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Kurzgefasst und eingeordnet von Viktoria Peter. Viktoria Peter hat Translation, Kulturwissenschaften und Interkulturelle Europa-Studien in Leipzig, Regensburg und Madrid studiert. Sie arbeitet als Übersetzerin und politische Bildnerin.
Deutschland ist eine Erbengesellschaft: Mehr als die Hälfte aller Vermögen wird heute nicht selbst erarbeitet, sondern geerbt oder als Geschenk empfangen. Die Vermögen wachsen zudem schneller, als Löhne es je könnten. Trotzdem hält sich hartnäckig der neoliberale Mythos, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied. Diese Ungleichheit ist demokratiegefährdend. Sie trägt zur Polarisierung der Gesellschaft bei und führt dazu, dass die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen nicht gleichmäßig vertreten werden. Zur Reduzierung der Ungleichheit sollten hohe Erbschafts- und Schenkungssteuern sowie eine Vermögenssteuer eingeführt werden. Davon könnte ein Grunderbe für alle finanziert werden, wodurch die besitzlose Hälfte der Gesellschaft eine Grundlage zum Vermögensaufbau erhielte.
Die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen ist ungerecht, denn sie verstößt gegen das Recht auf Freiheit des Einzelnen, gefährdet die Gleichheit der Lebenschancen und führt zu einem ungleich verteilten politischen Einfluss. Der Einsatz für die gleichere Verteilung von Einkommen, Vermögen und Macht und so für mehr soziale Gerechtigkeit ist eines der Kernanliegen der Sozialen Demokratie und muss politisch wieder priorisiert werden. Steuern müssen wieder als Mittel zur Förderung sozialer Gerechtigkeit und zur Reduzierung von Ungleichheit begriffen werden.
Martyna Linartas ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Sie lehrt an der Freien Universität Berlin und an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz. 2022 gründete sie die Wissensplattform ungleichheit.info.
Mit Blick auf die Vermögensverteilung gehört Deutschland zu den ungleichsten Demokratien der Welt – hierzulande ist der Reichtum ähnlich ungleich verteilt wie in Mexiko. Aber was ist eigentlich Ungleichheit? Während Unterschiede zwischen Menschen objektiv beschrieben und erfahren werden können, sprechen wir von Ungleichheit, wenn diese Merkmale im Zusammenleben in der Gesellschaft in eine Hierarchie eingeordnet werden, sodass manche privilegiert und andere diskriminiert werden.
Häufig wird behauptet, Deutschland sei eine Leistungsgesellschaft. Doch dies stellt sich als Mythos heraus, denn mehr als die Hälfte aller Vermögen wird heute nicht selbst erarbeitet, sondern geerbt oder als Geschenk empfangen – Tendenz steigend. Bei Milliardenvermögen gilt dies für vier von fünf Vermögen. Wir entwickeln uns zu einer „Erbengesellschaft“. Während der Anteil an Erbschaften und Schenkungen am Vermögen im Jahr 1970 noch 22 Prozent betrug, ist die Bedeutung dieses nicht selbst verdienten Vermögens 2010 auf 51 Prozent gestiegen. Ähnlich hoch war die Ungleichheit in Deutschland nur in Zeiten des Kaiserreiches.
Reichtum entsteht selten aus unternehmerischen Geistesblitzen oder aus dem Fleiß einer einzelnen Person. Meist besteht er in Betriebsvermögen, das von den Menschen erarbeitet wird, die den Betrieb tragen. Die größten Betriebsvermögen werden jedoch über Generationen hinweg weitergegeben. So wurde ein Drittel der Unternehmen, die mit heutigen Vermögen der Überreichen in Verbindung gebracht werden können, bereits vor dem Ersten Weltkrieg gegründet.
Dieser Reichtum ist in mehrerlei Hinsicht problematisch: Überreiche verursachen überproportionale Klimaschäden und üben durch Lobbyarbeit und Spenden einen überproportional starken Einfluss auf die Politik aus. So bestimmen sie den Diskurs: Gesellschaftlich debattiert wird, was Reiche für wichtig erachten. Dies erodiert das demokratische Prinzip „Ein Mensch, eine Stimme“ und stellt eine Bedrohung für die demokratische Gesellschaft dar, da ärmere Menschen und mittlerweile auch immer mehr Angehörige der Mittelschicht sich von den etablierten Parteien abwenden und zu extremistischen Haltungen hinwenden. Zudem widerspricht übermäßiger Reichtum dem Prinzip der Chancengleichheit, da es nicht mehr möglich ist, „sich hochzuarbeiten“.
Die absolute Vermögensungleichheit wird durch Erbschaften und Schenkungen vergrößert, denn diese sind extrem ungleich verteilt: Es erhalten in der Regel diejenigen größere Erbschaften, die ohnehin bereits hohe Einkommen erzielen. Der typische Erbe ist männlich, westdeutsch, ohne Migrationshintergrund und zwischen 50 und 60 Jahre alt. Zudem wachsen alte Vermögen schneller als die Löhne der Gegenwart. Die Vermögenskonzentration steigt zusätzlich, weil reiche Familien eher weniger Kinder haben, während kleinere Vermögen in armen Familien auf mehr Kinder aufgeteilt werden. Auch die mangelnde Besteuerung trägt zur Vergrößerung der Ungleichheit bei: Wer besonders viel erbt, zahlt zumeist geringere Steuern als der, der eine kleinere Erbschaft erhält
Steuern sind Ausdruck der Werte und Normen einer Gesellschaft. Anders als es der Begriff „Steuerlast“ nahelegt, sind Steuern kein Raub, sondern Bedingung für unsere zivilisierte, moderne und gerechte Gesellschaft. Sie dienen nicht nur der Finanzierung der Ausgaben des Staates oder zur Lenkung des Verhaltens der Bürger_innen, sondern sind im Sinne der demokratischen Gerechtigkeit ein Mittel gegen eine zunehmend ungleiche und unsolidarische Gesellschaft. Eine progressive Steuergestaltung ist also Ausdruck des Leistungsfähigkeitsprinzips: Wer mehr hat, soll nicht nur absolut, sondern auch prozentual mehr zahlen. Es trägt so derjenige mehr zum Gemeinwesen bei, der mehr leistet und am meisten vom Gemeinwesen profitiert. Dieses Verständnis von Steuern entstand in der Weimarer Republik. Hier wurden Vermögen durch Auflösung der Fideikommisse demokratisiert und es wurde ein neuer Artikel in der Weimarer Verfassung festgeschrieben: Eigentum verpflichtet.
Für die Einführung oder Abschaffung von Steuern gibt es verschiedene Begründungen. Das klassische Narrativ zugunsten hoher Steuern ist der Keynesianismus. Hier ist der Hauptdarsteller ein starker Staat, der in Wirtschaft und Finanzen eingreift und hohe direkte und progressive Steuern erhebt. Damit baut er einen starken Wohlfahrtsstaat auf, der Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum verspricht. Durch die Krisen der 1970er Jahre geriet dieses Paradigma unter Druck und wurde vom Neoliberalismus abgelöst. Hier soll der Markt sich eigenständig regeln, der Staat soll sich nicht einmischen. Laut dem Neoliberalismus ist Ungleichheit kein politisches Phänomen und erst recht kein Problem, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. Verantwortlich für Ungleichheit sei das Individuum. In beiden Paradigmen ist Wachstum unabdingbar und die Auswirkungen des Wirtschaftens auf Umwelt und Klima werden größtenteils ausgeklammert.
In der frühen Bundesrepublik herrschte das Paradigma des Ordoliberalismus vor. Hierbei handelte es sich um den Versuch, Monopolmacht zu begrenzen und Chancengleichheit zu gewährleisten. In dieser Logik konnte man für 0 Prozent Einkommens- und gleichzeitig für 100 Prozent Erbschaftssteuer eintreten. Doch die von den Alliierten eingeführten hohen Einkommenssteuersätze von bis zu 95 Prozent bei Einkommen über 250 000 DM sowie die hohen Erbschaftssteuersätze von bis zu 60 Prozent auch für nahe Verwandte gerieten in Verruf. In der Folge setzte besonders die CDU Steuersenkungen für Einkommen und Erbschaften durch. Die Steuern verloren so ihre rückverteilende Wirkung. Gleichzeitig jedoch wurde unter Ludwig Erhard das Lastenausgleichsgesetz verabschiedet. Dabei handelte es sich formal zwar um eine Abgabe, die sich durch die Möglichkeit der Stundung aber wie eine zusätzliche Vermögenssteuer von etwa 2 bis 3 Prozent im Jahr über dreißig Jahre verhielt.
In den späten 1960er- und in den 1970er-Jahren erfolgte eine Abkehr von der angebotsorientierten Politik von Erhard und den Ordoliberalen und es kam zu einer Hinwendung zu nachfrageorientierten keynesianischen Ideen, begleitet von einem steigenden Bewusstsein für Ungerechtigkeit und die wirtschaftsschädigende Wirkung von ungleich verteiltem Einkommen und Vermögen. Der Ausbau des Sozialstaats und der Versuch der Beschränkung von Ungleichheiten wurden parteiübergreifend Konsens. Unter Willy Brandt wurden zwar die Steuersätze für Familien erhöht und das Steueraufkommen verdoppelt, aber als Lösung für mehr soziale Gerechtigkeit und Wohlstand für alle galt das Wirtschaftswachstum. 1973 reformierte Helmut Schmidt die Vermögens- und Erbschaftssteuer und begründete dies zum ersten und letzten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik überwiegend mit verteilungspolitischen Argumenten.
Bald danach etablierte sich das neoliberale Paradigma, das bis heute dominiert, und die Erbschafts- und Schenkungs- sowie die Vermögenssteuer wurden ausgesetzt oder quasi bedeutungslos. Reformanläufe werden regelmäßig von einer Steuer-Reduzierungs-Lobby untergraben. Diese setzt Mythen in die Welt, die sich hartnäckig halten. So glaubt beispielsweise die Mittelschicht heute, Reformen der Erbschaftssteuer hätten negative Auswirkungen auf sie selbst – man hat Angst, es ginge Omas Häuschen an den Kragen. Auch glauben viele, eine Erbschaftssteuer würde Arbeitsplätze und das Wirtschaftswachstum gefährden. Nichts davon stimmt. Im Gegenteil: Es gibt wenige Hinweise darauf, dass die steuerliche Schonung von Betriebsvermögen Arbeitsplätze sichert, und Familienheime sind seit 2009 von der Erbschaftssteuer ausgenommen. Allerdings sind aktuell weder Erbschafts- noch Vermögenssteuer eine Priorität der politischen Akteur_innen.
Gemäß einer Definition des Soziologen Michael Hartmann gehört zur Wirtschaftselite, wer als Manager_in in einem Vorstand oder Aufsichtsrat der größten Unternehmen in Deutschland sitzt. Für das hier vorgestellte Buch wurden zwischen 2020 und 2022 mit 18 von diesen Personen Interviews geführt. 80 Prozent von ihnen halten Ungleichheit für eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt; nur drei gaben an, darin kein Problem zu sehen. Als wichtigstes Instrument zur Reduzierung von Ungleichheit gilt unter ihnen Bildung. Dass Bildung Ungleichheit aber auch fördern kann, da reiche Familien ihren Nachkommen in dieser Hinsicht Vorteile verschaffen können, erkannte nur einer der Interviewten. Steuern rangieren als Instrument gegen Ungleichheit auf Rang 2. Keine der interviewten Personen gab an, den Staat als fähigen oder gar starken Akteur zu betrachten; stattdessen wurde er als ineffektiv, zu groß, gierig, zu langsam und sogar als schikanierend beschrieben.
Die Haltung zu Steuern ist überwiegend von Skepsis geprägt. Allerdings ist sich fast die Hälfte der Befragten der Funktion von Steuern zur Förderung von Gerechtigkeit und zur Reduzierung von Ungleichheit bewusst. Besonders die Einkommenssteuer sowie die Kapitalertragssteuer solle in der Spitze erhöht werden. Konsens besteht in der Wirtschaftselite darüber, dass eine Vermögenssteuer abzulehnen sei. Bezüglich der Erbschaftssteuer ergibt sich ein ähnliches Bild: Acht der 18 Interviewten sprachen sich dagegen aus. Begründet wurde dies mit einer nicht der Realität entsprechenden Angst um Jobs, den Mittelstand und Familienbetriebe sowie um den Wirtschaftsstandort Deutschland. In Konflikt gerät diese Erzählung jedoch bei vier der Interviewten mit dem Versuch, die Ablehnung einer Erbschaftssteuer mit ihrer Leistungsorientierung zu vereinbaren. Das Leistungsprinzip ist es auch, das für sechs der Befragten die Ängste um die Wirtschaft entkräftet: Eine Erbschaftssteuer sei gut für die Gesellschaft, weil alle angespornt würden, sich selbst hocharbeiten zu wollen.
Das Problem am Leistungsprinzip ist, dass es blind macht für Privilegien und Diskriminierungen. So ergab eine Studie des Sozialpsychologen Paul Pfiff, dass Menschen, die von offensichtlichen Vorteilen profitieren, ihren späteren Erfolg nicht mehr auf diese äußeren Umstände zurückführen, sondern auf ihre vermeintlich eigene Leistung.
Zunächst muss die Erbschaftssteuer reformiert werden, mindestens, indem existierende Schlupflöcher gestopft werden. Des Weiteren könnte eine Nachlasssteuer eingeführt werden. Durch Erfassung des Nachlasses würde überhaupt erst bekannt, wie groß die Erbschaftssumme ist – dann könnten darauf progressiv Steuersätze anfallen.
Eine der wirksamsten Maßnahmen zur Reduzierung der Ungleichheit wäre jedoch die Einführung eines Grunderbes in Höhe von 20.000 Euro. Es sollte durch Steuern auf Erbschaften und Vermögen finanziert werden. So würde das Risiko einer Inflation sinken, denn das Vermögen ist bereits vorhanden, es wird nur umgesteuert. Über 100 Jahre nach Einführung der Demokratie, der Stärkung von Gewerkschaften, der Bildungsoffensive und progressiver Steuern könnte die ärmere Hälfte der Bevölkerung endlich über Vermögen verfügen.
Aus praktischen Gründen sollte das Grunderbe erst einmal an ausnahmslos alle 18 Jahre alt werdenden Menschen ausgezahlt werden, ohne Prüfung, ob sie aus einem reichen oder armen Elternhaus stammen. Dafür könnte es mit dem Freibetrag der Erbschaftssteuer verrechnet werden. Bei reichen Erben würden dann früher die höheren Steuersätze greifen. Die Auszahlung könnte an die Kindergeldzahlung gekoppelt werden: Wer 18 Jahre lang vom deutschen Staat Kindergeld bezogen hat, bekäme dann die volle Höhe des Grunderbes. Bei später eingewanderten Jugendlichen würde das Grunderbe anteilig berechnet. Um eine Zäsur zwischen zwei Jahrgängen zu vermeiden, könnte die Einführung gestaffelt erfolgen. So würde auch Raum für die notwendige Finanzbildung zur Verwaltung einer solchen Summe gelassen.
Die Steuerpolitik im Allgemeinen sowie die Erbschaftssteuer im Besonderen müssen sozial und in ihrer demokratischen Bedeutung verstanden werden. Dieses Verständnis der Rolle des Staates, der Aufgabe von Finanzpolitik und der Funktion von Steuern ist mit dem Neoliberalismus nicht vereinbar. Die gute Nachricht ist: Der Neoliberalismus liegt bereits im Sterben. Die Einführung eines Grunderbes und die Stärkung der Erbschaftssteuer könnten zu seiner Überwindung weiter beitragen. Doch das neue Paradigma muss gemeinsam erstritten werden: mit überzeugenden Narrativen, starken Akteuren und guten Geschichtenerzähler_innen. Leider sind diese Akteur_innen aktuell in der Unterzahl und werden von den Lobbyist_innen übertönt. Zur Ausgestaltung eines besseren Rückverteilungssystems sollte ein Bürgerrat eingerichtet werden.
Linartas Buch ist abwechslungsreich geschrieben und liefert Argumente gegen gängige steuerpolitische Mythen für das nächste Streitgespräch am Stammtisch. Ihr Plädoyer für die Einführung eines Grunderbes ist gut begründet, nachvollziehbar und bedenkenswert. Angesichts der weitverbreiteten politischen Trägheit bezüglich der Reduzierung von Ungleichheit sind Linartas‘ Ausführungen ein wichtiger Impuls für die Diskussion, auch unter progressiven Akteur_innen.
Verlag: RowohltErschienen: 15.04.2025Seiten: 320ISBN: 978-3-498-00735-5