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Douglas Rushkoff: Survival of the Richest

Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind, Berlin: Suhrkamp (2025)

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Kurzgefasst und eingeordnet von Gero Maaß.
Gero Maaß ist freiberuflicher Berater und und war bis 2020 für die Friedrich-Ebert-Stiftung tätig, u.a. als Leiter der  Internationalen Politikanalyse sowie der Büros in Frankreich, Großbritannien, Spanien sowie für die nordischen Länder.


buch|essenz

Kernaussagen

In den frühen 1990er-Jahren stellte man sich das Internet als einen machtfreien Ort vor, der Zugang zu Informationen für alle bietet und an dem man sich untereinander frei austauschen kann. Doch aus dem offenen Netzwerk für globale soziale Vernetzung machten die Tech-Unternehmen immer mehr einen von wenigen Akteuren dominierten kommerziellen Markt. Verbunden sind die Leitfiguren aus dem Silicon Valley durch ihre blinde Technikgläubigkeit, ihre narzisstischen Größenfantasien, ihre drogeninduzierten New-Age-Visionen und durch ihren fadenscheinigen Philanthrokapitalismus.

Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie

Laut Koalitionsvertrag will uns die neue Regierung auf die digitale Überholspur führen, den Standort Deutschland wieder attraktiv machen und das Land zurück auf den Wachstumspfad führen. Die Gesellschaft soll dabei digital kompetent, selbstbestimmt und inklusive sein – sicherlich ein gutes Leitmotiv für die geplante Modernisierung. In diesem Zusammenhang kann man durch die Lektüre von Rushkoffs Buch über den kritischen Umgang mit digitalen Tools und deren weitreichende gesellschaftliche Implikationen viel lernen.


buch|autor

Douglas Rushkoff, geboren 1961, ist Professor für Medientheorie und digitale Wirtschaft am Queens College der City University New York. Er gilt als einer der Vordenker, aber auch als einer der schärfsten Kritiker digitaler Entwicklungen. Rushkoff verfasste zahlreiche Bücher, prägte die Ausdrücke »viral gehen« sowie »digital natives« und sieht sich selbst als einen marxistischen Medientheoretiker und Humanisten, der sich mit den Auswirkungen digitaler Technologien auf unser Leben beschäftigt.


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buch|inhalt

Auslöser für das Buchprojekt war ein klandestines Treffen in einem Wüstenresort, zu dem Tech-Milliardäre den Autor gegen ein fürstliches Honorar eingeladen hatten. Zunächst dachte er, es ginge um eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklungen von Technologie und Gesellschaft. Tatsächlich bat man ihn indes um einen Rat, wo und wie man am besten Bunker für den Weltuntergang bauen sollte. Er begriff: Diese Herrschaften waren inspiriert von den Ideen und Vorhaben des Tesla-Gründers Elon Musk, der den Mars besiedeln will, des Palantir-Mitgründers Peter Thiel, der versucht, den Alterungsprozess aufzuhalten, und der KI-Entwickler Sam Altman und Ray Kurzweil, die beabsichtigen, ihr Bewusstsein auf Supercomputer hochzuladen.

Diesen Menschen ging es nicht darum, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, sondern eher darum, das menschliche Dasein überhaupt hinter sich zu lassen. Ihr extremer Reichtum und ihre privilegierte Position bestärkten sie in dem Wunsch, sich angesichts der sehr realen Bedrohung durch Klimawandel, Anstieg des Meeresspiegels, Massenmigration, globale Pandemien, einwanderungsfeindliche Panik und Erschöpfung der natürlichen Ressourcen noch mehr von der übrigen Gesellschaft abzuschotten. In ihren Augen erfüllte die Technologie der Zukunft nur einen einzigen Zweck: Sie sollte ihnen helfen, vor dem Rest von uns zu fliehen.

Schließlich wurde erörtert, wie man sich im Zeichen von Umweltkollaps und gesellschaftlichen Unruhen der Folgsamkeit des Wachpersonals versichert – bezahlen könne man sie ja nicht mehr, wenn das Finanzwesen zusammengebrochen war. Rushkoffs Vorschlag verunsicherte die Zuhörer: Sie sollten diese Personen schon möglichst früh solidarisch integrieren. Dies entsprach allerdings so gar nicht ihrem nihilistischen, elitären Weltbild des Überlebens der Reichsten.

Frühe Hoffnungen mit reaktionärer Wende

Am Anfang des Internets stand der Wunsch nach digitaler Basisdemokratie und kollektiver Entwicklung eines Mediums zur Förderung von Kreativität, Spiel, Freiheit, Chancen und des sozialen Zusammenhalts. Schnell wurde es jedoch zum Dreh- und Angelpunkt eines neuen Geschäftsmodells, das sich innerhalb von nur drei Jahrzehnten und frei nach dem Motto „Genug gibt es nicht“ zu einem von Tech-Milliardären dominierten Markt wandelte. Das Problem hierbei ist nicht die eingesetzte Technologie, sondern der Eroberungswille, der sich in der letzten Dekade zudem mit einer politisch reaktionären Wende verband. An die Stelle des demokratischen trat auf diese Weise also ein autokratisches Leitmotiv, verbunden mit Kontrolle und Überwachungsmechanismen. Die Realität des Technologieeinsatzes und des Arbeitslebens wird vor den Konsument_innen dabei ebenso verborgen wie die Realität der Produktionsbedingungen der gekauften Ware:

„Die mehrschichtige Verschleierung anhand der digitalen Technologie ermöglicht eine umfassendere Externalisierung des Schadens […]. Die Technologie trennt den menschlichen Akteur von den menschlichen Kosten. Die Probleme des gegenwärtigen ausbeuterischen, wachstumsabhängigen Kapitalismus werden nicht verringert, sondern lediglich unsichtbar gemacht“ (77).

Selbstsüchtiges, entmenschlichendes Mindset

Den Protagonisten des technischen Wandels geht es nicht einfach nur um Veränderung und Wettbewerb, sondern um radikale Erneuerung, eine „zerstörerische Zerstörung“. Große Gewinne macht nur, wer konsequent mit alten Vorstellungen bricht und „meta“, also „next level“ geht. Die Leitmaxime lautet, möglichst viele Mittel, Technologie und Geld anzuhäufen, damit man den Folgen des eigenen Handelns entkommen kann. Das Mindset der Tech-Milliardäre besteht dabei in einer paradoxen Mischung: Einerseits glauben sie, Technologie könne die meisten Probleme lösen, andererseits planen sie unterirdische Bunkeranlagen, um der Welt und ihren Problemen zu entkommen. Neben einem Verständnis zwischenmenschlicher Beziehungen als einem Marktphänomen, der Furcht vor Natur und Frauen, dem Bedürfnis, die eigenen Beiträge als einzigartige und beispiellose Neuerungen zu betrachten, und dem Bemühen, das Unbekannte zu neutralisieren, indem man es beherrscht und entseelt, beinhaltet dieses Mindset auch die Silicon-Valley-Gewissheit. Sie geht davon aus, dass es eine kybernetische Technologie gibt, mit der man sich über die Gesetze von Physik, Ökonomie und Moralität hinwegsetzen kann und die ihren Eigentümern etwas noch Besseres als die Rettung der Welt ermöglicht: nämlich der von ihnen heraufbeschworenen Apokalypse zu entkommen. Die Hoffnung der Eliten besteht dabei darin, sich selbst auf eine höhere Abstraktionsebene – etwa in Zuckerbergs Zukunftsvorstellung des Internets als Metaversum – zu retten, während der Rest der Welt vor die Hunde geht.

Gerne knüpfen die Entscheidungsträger aus dem Silicon Valley dabei an Ayn Rand an, die Philosophin des rücksichtslosen Turbokapitalismus mit seinem radikalen Individualismus. In ihren philosophischen Romanen befeuerte Rand den Traum vom Aufstieg der Tüchtigen. Als moralischer Gradmesser dienen ihr dabei Eigeninteresse und Egoismus. Das Aufstiegsversprechen ihrer Philosophie zieht bis heute und ist passend zum US-amerikanischen Tellerwäscher-Mantra, wonach jeder und jede es schaffen kann, erfolgreich zu sein. Rand zufolge sind die anderen an ihrer Misere selbst schuld.

Macht und Technik

Die Bilder von der Amtseinführung Donald Trumps waren sinnbildlich. Hinter dem Präsidenten und den zukünftigen Regierungsmitgliedern saß die ganze Riege der amerikanischen Tech-Oligarchen von Elon Musk bis Peter Thiel und veranschaulichte, wie sich politische Macht mit Internet und Digitalwirtschaft verknüpft und eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft ankündigt. Wenig später hatte sich der X-Chef gar einen Posten als Repräsentant der US-Regierung beschafft. Mit seinem DOGE-Ministerium legte er die Kettensäge an staatliche Strukturen. Die großen Technologieunternehmen dominieren also nicht länger nur ihre jeweiligen Märkte, sondern dehnen ihren Einfluss weit über die ökonomische Sphäre hinaus in Politik, Medien und gesellschaftliche Debatten aus. Rushkoff prognostiziert diesem digitalen Kapitalismus nichts Gutes:

„Noch jede Gesellschaft, die ein dem gegenwärtigen vergleichbares Maß an wirtschaftlicher Ungleichheit erreicht hatte, rutschte in den Faschismus ab. Noch nie ist eine Zivilisation, die ihre physische Umwelt derart ausgebeutet hat, dem Zusammenbruch entgangen“ (248).

Kooperatives Handeln in einer Kreislaufwirtschaft

Angesichts der Zerrüttungen, die diese digitalen Geschäftsmodelle produzieren, müssen wir uns von dem Mindset der Tech-Milliardäre befreien – denn mitnehmen werden sie uns auf ihrem Exodus sicher nicht. Dem technokapitalistischen Mindset der Tech-Milliardäre stellt Rushkoff daher die Wiederentdeckung des sozialen, kooperativen und nachbarschaftlichen Handelns in einer weniger wachstumsfixierten Kreislaufwirtschaft entgegen: Ressourcen und Einnahmen zirkulieren stetig in der Gemeinschaft und stehen der Arbeiterklasse zur Verfügung. Die Kraft der wechselseitigen Hilfe wird genutzt, um die Lage der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft ihren Bedürfnissen entsprechend zu verbessern. Die

Menschen besitzen die Unternehmen kooperativ mit anderen Arbeiter_innen und wahren ihre Unabhängigkeit von großen Arbeitgebern und desinteressierten Investoren.


buch|votum

Rushkoff verwebt ökonomische, politische, philosophische und psychologische Betrachtungen zu einem stimmigen Sittengemälde des digitalen Kapitalismus samt seiner Technologieverherrlichung und all seinen ideologischen und realen gesellschaftlichen Implikationen. Das Buch liefert ein tieferes Verständnis für die Ursachen des Größenwahns der Tech-Milliardäre und auf dieser Basis eine radikale Kritik an den Heilsversprechen, die uns nur weiter in den ökologischen und gesellschaftlichen Abgrund führen werden.

Meist ist das Buch aufschlussreich, manchmal aber auch vereinfachend. Man verzeiht dem Autor, wenn hier und da eitle Rechthaberei durchscheint – Ich, Douglas Rushkoff, plaudere aus dem Nähkästchen, werde von den Reichen eingeladen und lasse mich weder beeindrucken noch korrumpieren. Am Ende werden aber zu kleine Brötchen gebacken. Rushkoff kündigt zwar selbst an, keinen Plan für die Rettung der Welt vorlegen zu wollen, sondern nur ein paar Hinweise zu geben, was wir tun müssen, um die Auswirkungen einzudämmen und alternative Lösungen anzusteuern. Bei der Entfaltung der Gegenvision hätte man sich dennoch ein bisschen mehr innovativen gedanklichen Tiefgang erhofft.

Trotzdem: Lesen Sie das Buch, reden Sie darüber und sorgen Sie mit für seine Verbreitung, indem Sie das Buch weiterempfehlen oder nach der Lektüre weitergeben. Das wäre auch ganz im Sinne von Rushkoffs Gegenvision einer Wiederbelebung des nachbarschaftlichen, sozialen Zusammenhalts.

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Verlag: Suhrkamp
Erschienen: 23.02.2025
Seiten: 281
ISBN: 978-3-518-02999-2

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