Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung im Archiv der sozialen Demokratie beginnt ein erstes – vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördertes – Projekt im Bereich Provenienzforschung. Im Fokus des Projekts steht die Suche nach NS-Raubgut in einem Teilbestand der Bibliothek. Insgesamt werden knapp 18.000 Bücher auf ihre Provenienzen überprüft. Die Bestandsüberprüfung ermöglicht eine Rekonstruktion der circa 30.000 Titel umfassenden SPD-Parteibibliothek vor 1933.
Befindet sich in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung unerkanntes und nicht erfasstes NS-Raubgut? Eine Frage, die wir uns in der Bibliothek in letzter Zeit öfter gestellt haben. Mit Unterstützung des Deutschen Zentrum Kulturgutverluste wird es jetzt möglich in einem zweijährigen Forschungsprojekt erste Antworten auf diese – und weitere – Fragen zu finden.
Als Nachfolgeeinrichtung steht die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung in direkter Tradition zu der 1933 durch das NS-Regime beschlagnahmten und zerschlagenen SPD-Parteibibliothek. Nach dem Parteiverbot der SPD 1933 existierte bis Kriegsende 1945 keine sozialdemokratische Parteibibliothek. Die Bibliotheksbestände wurden in alle Winde zerstreut und erst nach dem Fall der nationalsozialistischen Diktatur begann die SPD-Parteiführung mit dem Wiederaufbau der Parteibibliothek. Diese neuaufgebaute Parteibibliothek übernahm die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung zu ihrer Gründung 1969 und ergänzte sie durch zahlreiche antiquarische Einkäufe. Die zwischen 1969 und 1977 eingekauften und übernommenen Bücher stellen heute den sogenannten ‚Gründungsbestand‘ der im Archiv der sozialen Demokratie eingerichteten Bibliothek dar.
Im Zentrum des Forschungsprojekts steht demnach der ‚Gründungsbestand‘. Es werden beinahe 18.000 Bücher im Rahmen des Projekts auf ihre Provenienzen überprüft. Bei einer exemplarischen Überprüfung konnten bereits erste Verdachtsfälle ermittelt werden. Für eindeutig identifiziertes NS-Raubgut sollen im Sinne der Washingtoner Prinzipien „gerechte und faire“ Lösungen gefunden werden. Ein besonderer Nebeneffekt der Bestandsüberprüfung ist die wissenschaftliche Aufklärung der Verluste der vor dem NS-Regime bestehenden SPD-Bibliothek. Die Recherche nach NS-Raubgut ermöglicht demzufolge eine Rekonstruktion der 1933 durch den Nationalsozialismus beschlagnahmten und zerstörten SPD-Parteibibliothek. Ziel der Rekonstruktion ist es, dass verloren gegangene und verschollene Bücher erkannt und dokumentiert werden.
Hier halten wir Sie über den Projektverlauf, -fortschritte oder auch besondere Fundstücke, die uns bei der Untersuchung des ‚Gründungsbestands‘ begegnen, auf dem Laufenden.
Haben Sie Informationen zu unseren "Fundstücken" und können uns helfen? Melden Sie sich bei Hannah Schneider. Über Hinweise zu unseren "Fundstücken" freuen wir uns sehr.
Ludwig Sochaczewer
Bereits in der Vorbereitung zu unserem Projekt haben wir im 'Gründungsbestand' dieses erste "Fundstück" entdeckt. Eine Prüfung des Namens „Ludwig Sochaczewer“ ergibt einen Treffer sowohl in der Opferdatenbank von Yad Vashem als auch in der Online-Datenbank der Arolsen Archives. Auf der tschechischen Holocaust-Gedenkseite findet sich ein Digitalisat einer Sterbeurkunde eines zuvor in Berlin lebenden und im Ghetto Theresienstadt gestorbenen Schriftstellers namens Ludwig Sochaczewer. Zu dem Stempel mit der Eule und dem Buchstaben "W" sind wir bisher nicht fündig geworden. Nach bisherigen Recherchen konnte noch nicht geklärt werden, wie genau das Buch in die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung gelangt ist.
Sozialdemokratische Parteibibliothek
Statt eines „Fundstücks“ in Form eines „Offenen Falles“ stellen wir an dieser Stelle das Siegel der SPD-Parteibibliothek vor. Es handelt sich in der Regel um einen Stempel oder einen Prägestempel, welcher sich in Büchern der SPD-Bibliothek vor ihrer Zerstörung und Beschlagnahmung durch den Nationalsozialismus 1933 befindet. In den Veröffentlichungen des ehemaligen Bibliotheksleiters der Friedrich-Ebert-Stiftung wird der Stempel seit den 2000er-Jahren – möglicherweise aufgrund des „floralen“ Emblems in der Mitte – als „Lilienstempel“ bezeichnet. Wie viele Bücher mit diesem besonderen Siegel sich bisher unentdeckt in unserer Bibliothek befinden und wie viele als vermisst gelten ist unklar. In den bisherigen Recherchen im Rahmen unseres Projektes im ‚Gründungsbestand‘ haben wir jedoch schon eine Handvoll Bücher mit diesem Hinweis gefunden.
Das Wort Provenienzforschung leitet sich vom Lateinischen „provenire“ ab und bedeutet „hervorkommen“ oder „entstehen“. Die Provenienzforschung versucht die Herkunft eines Objektes beziehungsweise Kulturgutes aufzuklären. In der Forschung handelt es sich hauptsächlich um Kulturgüter wie Kunstwerke, Schmuckstücke, Bücher oder andere Alltagsgegenstände.
Eine Restitution soll im Rahmen der Provenienzforschung einer nachgewiesenen unrechtmäßigen Enteignung folgen. Das lateinische Wort „restitutio“ bedeutet übersetzt „Wiederherstellung“ oder „Rückgabe“. Die Washingtoner Prinzipien fordern, dass „gerechte und faire“ Lösungen für die Opfer von unrechtmäßigen Enteignungen gefunden werden. Eine Restitution ist nicht zwingend die Rückgabe der betroffenen Kulturgegenstände. Sie kann ebenso in Form von beispielsweise finanzieller Entschädigung erfolgen.
Im Dezember 1998 wurden auf der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust die Washingtoner Prinzipien als grundlegende Richtlinie zum Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken vereinbart. Es handelt sich hierbei um eine Einigung ohne rechtliche Verpflichtung. Über 40 Staaten und 12 nicht-staatliche Organisationen erklärten ihre Absicht im Rahmen der Washingtoner Prinzipien vom NS-Regime beschlagnahmte und enteignete Vermögenswerte – vor allem aus jüdischem Besitz – zu identifizieren und „gerechte und faire“ Lösungen zu finden.
Im Dezember 1999 folgte die Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz (Gemeinsame Erklärung). Mit der Gemeinsamen Erklärung bekennt sich die Bundesrepublik Deutschland zu den Washingtoner Prinzipien. Darüber hinaus erweitert sie die Formulierungen „Vermögenswerte“ und „Kunstwerke“ auf „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“. Die Bundesrepublik verpflichtet sich mit der Gemeinsamen Erklärung selbst zur Überprüfung und Aufklärung von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern in öffentlichen Kultureinrichtungen wie Museen, Archiven und Bibliotheken.