Die These von der Schutzbedürftigkeit des Marktes, die Forderung nach einer „Ummantelung“ des weltweiten freien Geldflusses durch internationale Gesetze geht allerdings mit einer kruden politischen Indifferenz einher.
Die Neoliberalen lehnten den Nationalsozialismus ab. Aber nicht, weil sie von den Nazis persönlich bedroht waren – Mises war Jude, Röpke hatte die NSDAP eine „besitzfeindliche, gewalttätige, revolutionäre Organisation“ genannt, weshalb Genf zu ihrem Zufluchtsort wurde. Der Hauptgrund für die Ablehnung des Nationalsozialismus war auch nicht dessen intrinsische Menschenfeindlichkeit, sondern der Umstand, dass es sich in wirtschaftspolitischer Hinsicht um eine Planwirtschaft handelte.
Die Neoliberalen werteten es als Fehler, „dass der Staat der Illusion der Kontrolle unterlag und dem Irrglauben folgte, die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse könne die Volkswirtschaft für eine ‚intelligente Autorität‘ durchschaubar machen“. Diesen Fehler teilte in ihren Augen Hitlers „Neue Ordnung“ mit Stalins Fünfjahresplan und Roosevelts „New Deal“. Ihre Aversion gegen jegliche Wirtschaftsplanung machte die Neoliberalen blind gegenüber dem Unterschied zwischen Demokratien und totalitären Regimen.
Nach dem 2. Weltkrieg gründete sich die Mont Pèlerin Society und verfolgte konsequent eine Doppelstrategie: den Kampf um die Diskurshoheit sowie die Infiltration supranationaler Institutionen. Das verdeutlichen zwei Beispiele: die Kaperung des Menschenrechtsdiskurses und die Gestaltung der Römischen Verträge.
Zu den Menschenrechten: „Die Neoliberalen setzten Roosevelts vier Freiheitsrechten – Redefreiheit, Religionsfreiheit, Freiheit von Furcht und Freiheit von Not – die vier Rechte auf Freizügigkeit von Kapital, Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskräften entgegen.“ Durch Verweis auf die angebliche materielle Grundbedingung des Rechts auf Migration, die in den Augen der Neoliberalen per se eine Migration aus wirtschaftlichen Gründen ist, wird den Menschenrechten ein „Recht auf freie Kapitalbewegung“ untergeschoben. Slobodian spricht sehr deutlich von einem „Menschenrecht auf Kapitalflucht“: „Die Neoliberalen kämpften nicht für das Recht, zu besitzen und zu bleiben, sondern für das Recht, zu verkaufen und zu gehen.“
Zu den Römischen Verträgen: Ludwig Erhard, der „Vater des Wirtschaftswunders“, war ein Mitglied der Mont Pèlerin Society.
Zusammen mit Alfred Müller-Armack versuchte er in den Verhandlungen über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft das Argument des „unverfälschten Wettbewerbs“ stark zu machen – vor allem gegen die französische Position, die Schutzmechanismen für Agrarprodukte der afrikanischen Kolonien einforderte.
Bekanntlich sind die römischen Verträge kompromissbehaftet – was der EWG heftige Kritik seitens der neoliberalen „Puristen“ eintrug: Sie sei nicht das beispielhafte politische Gebilde einer supranationalen Rechtsordnung, die den freien Kapitalfluss garantiere, sondern eine euroafrikanische Protektionszone.
Man sieht: Die ersten Anläufe der Neoliberalen, die Diskurse und Institutionen zur Kontrolle einer geordneten Wirtschaftswelt zu bestimmen, sind gescheitert oder allenfalls halb gelungen. Wie reagierten sie darauf?
Auch hier kann man wieder von einer Doppelstrategie sprechen. Auf dem Gebiet der Theorie ist vor allem bei Hayek eine Hinwendung zu einem neuen Paradigma zu verzeichnen: weg vom Mystizismus einer unerkennbaren, doch alles irgendwie fundierenden, transzendenten „Weltwirtschaft“ – hin zum systemtheoretischen Modell einer Ordnung der „Preissignale“.