jubiläum der FES in Russland im Jahr 2009 hielt er die Laudatio in Moskau, in der er für mehr Sozialdemokratie in Russland und für mehr Europa in Russland warb. Diese engen Beziehungen blieben bis zur Schließung des FES-Büros durch das russische Justizministerium im April dieses Jahres bestehen. Verständigung, friedenspolitische Arbeit und Jugendprojekte waren ihm stets ein wichtiges Anliegen.

Sein Tod fällt in eine Zeit des Übergangs der postsowjetischen in eine neoimperiale Politik Russlands.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist das Gegenteil von Gorbatschows Vorstellung eines kooperativen und friedlichen 21. Jahrhunderts, in dem Großmächte verantwortungsvoll handeln, nachhaltig abrüsten und Politik im gegenseitigen Respekt betreiben. Dies ist sein bleibendes Vermächtnis.

Martin Schulz, Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung e.V.
Berlin, 31. August 2022

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