Sorry we missed you - Interview mit dem Regisseur Ken Loach

Gemeinsam mit weiteren Partnerinstitutionen veranstaltet die Friedrich-Ebert-Stiftung am 14. Januar 2020 in Berlin eine Preview mit anschließendem Podiumsgespräch.


"Sorry we missed you", nach einem Drehbuch von Paul Laverty, spielt in Newcastle (Großbritannien). Das Sozialdrama erzählt eine universelle Geschichte über Leistungsdruck und Ausbeutung, über Pflegenotstand und Nächstenliebe, über Kampfgeist und Zusammenhalt – kurz über die Themen, die aktuell die Menschen beschäftigen – überall in Europa.

Der Regisseur Ken Loach spricht im Interview über seinen neuen Film.

Wie sind Sie auf die Idee für SORRY WE MISSED YOU gekommen?

Nach ICH, DANIEL BLAKE dachte ich, dass das vielleicht der letzte Film gewesen wäre, aber als wir für unsere Recherchen Essensausgaben besuchten, wurde uns erst so richtig klar, wie viele der Menschen, die dorthin kommen, eigentlich „Arbeit“ haben. Teilzeitarbeit, kleine Jobs, Zeitarbeit, Ich-AGs, Provisionsjobs, oft so schlecht bezahlt und auf eigenes Risiko, dass es nicht fürs Leben reicht. Das ist eine neue Form der Ausbeutung. Die sogenannte ‚Gig Economy’ mit Honoraraufträgen, Kleinjobs oder Beschäftigung über Agenturen tauchte immer wieder und immer häufiger in Pauls und meinen alltäglichen Gesprächen auf. Daraus formte sich Stück für Stück die Idee für einen weiteren gemeinsamen Film, bei dem man die Verwandtschaft und den Bezug zu ICH, DANIEL BLAKE nicht leugnen kann.

Die Ausbeutung von Arbeitskraft auf Kosten der Menschen und der Menschlichkeit ist ja kein neues Problem.

Es ist nur insofern neu, als dass modernste Technologie verwendet wird. Hochentwickelte Technologie und Vernetzung sorgen dafür, dass einem Kurierfahrer die Wege vorgeschrieben werden und der Kunde in Echtzeit über den Status seiner Lieferung und die voraussichtliche Auslieferung bei ihm an der Tür informiert wird. Diese Informationen sorgen für einen enormen Druck. Das Resultat ist, dass der Lieferfahrer sich die Seele aus dem Leib hetzen muss, um die technologisch geschaffenen Möglichkeiten zu erfüllen, während er gleichzeitig nur noch ein Sklave dieser Technik ist und schlecht bezahlt wird. Die Technik ist neu, die Ausbeutung aber ist so alt wie die Menschheit.

Wie haben Sie sich auf diesen Film und diese spezifische Branche der selbständigen Kurierfahrer vorbereitet?

Paul hat die meiste Recherche betrieben, und wir haben uns dann gemeinsam mit Leuten getroffen, die diese Jobs machen. Die Kurierfahrer waren allerdings oft besorgt und wollten nicht zu viel verraten, weil sie Angst um ihren Job hatten. In die Lieferdepots zu kommen, war ebenfalls eine schwierige Sache und wir hatten Glück, dass wir auf einen hilfsbereiten Manager aus einem Depot gestoßen sind, der uns sehr präzise Hinweise auf die Abläufe und die Gestaltung solcher Depots gegeben hat. Die anderen Fahrer im Film sind zudem selbst Kurierfahrer oder waren es. Sie wussten also ganz genau, worauf es in diesen Depot-Szenen ankam. Sie kannten den Zeitdruck, die Anspannung und die Hektik der Paketverteilung in den Depots.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Eindeutig die Unsicherheit dieser Jobs und wie viele Stunden man in solchen Modellen arbeiten muss, um überhaupt über die Runden zu kommen. Diese Menschen sind auf dem Papier selbstständig, aber nur auf dem Papier. Und wenn etwas schief läuft, tragen sie das volle Risiko. Und dass etwas falsch läuft, kann jederzeit passieren, und dann bekommen sie Sanktionen oder Strafen auferlegt. Für Pflegerinnen wie Abby ist es zudem so, dass sie zwölf Stunden lang für ihre Pflegebesuche unterwegs sind, aber nur sechs oder sieben Stunden Mindestlohn bezahlt bekommen.

Nicht nur Rickys, sondern auch Abbys Arbeitskraft wird systematisch ausgebeutet und das, obwohl sie ja im staatlich subventionierten und bezahlten Pflegebereich tätig ist?

Der Arbeitgeber ist eben oft eine Agentur. Die Pflegearbeit wird über die öffentliche Hand an Agenturen oder private Pflegedienste verteilt und die bekommen diese Aufträge, weil sie den besten Preis bieten. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass das Pflegeamt mit Absicht ignoriert, dass dieser günstige Preis nur durch Ausbeutung der Menschen möglich ist, die die Arbeit letztlich erledigen. Hinzu kommt, dass es im privaten Sektor viel schwieriger ist, sich gewerkschaftlich zu organisieren als im öffentlichen Dienst. Da gibt es wenigstens noch ordnungsgemäße Verträge.

 

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