»Produced in Georgia« Undercover in der georgischen Textilindustrie

Drohungen, Korruption, Nervenzusammenbrüche: Alltag in der georgischen Textilindustrie. Unsere Reportage zeigt unmenschliche Verhältnisse.

Bild: Blaue Staubschicht überall von Tamuna Chkareuli

Bild: Jeansberge von Tamuna Chkareuli

Bild: Überwachte Raucherpause von Dato Parulava / OC Media

Bild: Elektronische Chips, die einen Moncler-Mantel kennzeichnen von Tamuna Chkareuli

Bild: Viele verschlossene Toiletten ohne Toilettenpapier von Tamuna Chkareuli

Bild: Maschinenverschleiß durch Staubwolken von Tamuna Chkareuli

Bild: Alltag in der Fabrik von Dato Parulava / OC Media

Bild: Tamuna Chkareuli von OC Media / Tamuna Chkareuli

Drohungen, Korruption, Nervenzusammenbrüche und 4000-Dollar-Mäntel: In einer dreiteiligen Serie untersucht OC-Media die Zustände in der georgischen Textilindustrie. Im zweiten Teil recherchiert die investigative Journalistin Tamuna Chkareuli in der Geo-M-Tex-Fabrik in Tiflis undercover. Die Recherche wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Georgien ermöglicht. Der Original-Artikel erschien am 7. Februar 2020 hier.

Es war einfach eine Stelle in der Geo-M-Tex-Fabrik zu bekommen. Die Personalchefin stellte nicht viele Fragen, sondern sie erklärte nur kurz, dass ich als Neuankömmling grundlegende Näharbeiten durchführen und diese Schritt für Schritt erlernen würde. Man sagte mir, man träfe mich am nächsten Tag beim Sicherheitsdienst und würde mich dann in eine der vier Werkstätten bringen, die es in der Fabrik gibt: Mäntel, Hosen, Zuschnitt und Mantelfüllung. Doch am ersten Tag erwartete mich niemand. Als ich ankam, sagte mir der Sicherheitsdienst nur, ich solle den Frauen in der unteren Etage der Fabrik folgen, in der sie Jeans herstellen. Meine Aufgabe bestand darin, die Stelle für die Knöpfe zu markieren und sie dann mit drei verschiedenen Pressen zu befestigen. Das ist eine gefährliche Arbeit, da die Presse im Handumdrehen zuschlägt. Wir arbeiteten an einer speziellen Schutzhose von Uvex , einer deutschen Sportbekleidungsmarke. Das dicke, jeansartige Material hinterließ eine blaue Staubschicht in der gesamten Werkstatt. Ich mag noch immer nicht daran denken, wieviel davon an den Innenseiten meiner Lungen haften blieb. Wir waren etwa 30 Personen im Raum, inmitten eines ständigen Lärms von Maschinen, der nur von den wütenden Schreien der Arbeiterinnen und Vorgesetzten übertönt wurde. Es war erdrückend und unmöglich zu atmen. Die Klimaanlage war eingeschaltet, aber sie konnte nur ein nutzloses, lauwarmes Keuchen ausstoßen.

Produce in Georgia

Das Programm Produce in Georgia wurde von der georgischen Regierung im Juni 2014 vorgestellt. Es soll Investitionen ins verarbeitende Gewerbe fördern, indem es Darlehen mitfinanziert und staatliches Eigentum zum symbolischen Preis von einem georgischen Lari (≙ 0,32 Euro) aushändigt. Mit dem Programm präsentiert sich Georgien als Wachstumsmarkt, mit zahlreichen Freihandelsabkommen und niedrigen Kosten - vor allem Lohnkosten. Laut der offiziellen Website ist der Sektor der Bekleidungsproduktion »durch […] extrem billige Arbeitskräfte (etwa 265 US-Dollar pro Monat) gekennzeichnet.« In einer Broschüre über das verarbeitende Gewerbe wird auch das »günstige Arbeitsgesetz« erwähnt. Weiter heißt es: »Das Land hat keine Mindestlohnvorschriften und die Arbeitsvergütung hängt allein von der Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ab.« Tatsächlich gibt es in Georgien einen Mindestlohn, der sich seit 1999 nicht geändert hat. Er beträgt lediglich 20 Lari (≙ 7 Euro) pro Monat: ein bitterer Streitpunkt für Gewerkschaften und Arbeitsrechtaktivisten. Produce in Georgia hat es geschafft das »Nearshoring« zu fördern. Das ist ein neuer Trend im Bekleidungssektor, der es großen Marken ermöglicht Versandkosten für die EU-Märkte zu sparen, in dem in Osteuropa, im Kaukasus und in der Türkei produziert wird. Gegenwärtig profitieren 13 Fabriken in Georgien von diesem Programm.

Die Begünstigten

Geo-M-Tex versteht meisterlich von Produce in Georgia zu profitieren. Die Firma erhielt ein Vorzugsdarlehen von 5,5 Millionen Lari (≙ 1,9 Millionen US-Dollar) und ein Gebäude für einen Lari, um eine Fabrik zur Herstellung westlicher Marken für den Export zu eröffnen. In 2015 eröffnet, befand sich bis 2017 mehrheitlich im Besitz zweier Personen, Lasha Bagrationi und Ramaz Sagharadze, die jeweils 42,5% der Aktien kontrollierten. Lasha Bagrationi ist der Sohn von Mukhran Bagrationi, einem einflussreichen Geschäftsmann, der drei große Einzelhandelszentren in Tiflis besitzt, sowie die Baufirma Ekometer, die zwei Luxus-Wohnprojekte und das Besiki Business Centre in der Hauptstadt gebaut hat. Lashas älterer Bruder, Giorgi Bagrationi ist Leiter der Abteilung für Sicherheitspolizei im Innenministerium und war Kommunalinspektionsleiter im Rathaus von Tiflis. Zuvor stand er auch der Bezirksverwaltung des Samgori-Distrikts vor. Der 72-jährige Ramaz Sagharadze ist der Schwiegervater von Grigol Morchiladze, ein wohlhabender Unternehmer und ein politisches Schwergewicht. Im April 2014 wurde Morchiladze von Wirtschaftsminister Dimitri Kumsishvili zum Berater des Vorsitzenden der Nationalen Agentur für Staatseigentum ernannt, genau der Institution, die Grundstücke und Gebäude an die Begünstigten von Produce in Georgia vergibt. Nur ein Jahr später wurde die Geo-M-Tex-Fabrik eröffnet.

Morchiladze ist auch der ehemalige Geschäftspartner des Ministers für Regionalentwicklung und Infrastruktur, Zurab Alavidze und ein regelmäßiger Parteispender, sowohl für die Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung, als auch für die regierende Partei Georgischer Traum. Der ersten spendete er 60 000 Lari (≙37 000 US-Dollar) 2012, der letzteren 50 000 Lari (≙20 000 US-Dollar) 2016 und 60 000 Lari (≙22 000 US-Dollar) 2017. Nach einem Arbeits- und Qualitätskontrollskandal im Jahr 2017 wurde Ramaz Sagharadze rechtlich zum alleinigen Eigentümer von Geo-M-Tex. Trotz seines offiziellen Eigentums an der Fabrik wurde sie von den Arbeiterinnen bei Geo-M-Tex immer noch regelmäßig als »Morchiladze-Fabrik« bezeichnet. Viele von ihnen glauben, dass Morchiladze der eigentliche Besitzer ist und Sagharadze nur als Strohmann fungiert.

Verschlossene Türen

Wir arbeiteten von 9 bis 18 Uhr mit drei Pausen – zehn Minuten um 11 Uhr, 40 Minuten um 13 Uhr und zehn Minuten um 16 Uhr. Mir fiel auf, dass die Sicherheitsleute immer einige Minuten vor Ablauf der Zeit in den Pausenbereichen erschienen, um allen mitzuteilen, dass die Pause vorbei war. Technisch gesehen war sie es nicht, aber sie erklärten, dass der Rückweg in die Werkhalle zwei bis drei Minuten dauerte. Deswegen konnte sich niemand während einer zehnminütigen Pause entspannen oder in Ruhe eine Zigarette rauchen. Selbst wenn sie nicht immer zu sehen waren, spürten wir die Sicherheitsleute immer direkt hinter unserem Rücken. Das Haupttor der Fabrik ist den größten Teil des Tages verschlossen und war nur während der 40-minütigen Mittagspause geöffnet. In kurzen Pausen konnten wir die Fabrik nicht verlassen und durften nur in einem kleinen Bereich im Innenhof rauchen. Zum Mittagessen gingen wir in die Küche. Die Küche war für uns jedoch nur »Dekoration« – wir durften dort nicht kochen. Alle Frauen kamen mit ihrem eigenen Essen und aßen aus Plastikboxen. In den Toiletten waren zwei Drittel der Kabinen zugenagelt und in den anderen befand sich kein Toilettenpapier, so dass alle genötigt waren ihr eigenes mitzubringen.

Marina Blakunova

Fünf Monate nach der Gründung von Geo-M-Tex übernahm mit Eurotex Limited ein neu gegründetes Unternehmen, unter der Leitung von Marina Blakunova, das Management der Fabrik. Marina Blakunova ist in Lettland geboren, staatenlos und eine Vertreterin der Egeria-Gruppe. Ihre Tochter Veronika schloss sich ebenfalls dem Führungsteam an und gründete später ihre eigene Bekleidungslinie Movi, die derzeit bei Eurotex produziert. Die Egeria-Gruppe, offiziell als Egeria Limited registriert, ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz auf Zypern. Sie vermittelt zwischen der Fabrik und den Marken und liefert Stoffen und Spezifikationen für verschiedene Modelle. In der Zeit bei Geo-M-Tex schloss Eurotex Deals mit den Bekleidungsmarken Equiline, Dainese, Uvex und Moncler. Moncler gilt als hochwertige Marke. Die Wintermäntel kosten zwischen 252 und 4 587 US-Dollar. Bis zum Sommer 2019 wurden alle Waren von Moncler in Georgien unter Blakunovas Aufsicht produziert. Einige Produktionsprozesse waren in verschiedene Fabriken in Kutaisi und Rustavi ausgelagert. Geo-M-Tex in Tiflis war das Hauptproduktions- und Versandzentrum.

»Pass auf deine Finger auf«

Mein erster Tag war von zwei großen Ereignissen geprägt: Morgens fing eine Frau in meinem Arbeitsbereich an zu schreien, brach zusammen und begann zu krampfen. Sie hatte einen epileptischen Anfall. Nachdem die Frau weggebracht worden war, sprachen alle Arbeiterinnen darüber, wie stressig der Job sei, und dass sich niemand vor solchen körperlichen Reaktionen sicher fühlen kann. Kurze Zeit später kam Marina Blakunova und schrie alle an. Sie forderte, dass »wer auch immer dafür verantwortlich sei«, hervortreten solle. Sie sagte, dass die Schneiderinnen sich gegenseitig wie Tiere behandelten und diesen Vorfall eindeutig zu verantworteten. Die Verantwortung läge nicht bei ihr. Nachdem Marinas Predigt beendet war , verließ sie die Fabrik und an ihre Stelle trat ihre Tochter Veronika. Kurze Zeit später kam ein Firmenvertreter aus Italien – wir vermuteten von Moncler, konnten es aber nicht mit Sicherheit feststellen. Beide hielten sich den Rest des Tages mit uns in der Werkstatt auf. Dem Italiener schien es egal zu sein, dass es in dem Raum kaum möglich war zu atmen. Er redete meist nur mit Veronika. Aber wenn eine der arbeitenden Frauen zu laut sprach oder lachte, dann schrie Veronika die Frauen direkt vor den Augen des italienischen Besuchers an und sagte ihnen, sie würde sich für sie schämen.

Am Nachmittag erfuhren wir, dass eine Ladung Hosen aus Deutschland zurückgeschickt worden war. Die Hosen waren bei einem Subunternehmer von Eurotex in Tkibuli hergestellt worden, aber die Qualität wurde hier bei Eurotex sowohl von leitenden Kontrolleuren als auch von Marina selbst überprüft. Dennoch war sie empört. Sie schimpfte mit uns und sagte, wenn wir Fehler machen, müssten wir dafür bezahlen. Die Arbeiterinnen waren fassungslos, dass sie bis 22 Uhr bleiben sollten, um die fehlerhafte Ware zu reparieren. Das bedeutete mindestens zwei zusätzliche Stunden Arbeit. Und am Ende blieben sie noch länger.

Die Personalchefin kam nur ein einziges Mal zu mir und selbst dieses »Gespräch«, falls man das so nennen kann, dauerte nur wenige Sekunden. Sie ging an mir vorbei und bevor ich etwas sagen oder fragen konnte, zischte sie »pass auf deine Finger auf« und ging weiter. Ich fragte meine Vorgesetzte, ob ich an meinem ersten Tag Geld verdienen würde und sie sagte, dies sei »eine Entscheidung, die der Buchhalter treffen wird.« Später erfuhr ich, dass ich ein »Lehrlingsgehalt« erhalten würde, das, wie sie mir sagten, »offensichtlich niedriger sein wird als das Gehalt der anderen.« Aber sie haben mir nie erklärt, wie hoch das Gehalt tatsächlich sein wird. Am Ende des Arbeitstages und kurz vor dem Verlassen der Fabrik kontrollierte das Sicherheitspersonal meine Tasche. Diebstähle galten als nicht ungewöhnlich.

Madonas Geschichte

Madona Tarkhnishvili begann als stellvertretende Lagerleiterin zu arbeiten, wurde aber befördert, nachdem die vorherige Lagerleiterin, wegen eines angeblichen Diebstahls mehrerer Federsäcke entlassen worden war. Madona wollte den Job nicht. »Ich fühlte mich an diesem Ort unsicher, weil das Lagerpersonal sieht, was wirklich in dieser Fabrik vor sich geht.« Tatsächlich hat Madona mit eigenen Augen sehen können, dass die Fabrikdirektorin Marina Blakunova oft nicht rechtschaffend handelte: »Jede Moncler-Jacke hat einen eingenähten elektronischen Chip, der sie einzigartig macht«, erinnert sie sich. »Aber manchmal hat das Lager mehr Material erhalten, als es Chips gab. Es wurde wie üblich an die Zuschnitt-Werkstatt geschickt. Dann haben sie statt Einzelteile für 100 Mäntel zuzuschneiden, 120 Mäntel hergestellt. Der Trick besteht darin, einen perfekten Moncler-Mantel aus diesem ›Überschuss‹ zu machen. Diese ›Moncler‹-Jacken, ohne den ursprünglichen Chip, hat Marina dann an Freund_innen oder Mitarbeiter_innen aus der Verwaltung verschenkt. Einige haben diese Jacken auch auf dem Lilo-Markt in Tiflis gesehen.«

Blakunova hatte einen Vertrag mit einem Unternehmen in Rustavi. Das Eurotex-Lager schickte das Material zu, fertige Jacken kamen zurück. Madona schickte immer die korrekte Anzahl von Waren für jede Bestellung. Der Manager in Rustavi, Nugzar Kakhidze, zählte deshalb normalerweise nicht nach. »Er vertraute mir. Wir hatten eine gute Arbeitsbeziehung und Marina bemerkte das. Einmal, als wir teure Pelze erhielten, kam sie ins Lager und nahm, bevor ich etwas sagen konnte, ein paar Stücke aus der Kiste, ohne das Sicherheitsband zu zerreißen.«

»Dieser Mann vertraut Ihnen, er wird es nicht überprüfen«, sagte sie. Madona konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Am Ende rief sie Nugzar an und er zählte alles am nächsten Tag nach. Als er bemerkte, dass Teile fehlten, stellte er Blakunova zur Rede. Die wiederum gab Madona die Schuld. »Seitdem versuchte sie immer, mich in eine schwierige Situation zu bringen«, sagt Madona. Unterdessen fielen Madona immer wieder verdächtige Aktivitäten des Managements auf. Eine davon war die Beschäftigung von Menschen, die nie jemand gesehen hat. Als Madona befördert wurde, wurde ihre vorherige Stelle als Assistentin des Lagermanagers nicht wiederbesetzt. »Mein Gehalt betrug damals 450 Lari (≙160 US-Dollar), aber niemand kam, um es einzufordern«, sagte sie mir. »Die Tochter von [der Personalchefin] Nino Eloshvili hatte auch irgendeine Stelle, ebenso die Mutter einer Buchhalterin, aber niemand hat sie je in der Fabrik gesehen.« Irgendwann entließ Marina die Reinigungskräfte und wies an, dass die Arbeiterinnen den Arbeitsplatz putzen. Madona kam nicht umher, sich zu fragen, wohin das gesparte Geld floss. »Marina will keine ehrlichen Arbeiterinnen. Niemand, der Fragen zum Geld stellte, blieb lange in der Fabrik.«Madona hatte ein festes Gehalt von 700 Lari (≙300 US-Dollar), erhielt es aber nie vollständig. Marina nutzte jede Gelegenheit, um ihr Gehalt zu kürzen. »Einmal bat sie mich, beim Zuschnitt zu helfen. Aber es war mir nicht möglich, dort zu arbeiten, denn man muss sich viel bücken und mein Rücken schmerzte. Sie zog mir 150 Lari (≙65 US-Dollar) von meinem Gehalt für etwas ab, dass nicht in meinen Aufgabenbereich gehörte«, erinnerte sich Madona. »Letzten Monat legte sie mir 5 Lari auf meinen Tisch und sagte, dies sei mein Gehalt für diesen Monat. Ich hätte zu viele Fehler gemacht, um mehr zu verdienen.« Madona musste aufgrund des niedrigen Verdienstes einen Kredit aufnehmen. »Ich konnte es meinem Ehemann gegenüber nicht zugeben, meine Familie ist fast daran zerbrochen«. Der Stress und die Beschimpfungen seien das Schlimmste, erzählte sie mir. »Ich hielt es nicht mehr aus, wenn Blakunova grundlos zu schreien begann. Ich kündigte, nachdem sie mir eine Packung mit Reißverschlüssen ins Gesicht warf und mich eine Schlampe nannte«. Nachdem Madona ging, blieb sie noch mit einigen Leuten aus der Fabrik befreundet. Sie fand heraus, dass die Personalchefin den Kolleginnen erzählt hatte, sie sei wegen Diebstahls gefeuert worden. »Genau dasselbe erzählte sie von der Person, die zuvor auf meiner Stelle war.«

Der zweite Tag

An meinem zweiten Arbeitstag stellte ich fest, dass meine Kolleginnen am Vortag eine 12-Stunden-Schicht geschoben haben. Ich versuchte herauszufinden, ob Überstunden bezahlt wurden, aber niemand, nicht mal die Frauen selbst, schien das zu wissen. Generell konnte niemand meine Frage nach den Gehältern fragte beantworten, es hieß stets: »Wir werden sehen, wie dieser Monat läuft.« In der Regel wurden die Schneiderinnen, je nach ihren Fähigkeiten, in drei Kategorien eingeteilt. Für jede Kategorie gab es einen monatlichen Mindestbetrag. Der endgültige Lohn hing jedoch immer von der Quote ab, so dass die meisten Arbeiterinnen nicht wussten, was sie am Ende des Monats erhalten würden. Rusiko (Name geändert) ist in ihren Fünfzigern, kurzhaarig und groß. Sie ist eine ehemalige Lehrerin mit trockenem Humor. Wir saßen nebeneinander, und sie erzählte mir ihre Geschichte. Sie sah ein Stellenangebot auf Jobs.ge, das ein monatliches Gehalt von 600 Lari (≙200 US-Dollar), kostenloses Essen und eine Krankenversicherung versprach. Nichts davon stellte bewahrheitete sich. Weder gab es Essen noch Versicherung und der höchste Betrag, den Rusiko jemals in einem Monat verdient hat, waren 400 Lari (≙140 US-Dollar).

Die meisten bei Geo-M-Tex arbeiten weniger als ein halbes Jahr in der Fabrik. Alle Frauen sagten mir, dass sie versuchen, die Arbeit so lange zu ertragen, bis sie etwas Besseres gefunden hätten. Sie rieten mir auch dazu. Aber glücklicherweise würde ich bald Urlaub haben. So erfuhr ich, dass alle ab dem 24. August einen Monat lang »Urlaub« machen würden, ganz gleich ob sie wollten oder nicht. Nur Leute, die seit Jahren dort arbeiteten, würden während dieses Monats Gehalt erhalten, die Mehrheit würde keinen einzigen Lari bekommen. Ich versuchte herauszufinden, wie hoch mein Gehalt sein würde. Zunächst lernte ich nicht wie versprochen zu nähen, sondern führte bereits die Arbeit von jemandem aus, der vor mir gegangen war, damit wir die Quote erfüllen konnten. Da ich zu den am geringsten Qualifizierten gehörte, konnte ich mir nie mehr Gehalt als 550 Lari (≙190 US-Dollar) pro Monat erhoffen, auch wenn ich mehr leistete. Rusiko hatte, wie die meisten der Frauen, keine Erfahrung als sie bei Geo-M-Tex anfing. Dennoch sind die Anforderungen des Jobs sehr hoch. Von den Arbeiterinnen wird erwartet, dass sie schnell, fehlerfrei und in sehr großen Mengen teure Markenkleidung herstellen. Schnelligkeit war das Wichtigste, so schien es: Obwohl es erst mein zweiter Tag war, forderten alle von mir schneller zu arbeiten.

»Arbeiterinnen bezahlen immer für ihre Fehler«

Jede hergestellte Hose brachte einige Tetri ein (1 Lari ≙100 Tetri). Und so funktionierte das System: Mit jedem Paar Jeans wird eine bestimmte Summe erwirtschaftet, diese Summe wird mit der Anzahl der hergestellten Jeans multipliziert und dann durch die verschiedenen Herstellungsschritte (z.B. das Anbringen von Taschen, Gürteln, Reißverschlüssen etc.) und durch die Anzahl der an jedem Prozess beteiligten Arbeiterinnen geteilt – dabei werden einige Schritte höher vergütet als andere. Die Schneiderinnen vermerken an welchem Prozess sie beteiligt waren und wie viele Teile sie hergestellt haben. Die einzige Ausnahme scheint die Knopfpresse zu sein: Obwohl ich mich ständig erkundigte, konnte ich nicht herausfinden, wie mein Gehalt berechnet werden sollte.

Produktionsfehler schienen ein ständiges Problem zu sein, aber das Management setzte sich nicht damit auseinander. Anstatt uns Zeit zu lassen, drängten sie uns ständig, härter zu arbeiten. Sie setzten unrealistische Ziele für unerfahrene Arbeiterinnen. Dadurch waren Fehler unvermeidlich und führten unweigerlich zu erheblichen Konflikten mit der Unternehmensleitung. Die leitenden Angestellten – Technologinnen, Vorarbeiterinnen und Qualitätskontrolleure – haben das erkannt. Aber die Verantwortung lag in der Regel nicht bei ihnen, sondern bei den Arbeiterinnen, die ihnen unterstellt waren. Manchmal, wenn ich Fehler bemerkte und sie der Technologin zeigte, sagte sie mir, dass es in Ordnung sei und dass wir sie nicht zur Reparatur an die Schneiderinnen zurückgeben sollten. Ich habe an diesem Tag viele fehlerhafte Hosen hergestellt, weil ich so müde war, dass ich kaum noch sitzen konnte. Die Kontrolleure sahen dies, aber sie drückten ein Auge zu. Ihre Devise schien zu sein, besser einige Mängel durchgehen lassen, als die Quote nicht erfüllen zu sehen. Aber gelegentlich rollen Köpfe und jemand auf der Managementebene musste für die Fehler der Arbeiterinnen bezahlen. Letztlich war es egal, ob jemand den Preis dafür bezahlte, solange es nicht Blakunova oder die Topmanager waren.

»Sei vorsichtig«

In einer Rauchpause freundete ich mich mit einem neuen Mädchen an, das oben in der Jackenabteilung arbeitete. Sie sagte, die Situation dort sei genauso schlimm wie in unserem Teil der Fabrik. Es war zu heiß und die Arbeiterinnen stritten sich ständig. Sie begann nur deshalb hier zu arbeiten, weil sie vier Monate lang keine Arbeit finden konnte. Als ich sie traf, träumte sie von dem (unbezahlten) Urlaub. Die meisten Arbeiterinnen träumten davon. Ich hörte sie sagen: »Scheiß auf das Geld, lass mich einfach ein bisschen ausruhen.« Ab 16 Uhr sprachen die Arbeiterinnen kaum noch miteinander, die Energie fehlte dafür. Mehr als einmal hörte ich, dass die Frauen die Fabrik als »Irrenhaus« bezeichneten. Maiko, die neben mir arbeitete, sagte, dass sie während ihres ersten Arbeitsmonats jeden Tag geweint habe. »Aber keine Sorge, du wirst dich daran gewöhnen«, sagte sie zu mir. Die Frauen erzählten beiläufig Geschichten darüber, wie sie nach Hause kamen und auf ihr Sofa fielen, als wären sie tot. Mir ging es genauso, aber ich hatte es leicht. Im Gegensatz zu mir haben die meisten dieser Frauen Familien und nach der Arbeit begann mit der Hausarbeit ihre zweite Schicht. Am Nachmittag begann ich, eine allergische Reaktion zu entwickeln: Ich bekam einen juckenden Ausschlag im Gesicht und erzählte den Frauen davon. Sie sagten mir, dass sie ständig unter solchen Symptomen litten. Einmal am Tag sollte eigentlich eine Reinigungskraft staubsaugen, aber wenn ich sie sah, fegte sie nur den Boden. Um 15 Uhr begann ich, unkonzentrierter zu werden und ein paar Mal erwischte die Presse meinen Finger am Rand. »Sei vorsichtig«, sagten mir die anderen Frauen. Rusiko schlug vor, ich solle so tun, als müsse ich auf die Toilette, um mich ein wenig auszuruhen. Sie sagte, sie mache das ständig. Während unserer Arbeit verletzte auch sie sich, indem sie sich versehentlich mit einer Schere in den Finger schnitt. Als eine andere Arbeiterin einen Erste-Hilfe-Kasten holte, stellte sich heraus, dass dieser nicht ein einziges Pflaster enthielt.

Am Ende des Tages kam die Leiterin der Personalabteilung Nino Eloshvili herunter und sagte, der Kleinbus nach Rustavi würde sich verspäten und diejenigen, die nach Rustavi fahren wollten, würden um 19 Uhr abfahren. Das Management kontrollierte sogar den Fahrplan der Minibusse. Wir waren fast vollständig unter ihrer Kontrolle. Aber später würde ich eine Geschichte hören, die das, was ich mit meinen eigenen Augen sah, im Vergleich nahezu idyllisch erscheinen ließ.

Lelas Geschichte

Lela Migeneisvili ist 36 Jahre alt und war 2016 die Leiterin der Zuschnitt-Werkstatt. Wie sie mir erzählte, wurde sie von Marina der »Sonnenschein der Direktorin« genannt – jedenfalls bis zu dem Sonntag, an dem ihre Leute nicht zur Arbeit kamen. Die große Menge an Arbeit, die ihr Team jeden Tag zu bewältigen hatte, setzte die Arbeiterinnen unter enormen Druck. So musste Lela Arbeit teilweise mit nach Hause nehmen oder sie flehte ihr Team an, bis spät abends oder sonntags zu arbeiten. Den Arbeiterinnen wurden die zusätzlichen Tage und Stunden nicht bezahlt. Lela erzählte mir, dass sie die Überstunden nur machten, um den Beschimpfungen der Vorgesetzten aus dem Weg zu gehen. Dennoch hing Lela an ihrer Arbeit und bis zu besagtem Sonntag hatte Marina sie auch immer gut behandelt. Jener Sonntag war auch ein besonderer georgischer Feiertag, es war der Tag des Heiligen Georg. Lela wagte es nicht, ihre Kolleginnen zu bitten, zur Arbeit zu kommen. Am nächsten Tag berichtete die Produktionsleiterin der Zuschnitt-Werkstatt Blakunova davon. Empört kam Marina herein und begann Lela vor ihren Mitarbeiterinnen zu beschimpfen. »Sie schrie und schlug mit einem Lineal auf meinen Schreibtisch.« Lela hoffte, dass es sich nur um ein Missverständnis handle, aber dem war nicht so. »Ich habe mich immer bemüht, ihr alles Recht zu machen, aber sie wusste es nicht zu schätzen.« Dann kam ein neues, sehr kompliziertes Schnittmuster, mit dem Lela nicht so schnell zurechtkam. Aus Angst vor weiteren Attacken traute sich Lela nicht, Marina um Hilfe zu bitten. Infolgedessen erfüllte die Zuschnitt-Werkstatt die Quote nicht. Verzweifelt bat Lela um ein paar Aushilfen, aber Blakunova lehnte ab. Als eine der Arbeiterinnen wegen des Stresses kündigte, gab Marina Lela die Schuld. Sie sagte, Lela habe sich mit der Mitarbeiterin verschworen, um ihr und der Fabrik zu schaden. Sie drohte Lela: »Du weißt nicht, wer ich bin. Ich werde dein Leben zerstören und du wirst mich anflehen damit aufzuhören.«

Lela sagte, dass sie in diesem Moment das Gefühl bekam, sie würde ohnmächtig werden. Sie stolperte aus Blakunovas Büro und ging zum Fabrikarzt. Wenige Sekunden, nachdem sie die Praxis betreten hatte, öffnete Blakunova schreiend die Tür und versuchte sich mit Lela in dem Raum einzuschließen. »Sie verlor völlig ihr menschliches Gesicht. Ich habe keine Ahnung, was sie mir in diesem Raum antun wollte.« Nach einem kurzen Handgemenge gelang es Lela, aus dem Raum zu entkommen. Sie rannte zurück in die Zuschnitt-Werkstatt warf die Schneidekarten, Stifte und Bleistifte von ihrem Arbeitstisch und fiel schluchzend zu Boden. Verängstigte Mitarbeiterinnen versuchten, ihre Hände aus ihrem Gesicht wegzuziehen, aber ihr Körper war wie eingefroren. Als sie es schafften, war Lela im Gesicht blau angelaufen. Blakunova ließ sie aus dem Gebäude in den kalten Regen werfen.

Lela wurde am Tag vor dem Geburtstag ihres Sohnes entlassen. Ihretwegen erhielten die Schneiderinnen aus ihrem Team kein Monatsgehalt. Nachdem sie Einspruch erhoben hatten, erhielten sie alle ihr Gehalt – nur Lela nicht. Danach sammelten die Arbeiterinnen Unterschriften, die belegen sollten, dass Lela eine schlechte Managerin gewesen sei und es verdient habe, entlassen zu werden. Ein Teammitglied schrieb sogar ein Dankschreiben an die Geschäftsleitung.

Gebrochene Versprechen

Lela war bei weitem nicht die Einzige, die die Demütigung von Marina Blakunova und den anderen Eurotex-Managern zu spüren bekam. Im selben Jahr, in dem Lela entlassen wurde (2016), wandten sich fast drei Dutzend Beschäftigte, darunter auch Lela, an die Georgische Gewerkschaftskonföderation (GTUC), um Hilfe bei der Sicherung der ausstehenden Löhne zu erhalten. Giorgi Diasamidze, GTUC-Kampagnenleiter, erzählte mir von seinem ersten Kontakt mit Fabrikdirektorin Blakunova: »Sie sagte mir, dass wir Georgier dankbar sein sollten, dass sie diesen Menschen Arbeit gegeben habe.« Er warnte Marina, dass die Gewerkschaften sich per Brief an Moncler, den Hauptauftraggeber von Eurotex, wenden würden, aber Marina lachte darüber. »Sie sagte, dass Olga Markova von Moncler ihre Freundin sei und wir nichts erreichen würden.«

Lela sagte, dass die Vertreter von Moncler oft aus ltalien kommen würden. Allen Arbeiterinnen sei es verboten, mit ihnen zu sprechen. Es gab eine Schneiderin, die perfekt italienisch sprach und sich mit den Italienern unterhielt, daraufhin wurde sie grundlos entlassen. Die Vertreter sahen oft, wie Blakunova die Arbeiter anschrie, reagierten aber nicht. Nach der GTUC-Kampagne wurde ein gewisses Monitoring durch Moncler veranlasst. »Die Beschäftigten befanden sich mit den (Unternehmens-)Vertretern in einem Raum zur Befragung, wurden aber von der Unternehmensleitung vor der Tür empfangen«, sagte Giorgi Diasamidze. Aber die Gehälter der Arbeiterinnen wurden erst gezahlt, als Aufnahmen von Marina Blakunova online gestellt wurden, die belegten, dass sie die Arbeiterinnen anschrie oder sie am Verlassen der Fabrik hinderte. Lela erhielt ihren gesamten ausstehenden Lohn, während andere Beschäftigten nur teilweise entschädigt wurden. Doch sie zahlte einen hohen Preis: Ihr Ehemann erhielt einen anonymen Anruf, in dem jemand behauptete, dass Lela mit mehreren Kollegen in dem Privatzimmer, in dem sie arbeitete, Sex hatte (in Wirklichkeit hatte sie kein eigenes Zimmer). Daraufhin verließ Lelas Mann sie und ihre beiden Kinder.

Obwohl Lela sich davon erholt hat, einen neuen Job hat und mit einem neuen Partner lebt, bezeichnet sie die Arbeit bei Geo-M-Tex als die traumatischste Erfahrung ihres Lebens. »Nachdem sie mich rausgeschmissen hatten, konnte ich monatelang nicht an der Ausfahrt der Fabrik vorbeifahren, ohne in Tränen auszubrechen.«

Der dritte Tag

Am Morgen meines dritten Tages kündigte Nino Eloshvili an, dass diejenigen, die länger bleiben wollten, dies tun könnten. Es klang so, als wären gestern und vorgestern die Menschen auch freiwillig geblieben. Als sie den Raum verließ, kommentierten die Arbeiterinnen, dass hier alles »ein Haufen Lügen« sei. Bevor sie ging, sagte mir Nino, dass ich einige Sicherheitsdokumente unterschreiben solle, doch sie kam nie zurück. Ich fragte die anderen Frauen, was für Dokumente das seien und sie versicherten, dass sie auch alle Papier unterschrieben haben, mit dem sie die volle Verantwortung für eventuelle Verletzungen übernehmen müssten. Außerdem müssten sie selbst bezahlen, wenn sie eine der Maschinen kaputt machten. Durch den Staub und den regulären Verschleiß brauchte es aber kein menschliches Versagen, um die Maschinen kaputt machten. Techniker waren oft in der Fabrik, und die Maschinen schienen genauso »erschöpft« zu sein wie die Arbeiterinnen. An diesem Tag wurde auch die Klimaanlage gereinigt. Unmengen an Staub kamen zum Vorschein. Auch der Staubsauger schien am Staub zu ersticken. Egal was passierte, am Ende schien immer der Staub zu gewinnen - und das Management. Mein Tagesziel war es zu verstehen, wie die Gehälter verteilt werden. Ich sprach mit dem Haupttechnologen, der die maximalen Festgehälter innerhalb von drei Kategorien von Arbeiterinnen erklärte: 300 Lari (≙100 US-Dollar) - Kategorie eins, 400 Lari (≙140 US-Dollar) - Kategorie zwei und 550 Lari (≙190 US-Dollar) - Kategorie drei. Trotz des scheinbar trivialen Systems ist unklar, wie viel Gehalt man am Ende tatsächlich bekommt. Das hängt von der Leistung der Arbeiterinnen, von der Abteilung ab und davon, wie nahe sie die Quote erfüllen - eine Quote, die, wie mir eine Technologin sagte, »weit vom Normalen« entfernt ist. Was woanders als »Über-Erfüllung« bezeichnet wird, gilt hier als normal. Sie sagte mir auch, dass es für mich, solange ich noch »lerne«, schwer zu sagen ist, wie hoch mein Gehalt sein wird. Herausfinden werde ich das erst am Zahltag.

»Was ist also der Sinn des Festgehalts?«, fragte ich. Aber wie immer erhielt keine klare Antwort. Die Realität ist, dass niemand mit Sicherheit weiß, ob er im nächsten Monat Glück haben wird. Niemand stellt Fragen, denn Leute, die Fragen stellen, bleiben nicht lange. Während des Mittagessens traf ich eine Frau, die im Controlling arbeite. Sie bestätigte dies und meinte außerdem, dass sie einmal einen Tag wegen Krankheit versäumt hatte und ihr dieser Tag vom Gehalt abgezogen wurde. Controller müssen den ganzen Tag stehen, daher ist es üblich, dass sie Rückenschmerzen haben, die manchmal so schlimm sind, dass sie nicht arbeiten können.

Den Arbeiterinnen von Geo-M-Tex ist bewusst, dass sie schlecht behandelt werden, aber sie wissen nicht, was sie dagegen tun können. Der Regierung geben sie keine Schuld, denn für sie, so scheint es, ist die Fabrik ein eigenes Land. »Sie ist Privateigentum«, sagte Rusiko. »Sie machen hier, was sie wollen, das sind ihre Gesetze.« Als sie diese Worte sagte, trug sie einen Schal, auf dem das Logo der georgischen Regierungspartei Georgischer Traum zu sehen war.

Nach drei Tagen in der Fabrik beschloss ich, mit der Personalchefin zu sprechen und zu fragen, wann ich endlich in meine Arbeit eingewiesen werden würde. Ich verbrachte eine halbe Stunde vor dem Büro, aber sie kam nicht. Ich versuchte es bei der leitenden Technologin. »Oh, es wird nicht mehr lange dauern«, sagte sie mir. »Wir haben jetzt ein neues Hosenmodell und es gibt niemanden, der die Knöpfe pressen kann.«

Epilog

Nachdem meine Zeit bei Geo-M-Tex zu Ende war, wandte ich mich an Eurotex und die Unternehmen, deren Marken in der Fabrik hergestellt wurden. Ich fragte nach Missständen, die ich selbst gesehen hatte, und nach den schrecklichen Geschichten, die ich gehört hatte.

Eurotex schrieb, dass »es in unserer Organisation nie eine unfaire oder demütigende Behandlung gab. In drei Jahren unserer Tätigkeit gab es nie Beschwerden, auch nicht vor Gericht.« Die deutsche Bekleidungsfirma Uvex, die bei Geo-M-Tex Sicherheitshosen herstellen ließ, teilte mit, dass die Produktion zu »Testzwecken« in die Fabrik verlagert wurde und »die Zusammenarbeit Ende November 2019 beendet wurde.« Die Luxusmarke Moncler schrieb, dass sie sich verpflichtet habe, »die Menschenrechte in allen Bereichen ihrer Tätigkeit und innerhalb ihres Einflussbereichs zu respektieren und zu wahren. Zu diesem Zweck überprüfen wir unsere Lieferanten regelmäßig durch Inspektionen Dritter. Dieser Ansatz wird in allen Ländern, in denen Moncler tätig ist, einheitlich angewandt.« Weiter hieß es: »Zu Ihrer Information: Auch wenn es in der Vergangenheit der Fall war, arbeiten wir gegenwärtig nicht mehr mit dem Zulieferer namens Eurotex zusammen.« Equiline dankte mir für die Informationen über die Zustände in der Fabrik, fügte aber hinzu, dass sie »die Verfahren und Überprüfungen stets gemäß unseren Unternehmensstandards durchgeführt haben, ohne etwas bemerkt zu haben.«

Update: Als ich an Eurotex schrieb, legte Veronika Blakunova, die Tochter von Marina Blakunova, ein von Eurotex-Anwälten verfasstes Dokument vor, in dem stand, dass Eurotex den Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt habe. Nachdem ich meinen Artikel beendet hatte, ging ich noch einmal zur Fabrik, um zu überprüfen, was vor sich ging. Ein Teil des Gebäudes war abgerissen, ein anderer Teil blieb jedoch intakt und, was noch wichtiger ist, schien voll funktionsfähig zu sein. Ich sah sogar, wie meine ehemaligen Kolleginnen zur Mittagspause gingen. Dieser Artikel wurde entsprechend aktualisiert.

Aus dem Englischen übersetzt von Olivia Mayr.

Tamuna Chkareuli ist eine georgische Journalistin aus Tiflis. Sie interessiert sich für soziale Themen und konzentriert sich auf Arbeitsrechte und geschlechtsspezifische Probleme.

Dies war der zweite Teil einer mehrteiligen Untersuchung der georgischen Textilindustrie. Sie wurde mit Unterstützung des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) im Südkaukasus durchgeführt. Alle geäußerten Meinungen sind allein die der Autorin und spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der FES wider.


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