Am 8. Oktober 2022 wäre Katharina Focke 100 Jahre alt geworden. Als erste europäische Spitzenkandidatin der SPD, als erste parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt und als erst dritte Ministerin der deutschen Geschichte nach Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) und Käte Strobel (SPD) setzte sie Maßstäbe für die europäische Einigung und die Mitbestimmung von Frauen.
Erfolgreiche Kandidatur für den Bundestag
Im Jahr 1966 kandidierte Focke dann bereits für die SPD bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, wo sie ihren Wahlkreis im Kölner Süden gewinnen konnte. Doch bereits im Jahr 1969 trat sie auch bei der Bundestagswahl an, da sie das Gefühl hatte, nur in der Bundespolitik wirklich wirkungsmächtige Resultate – vor allem für Europa – zutage fördern zu können. Doch die Ausgangssituation war denkbar schlecht: Trotz ihrer bis dato steilen Karriere wurde sie lediglich auf Platz 64 der Landesliste gesetzt. Zudem kandidierte sie im Wahlkreis Köln II, den bei sämtlichen Wahlen seit Gründung der Bundesrepublik bislang klar Kandidaten der CDU gewonnen hatten, seit 1953 sogar jeweils mit absoluter Mehrheit. Dementsprechend viel investierte Focke, um doch noch ihren Wahlkreis gewinnen zu können. So schrieb die FAZ damals über ihre Kampagne:
„Sie fuhr winkend mit dem Lautsprecherwagen durch die Straßen, hielt vor Kindergärten und Einkaufszentren, wo sie mit den Leuten sprach, verschmähte auch nicht Slogans wie ‚Zecke, zocke, zecke zocke – kluge Frauen wählen Katharina Focke“, verteilte Luftballons und Papiertaschen mit entsprechendem Aufdruck – ganz im amerikanischen Stil. Sie sagt es, ohne mit der Wimper zu zucken, daß sie von Amerika inspiriert wurde, Theodore Whites Buch über Kennedys Wahlkampf hat sie genau studiert. Die Erkenntnis, daß man Wahlversammlungen im alten Stil nicht mehr machen
könne, sondern dorthin gehen müsse, wo die Leute seien, führte auch zu ihren abendlichen Runden durch Kölner Kneipen und Kegelbahnen“.
Das Resultat war überwältigend: In keinem anderen Wahlkreis in Deutschland erreichte die SPD einen derart großen Stimmenzugewinn und Katharina Focke erlangte mit 50,9 Prozent der Stimmen ein Bundestagsmandat. Plötzlich ging alles sehr schnell: Heinz Kühn, der als NRW-Ministerpräsident zuvor mit Focke in der SPD-Landtagsfraktion gut zusammengearbeitet hatte, empfahl sie Willy Brandt als „nordrhein-westfälische Leihgabe an den Bund“, worauf dieser sie zu seiner parlamentarischen Staatssekretärin im Kanzleramt machte.
Parlamentarische Staatssekretärin und Ministerin
In diesem Amt, das Focke von 1969 bis 1972 ausfüllte, konnte sie endlich an europapolitischen Entscheidungsprozessen teilhaben. Sie sollte diese Jahre daher später einmal als schönste Zeit ihres Lebens bezeichnen. Vor allem der Gemeinschaftssinn und der Arbeitseifer des Teams im Bundeskanzleramt machte einen großen Eindruck auf sie. Um Willy Brandt herum bildeten in dieser Zeit neben ihr, Horst Ehmke, Conrad Ahlers und Egon Bahr den engsten Kreis um den Bundeskanzler. Während Bahr vor allem mit der Ostpolitik betraut war, wurde Focke in nahezu sämtliche Fragen zu Westeuropa und der europäischen Integration konsultiert.
In dieser Position nahm sie bereits im Dezember 1969 mit Brandt an der bedeutenden Gipfelkonferenz von Den Haag teil. Dort gelang es der deutschen Delegation, Frankreich dazu zu bewegen einem Beitritt Großbritanniens in die EWG zuzustimmen. Dies war ein großer Erfolg, denn bis dato hatte sich Frankreich unter Charles de Gaulle stets gegen einen Beitritt der Briten gewehrt, da es dadurch einen zu großen angloamerikanischen Einfluss auf die EWG fürchtete. Sicherlich spielte es auch eine Rolle, dass der neue Präsident Georges Pompidou einem Beitritt der Briten etwas offener gegenüberstand. Den diplomatischen Erfolg der Haager Konferenz schmälerte dies jedoch nur bedingt.
1972 allerdings – Brandt war gerade als Bundeskanzler wiedergewählt worden – gab Focke das Amt der Staatssekretärin auf. Während der Koalitionsverhandlungen für die neue Legislaturperiode hatte der Bundeskanzler krank im Bonner Venusbergklinikum gelegen, weshalb der damalige Verteidigungsminister Helmut Schmidt und Herbert Wehner diese federführend übernommen
hatten. Weil in der Konzeption von Schmidt und Wehner nun das Außenministerium mit europapolitischen Fragen betraut werden sollte und nicht wie bisher die parlamentarische Staatssekretärin, ergab es für Focke keinen rechten Sinn mehr, dieses Amt auszufüllen. Brandt bot ihr daher drei Optionen an: Sie könne a) parlamentarische Staatssekretärin bleiben, b) Bundestagspräsidentin werden oder c) das Amt der Ministerin für Familie, Jugend, Frauen und Gesundheit übernehmen. Nach langem Überlegen entschied sich Focke für letzteres.
Insgesamt amtierte Focke von 1972 bis 1976 als Familienministerin, verließ damit also das Amt nachdem Schmidt zum ersten Mal wiedergewählt wurde. Dass sie das Amt freiwillig verließ, hatte mehrere Gründe. Zum einen verfügte das Familienministerium in den 1970er Jahren noch über keine großen Handlungskompetenzen. Besonders beim Thema Jugendhilfe hatte Focke das Gefühl, sie könne nicht die Politik machen, die notwendig wäre. Andererseits war die Zusammenarbeit zwischen Schmidt und ihr eher unterkühlt. Wenngleich sie weiterhin eine hohe Reputation genoss, wurde offenbar, dass Focke im Ministerium nicht so handlungsfähig war, wie dies notwendig gewesen wäre.
Im Europäischen Parlament
Es war daher nur konsequent, dass sie 1979 bei der ersten Wahl für das europäische Parlament kandidierte und ein Mandat gewinnen konnte. 1984 trat die ausgewiesene Europa-Expertin dann sogar als Spitzenkandidatin für die SPD an. Der Wahlkampf wurde mit einem immensen Aufwand betrieben. Sinnbildlich dafür stand ein Wanderzirkus, der unter dem Namen „Katharinas Circus“ die Europaidee durch Deutschland tragen sollte. Artisten, Clowns und Akrobaten aus sämtlichen Ländern der EG traten auf, Focke selber übernahm die Rolle der Gastgeberin. Dennoch war die Kampagne nur mäßig erfolgreich und die SPD unterlag der Union bei den Europawahlen 1984 deutlich.