Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Zur Verlagsseite
Kurzgefasst und eingeordnet von Paula Schweers. Paula Schweers arbeitet nach Stationen in Politik und Wissenschaft für das ARTE Magazin und als freie Journalistin und Autorin. Ihr Debütroman „Lawinengespür“ erschien 2023 bei der Frankfurter Verlagsanstalt.
Aufgrund der Menge und Vielfalt der aktuellen Krisen beschränken sich die Aufgaben von Politiker_innen momentan zu oft auf Schadensbegrenzung. Es bleibt wenig Zeit, um Entscheidungen gründlich abzuwägen. Die Kombination aus schnellen, oft wenig transparenten politischen Kurswechseln und einer mangelnden Fehlerkultur führt zu einem Vertrauensverlust in demokratische Institutionen. Populisten und extremistische Akteur_innen erhalten dadurch Zulauf; ihre Positionen erscheinen zunehmend auch der gesellschaftlichen Mitte akzeptabel. Eine Verschärfung des Tons in den Debatten innerhalb der demokratischen Parteien sowie mediale Zuspitzungen tragen zusätzlich zur aktuellen Krise der Debattenkultur bei.
Reuschenbach und Frenzel rufen die etablierten Parteien dazu auf, sich nicht immer nur gegen die AfD zu positionieren, sondern auch ihren eigenen Umgang mit Fehlern sowie ihre eigenen Kommunikationsformen zu hinterfragen. Das Buch stellt die Frage, wie Debatten in Krisenzeiten wie der heutigen konstruktiver geführt werden können. Dieser Ansatz macht es zu einem wertvollen Debattenbeitrag nicht nur für die Soziale Demokratie, sondern für alle politischen Akteur_innen sowie für alle Verteidiger_innen der Demokratie.
Julia Reuschenbach ist Politikwissenschaftlerin und forscht an der Freien Universität Berlin zu Parteien und politischer Kommunikation.
Korbinian Frenzel ist Radiojournalist und führt im Rahmen der Sendung „Studio 9 der Tag mit“ auf Deutschlandfunk Kultur Interviews mit je einem Gast aus Medien, Kultur oder Politik.
Reuschenbach und Frenzel untersuchen in ihrem Buch zunächst die Gründe für die aktuelle gesellschaftliche Polarisierung. Dabei gehen sie auf historische Hintergründe sowie auf die Verantwortung der politischen Parteien und der Medien, aber auch der Bürger_innen ein. Anschließend stellen sie konkrete Lösungsvorschläge und Beiträge zu einer besseren Debattenkultur zur Diskussion.
Die Ursachen für die Krise der Debattenkultur sind vielfältig und vor dem Hintergrund großer gesellschaftlicher Entwicklungslinien zu sehen. Zu nennen ist hier zum Beispiel die zunehmende Individualisierung, die ein geringeres Gemeinschaftsgefühl bedingt. Wichtig sind aber auch die vielfältigen aktuellen Krisen und Umbrüche wie die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine. Diese Phänomene führen zu einer Zunahme von Verunsicherung sowie zum Gefühl von geringer Selbstwirksamkeit und Ohnmacht. Dies wiederum hat Apathie zur Folge und einen Rückzug ins Private und damit am Ende ein geringeres Interesse an der aktiven Mitgestaltung von Politik.
Rechtspopulistische Akteur_innen unterwandern die bisherige Debattenkultur durch Vereinfachungen, den Ausschluss ihnen unliebsamer Personengruppen und Versuche der Legitimation demokratiefeindlicher Positionen. Doch sind sie nicht allein schuld am Verfall der Debattenkultur. Aktuelle Untersuchungen legen nahe, dass die etablierten Parteien Aussagen und rhetorische Stilmittel von Populisten teilweise übernehmen. Dies führt zu einer Verschärfung des Tons in politischen Debatten auch in der Mitte der Gesellschaft und hat Auswirkungen auf die Stimmung der Bürger_innen.
Zudem kranken die Debatten daran, dass man sich zu oft auf öffentlichkeitswirksame Details konzentriert und versucht, daraus politisches Kapital zu schlagen. Ein Beispiel hierfür ist die Debatte um das Bürgergeld. Anstatt die zentralen Fragen zu behandeln – etwa danach, wie Aufstocker_innen oder alleinerziehende Mütter in eine bessere berufliche Position gebracht oder in anderer Weise unterstützt werden können –, drehen sich die Diskussionen oftmals um die kleine Gruppe von Menschen, die sich dem System völlig verweigern und keine Arbeit mehr aufnehmen möchten. Auf diese Weise entstehen zähe Scheindebatten.
Innerhalb der Legislaturperiode sollten die regierenden Parteien agieren können, ohne sofort an situativen Zustimmungswerten gemessen zu werden. Politische Umfragen sollten also vor allem während des Wahlkampfes durchgeführt werden. Nötig wären auch tiefergehende Analysen, die den komplexen politischen Entscheidungen gerecht werden. Politiker_innen sollten die Möglichkeit haben, Ideen zur Diskussion zu stellen, die noch nicht ausgereift oder gar perfekt sind. Parlamente sollten stärker als Orte des Aushandelns genutzt werden. Die Fehlerkultur und Evaluationsmethoden für politische Entscheidungen und nachfolgende Prozesse müssen verbessert werden.
Reuschenbach und Frenzel schlagen vor, dass alle Bürger_innen bis zu viermal im Leben für etwa zwei Monate in einem anderen Berufsfeld arbeiten und so Einblicke in andere Bereiche der Gesellschaft erhalten können sollten. Dieses Perspektivwechsel-Programm könnte dazu beitragen, Debatten künftig sachlicher und kenntnisreicher zu führen. Zudem braucht es eine finanzielle und personelle Stärkung der aufsuchenden Politischen Bildung für Erwachsene – etwa durch Projekte für mehr Teilhabe in einzelnen Stadtvierteln. Ein Querschnitts-Schulfach „Demokratie, Medien und Information“ würde Medienkompetenz und das Verständnis für politische Abläufe bereits im Schulalter fördern.
Im Bereich der Medien könnten an einem Tag in der Woche gute Nachrichten in den Vordergrund der Berichterstattung gestellt werden. Des Weiteren sollte man vermehrt partizipative Formate entwickeln, in denen Bürger_innen nicht nur Zuschauer_innen sind und somit passiv bleiben, sondern aktiv mitdiskutieren. Außerdem sollte es verstärkte Regulierungen der sozialen Medien geben, etwa durch Abschaffung des Like- und des Teilen-Buttons bei Instagram.
Die Beschreibung der Wechselwirkung von Medien, Politiker_innen und Bürger_innen, die alle auf ihre Weise zur aktuell problematischen Debattenkultur beitragen, ist aufschlussreich. Bleibenden Eindruck hinterlässt auch der Ansatz, nicht nur die Feinde der Demokratie anzuklagen, sondern auch die Freunde der Demokratie in die Pflicht zu nehmen und für größeres Engagement zu begeistern. Eine weitere große Stärke des Buches liegt in den konkreten Vorschlägen, die die Autor_innen zur Diskussion stellen.
Verlag: SuhrkampErschienen: 09.09.2024Seiten: 318ISBN: 978-3-518-47438-9