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Rainer Mühlhoff: Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus

Ditzingen: Reclam (2025)

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Kurzgefasst und eingeordnet von Gero Maaß.
Gero Maaß ist freiberuflicher Berater und und war bis 2020 für die Friedrich-Ebert-Stiftung tätig, u.a. als Leiter der  Internationalen Politikanalyse sowie der Büros in Frankreich, Großbritannien, Spanien sowie für die nordischen Länder.


buch|essenz

Kernaussagen

Künstliche Intelligenz, kurz KI, ist nicht einfach ein neues Werkzeug, dessen Ausprägung je nach Gebrauch gute oder schlechte Ergebnisse hervorbringt, sondern ein soziotechnisches Phänomen, das sich in den Händen weniger Oligopole befindet, die über seinen Gebrauch bestimmen. KI beruht auf einer massiven Konzentration von Macht in den Händen weniger Technologiekonzerne, die exklusiven Informationszugriff auf ihre Kunden haben. Diese Unternehmen verfügen über private Medien- und Dateninfrastrukturen, die sowohl neue Formen kapitalistischer Verwertung bzw. Extraktion als auch neuartige Mittel der Manipulation und Verhaltenssteuerung ermöglichen. Vor diesem Hintergrund erscheint KI als eine Technologie zur Ansammlung, Sicherung und Ausübung von Macht und Kontrolle. Ohne staatliche Regulierung eignet sich diese Machttechnologie ideal für autoritäre oder gar faschistische Zwecke. Die ideologische und technische Affinität von künstlicher Intelligenz und Faschismus zeigt sich auf der materiellen Ebene darin, wie KI funktioniert und wie sie unser Verständnis von Wahrheit verändert, sowie auf der Ebene der öffentlichen Vorstellungen von künstlicher Intelligenz und der in Tech-Kreisen verbreiteten Weltanschauungen, die beide in deutlicher Kontinuität zu eugenischen, antiegalitären und faschistischen Ideologien des 20. Jahrhunderts stehen.

Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie

Bei dem Wort „Faschismus“ mögen viele an Springerstiefel und Glatzköpfe denken, doch Mühlhoff öffnet die Augen für die Gefahren eines neuen Faschismus, der durch eine Verbindung von neuen technischen Möglichkeiten mit KI und Tech-Ideologien mit altem rechten Gedankengut vorangetrieben wird. Während die oft zukunftsorientierten KI-Debatten meist von den weitreichenden sozialen Auswirkungen im Hier und Jetzt ablenken, liefert Mühlhoffs Buch Einsichten in die gesellschaftlichen und ideologischen Implikationen von künstlicher Intelligenz und bietet das Rüstzeug für einen kritischen Umgang mit digitalen Tools.


buch|autor

Rainer Mühlhoff, geb. 1982, Philosoph und Mathematiker, ist Professor für Ethik und kritische Theorien der Künstlichen Intelligenz an der Universität Osnabrück. Er ist außerdem assoziiert am Einstein Center Digital Future sowie am Weizenbaum-Institut, beide in Berlin. Seine Forschungsthemen umfassen Ethik und Sozialphilosophie, kritische Theorie und Kontinentalphilosophie, Datenschutz und Resilienz von Demokratien, Wissenschaftsphilosophie sowie Technikphilosophie in der digitalen Gesellschaft.


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buch|inhalt

Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit verlor Donald Trump keine Zeit: Noch am Tag seiner Amtseinführung machte er den Tech-Milliardär Elon Musk zum Regierungsberater und De-facto-Leiter des neu geschaffenen „Department of Government Efficiency“ (Doge). Seine Aufgabe bestand darin, unter dem Label der Effizienz im Verwaltungsapparat Chaos zu stiften, für Linientreue zu sorgen und unliebsame Beamte zu entfernen.

Während wir es in der Anfangsphase dieser Prozesse zunächst mit faschistoiden Kräften und Methoden zu tun haben, wird der weitere Verlauf zeigen, ob daraus ein faschistisches System erwachsen wird. Dieser neue Faschismus sieht in vielen Hinsichten nicht exakt so aus wie seine historischen Vorbilder und gerade deshalb müssen die ihn antreibenden Kräfte frühzeitig als faschistisch erkannt werden.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich schon der frühere Faschismus der Datenverarbeitung bedient hat, um die Verwaltungsinfrastruktur zu übernehmen und zentral zu koordinieren. So führten die Nazis in ihrem Bemühen um die Zentralisierung von Daten in allen Bereichen des Reiches die IBM-Lochkartentechnologie ein. Zudem wurden in den fraglichen Einrichtungen politische Loyalisten eingesetzt und politisch Andersdenkende und Unerwünschte entlassen.

In Anlehnung an Umberto Ecos „Ewigen Faschismus“ lassen sich im Kontext des Wirkzusammenhangs von künstlicher Intelligenz drei Merkmale definieren, um faschistische Züge in Politik und Gesellschaft auch abseits historischer Regime zu erkennen:

  1. Antidemokratisches Wirken: Faschistische Politik strebt die Zerstörung des Rechtsstaats und der demokratischen Ordnung an. Der Faschismus vertreibt nicht einfach nur andere politische Positionen, sondern er will demokratische Strukturen zerstören. Macht, Kontrolle und Autoritarismus werden über technologische und politische Mechanismen neu formiert, etwa durch den Rückbau staatlicher Strukturen, durch vermeintliche Transparenzversprechen, die in zunehmender Intransparenz und Rechenschaftslosigkeit enden, oder durch zunehmende Überwachung und Einschüchterung in allen Lebens- und Arbeitsbereichen.
  2. Gewaltbereitschaft: Gewalt wird im Faschismus als legitimes politisches Mittel betrachtet. Das umfasst nicht nur physische Gewalt, sondern auch symbolische und sprachliche Gewalt wie Diffamierung, Hassrede, Einschüchterungsversuche und mediale Hetzkampagnen. Gesellschaftliche Konflikte werden antagonistisch statt argumentativ gelöst, mit dem Ziel, andere zu unterwerfen und auszuschließen.
  3. Technologie als Machtinstrument: Zum Faschismus gehört auch die berechnende Indienstnahme neuester Technologien, um Machtinteressen zu realisieren. Oft geschieht dies in einem Zusammenspiel zwischen Industrie und Regime. Der Einfluss der Tech-Eliten reicht dabei weit in moderne faschistische Bewegungen hinein. Gezielt werden digitale Technologien und Plattformen eingesetzt, um die Bevölkerung zu managen, Diskriminierung zu verstärken und Macht zu sichern. Die Manipulation von Informationen und die Überwachung sind zentrale Mittel.

Datenanalyse und KI-Technologie werden genutzt, um den Rechtsstaat und die freiheitliche demokratische Ordnung zu schwächen und durch ein schlankes, auf Automatisierung und algorithmische Vorhersage und Vorwegnahme basierendes Staatswesen zu ersetzen. Auch hier zeigt sich eine deutliche Kontinuität zu eugenischen, antiegalitären und antidemokratischen Ideologien des 20. Jahrhunderts.

In KI-Debatten liegt der Fokus oft auf fernen Zukunftsszenarien. Während über bedrohliche KI‑Superintelligenzen spekuliert wird, vernachlässigt man aber die bereits real existierenden Gefahren wie Ausbeutung, Überwachung, Ungerechtigkeit und Machtkonzentration. Elon Musk und Donald Trump kündigten massenhaft Verwaltungsmitarbeiter_innen, um einen KI-Staat zu errichten. Tech-CEOs verkaufen künstliche Intelligenz als Heilsbringer für die größten Probleme der Menschheit, obwohl die entsprechende Industrie auf Ausbeutung und Menschenverachtung beruht.

In den Denkmodellen der Tech-Ideologen herrschen vor allem drei Logiken vor:

  1. (Cyber)Libertarismus: Hierbei handelt es sich um eine Position, die stark auf individuelle Freiheit, freie Märkte und Minimalstaatlichkeit setzt, oft gepaart mit einem kritiklosen Vertrauen in Technologie, Automatisierung und private Innovationen anstelle staatlicher Regulierungen. Dieser Libertarismus ist nicht im klassischen Sinne liberal, denn ihm geht es nicht um einen demokratischen Rechtsstaat, der Freiheitsrechte und freie Marktwirtschaft garantiert, sondern er zielt darauf ab, rechtsstaatliche demokratische und egalitäre Institutionen zu unterminieren. Libertäre Slogans wie die vom schlanken Staat gehen oft mit der Forderung einher, Kontrolle und Regulierung zurückzunehmen, aber nicht unbedingt, um die Freiheit für alle zu erweitern, sondern um Machtstrukturen zugunsten bestimmter Eliten zu verschieben. Ein solcher schlanker Staat bedeutet dann nicht Festigung und Ausbau der Demokratie, sondern mehr technokratische Macht, die schwer überprüfbar ist.
  2. Dark Enlightenment (Dunkle Aufklärung): Dieser Begriff stammt aus dem englischsprachigen Debattenraum und umfasst jene Denkrichtungen, die sich fundamental gegen zentrale Werte der Aufklärung wie Demokratie, Gleichheit und eine offene Gesellschaft richten. An ihre Stelle treten Hierarchie, Autorität, Effizienz und monarchieähnliche oder CEO-artige Herrschaftsformen. In dieser Denkschule herrscht der Glaube vor, dass demokratische Prozesse zu langsam und ineffizient sind und dass privatwirtschaftliche Führungsstrukturen besser geeignet sind, um Entscheidungen zu treffen. Vertreter der Dunklen Aufklärung neigen dazu, Menschen nach Nutzen zu bewerten sowie Gleichheit, Menschenrechte und Mitbestimmung als hinderlich zu sehen und sie zugunsten effizienter Zukunftsvisionen zu minimieren oder zu ignorieren.
  3. Effektiver Altruismus: Diese Bewegung strebt danach, die knappen Mittel Zeit und Geld so einzusetzen, dass damit möglichst viel Leid vermindert und möglichst viel Positives bewirkt wird. Priorisiert werden evidenzbasierte Maßnahmen zur Erreichung des Ziels der Nutzenmaximierung, wobei besonders auf die langfristigen Folgen für viele zukünftige Generationen geachtet wird. Während diese Einstellung zunächst moralisch ansprechend wirkt, kann sie in bestimmten Ausprägungen problematisch sein, bspw. dann, wenn mit ihr akute Ungerechtigkeiten verdrängt oder technokratische Entscheidungen legitimiert werden, die demokratisch kaum kontrolliert werden können. Auch fallen manche Ränder des effektiven Altruismus mit anderen Ideologien wie der Dunklen Aufklärung und ihrem Tech-Optimismus und Transhumanismus zusammen. Manchmal dient der effektive Altruismus dann nur als moralische Folie, hinter der Machtinteressen verborgen werden können.

Statt sich in KI-Science-Fiction zu verlieren, müssen wir darüber sprechen, wie künstliche Intelligenz bereits heute Ungleichheiten verstärkt und als politisches Narrativ funktioniert. Die politischen und moralischen Implikationen aktueller Trends müssen kritisch hinterfragt werden. Der Einfluss der KI-Branche auf Demokratie und Gesellschaft ist streng zu regulieren. Kurz, wir brauchen eine Demokratisierung der Technologiepolitik: Künstliche Intelligenz darf nicht durch private Konzerne oder autoritäre Regierungen monopolisiert werden, sondern muss unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Dabei sollte man nicht einzelne Tools boykottieren, sondern über die Machtverhältnisse und rechtlichen Grenzen diskutieren. Die Öffentlichkeit und die Politik müssen befähigt werden, eine effektive Regulierung ins Werk zu setzen. Antidemokratische Akteure müssen isoliert werden, indem man sich gesellschaftlich und institutionell von rechtsautoritären Kräften abgrenzt, die künstliche Intelligenz für undemokratische Zwecke nutzen. Im Gegenzug muss die demokratische Öffentlichkeit durch Bildung, kritische Diskussionen und einen bewussten Sprachgebrauch gestärkt werden, denn eine aufgeklärte Zivilgesellschaft, die manipulative KI-Technologien durchschaut, ist zentral für den Widerstand gegen KI-induzierte faschistoide Entwicklungen: „Bei der Aushandlung technologischer Zukunftsvisionen sollten wir von der Prämisse ausgehen, dass wir Technologie gestalten können, dass wir der Machtakkumulation, die mit der Entwicklung bestimmter Technologien einhergehen wird, etwas entgegensetzen können – und dabei müssen wir stets die Frage nach der gesellschaftlichen Verteilung des Nutzens und Gewinns, der aus solchen Veränderungen erwächst, im Auge behalten.“


buch|votum

Mühlhoffs fundierte Analyse ist ein Weckruf gegen die politische Naivität vieler KI-Debatten. Es geht ihm nicht allein um US-Politik, sondern vielmehr um einen internationalen und auch jenseits der Parteipolitik spürbaren Trend der letzten Jahre: In den sich radikalisierenden Weltbildern der Milieus der Tech-Communities und ihrer IT- und KI-Industrien lassen sich zunehmend rechte Ideologien finden. Manchen mag der Begriff „Faschismus“ überzogen erscheinen, aber es ist Mühlhoffs Verdienst, die tieferen Mechanismen in der KI-Industrie und ihre Affinitäten zum Faschismus sichtbar gemacht zu haben. Behauptet wird dabei nicht die Existenz eines deterministischen Zusammenhangs, nach dem künstliche Intelligenz zwangsläufig zu einem technokratischen Staatswesen oder gar zu Faschismus führt. Es geht vielmehr darum, aufzuzeigen, dass bestimmte technologische Vorgehensweisen mit autoritären, menschenverachtenden und antidemokratischen Ideologien besonders kompatibel sind.

Aber es könnte auch noch mehr auf dem Spiel stehen, jenseits der politischen Rechten: Am Ende könnte diese neue, von Technologie getriebene kapitalistische Produktionsform und die mit ihr verbundenen Eliten tatsächlich – wie das Bürgertum der industriellen Revolution mit dem Projekt der liberalen Demokratie – eine neue politisch-institutionelle Regierungsform anstreben, eine Art Techno-Feudalismus. Für Demokraten gilt daher in jedem Fall: wachsam bleiben.

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Verlag: Reclam
Erschienen: 16.07.2025
Seiten: 160
ISBN: 978-3-15-014666-8

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