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Die Erfahrungen im Umgang mit den Republikanern zeigen, warum es in liberalen Demokratien so schwierig ist, rechtsextreme Parteien zu beobachten und zu verbieten. Der Historiker Moritz Fischer argumentiert in einem Gastbeitrag, warum die Bewertung durch den Verfassungsschutz oft ein Teil des Problems ist.
Mitte November 2024 wurde der AfD ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk zuteil – und zwar von einem Mann, von dem dies niemand erwartet hätte: Thomas Haldenwang, seit 2018 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und maßgeblich für die Überwachung der Alternative für Deutschland (AfD) verantwortlich. Dieser kündigte nun an, für die CDU in den nächsten Bundestag einziehen zu wollen. Welchen Beweis brauche man noch, so raunte es in der AfD, dass es sich bei der von Haldenwang geleitete Behörde um ein Instrument der sogenannten Altparteien handele, um einen politischen Konkurrenten staatlich zu bekämpfen.
Die Meinung der Verfassungsschützer zählt in der Bundesrepublik: Häufig legten und legen auch Journalistinnen und Journalisten bei Berichten über die Partei viel Wert auf die Einschätzung des Verfassungsschutzes, der als neutrale Behörde zu rein faktenbasierten Urteilen komme müsse. Kaum ein Bericht über die AfD kommt daher ohne den Hinweis darauf aus, dass dieser oder jener Landesverband der AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem oder rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werde. Der AfD fällt es leicht – insbesondere gegenüber den eigenen Anhängern – eine solche Form des Journalismus als staatliche Propaganda und die Urteile der Verfassungsschützer als politisch gelenkt zu brandmarken. Ähnlich argumentierte jüngst der NZZ-Redakteur Marc Felix Serrao in der „phoenix runde“, als er die Einordnung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ kommentierte: „Wer […] hat das festgestellt, das ist der Verfassungsschutz, das ist eine politisch weisungsgebundene Behörde, die natürlich an die Innenministerien berichtet […].“
Wie sieht es also aus mit den Urteilen des Verfassungsschutzes? Sind diese wirklich rein politisch motiviert und damit quasi willkürlich und ohne näher definierte rechtliche Grundlage? Um diese Frage zu klären, lohnt sich ein Blick zurück in die 1990er-Jahre, als sich die Verfassungsschutzämter nach einer langen Phase der Konzentration auf das linke Spektrum mit einer neuen rechten Partei beschäftigen mussten: den Republikanern. Im Rückblick werden dabei zwei Dinge deutlich: Zum einen zeigt sich, dass die Bewertungsmaßstäbe der Verfassungsschützer im Hinblick auf die Beurteilung der heutigen AfD zu einem nicht unbedeutenden Teil auf die Auseinandersetzung mit den Republikanern zurückgehen. Zum anderen offenbart das Vorgehen der Behörden in den 1990er-Jahren aber auch, welche Spannungen und Konflikte eine nachrichtendienstliche Beobachtung einer Partei in einer liberalen, rechtsstaatlichen Demokratie zwangsläufig mit sich bringt.
Aufgabe der Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz ist laut des Gründungsgesetzes vom September 1950 die „Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen über Bestrebungen, die eine Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben“. Die Institution des Verfassungsschutzes ist ein bundesrepublikanisches Unikum, das weltweit kein Pendant findet. Aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit verfügten die Ämter für Verfassungsschutz aber über keinerlei polizeiliche Befugnisse. Ihre Tätigkeit zielte bis in die 1960er-Jahre in erster Linie darauf ab, der Exekutive Informationen bereitzustellen, auf deren Grundlage sie tätig werden konnte. Die Inlandsgeheimdienste sollten zu einer streitbaren und wehrhaften Demokratie beitragen, was sie etwa im Fall der Verbote der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in den 1950er-Jahren auch taten.
Anfangs gehörte die Informierung der Öffentlichkeit nicht zu ihren Aufgaben. Das änderte sich in den 1960er-Jahren, als das BfV erste Materialien zur extremen Rechten veröffentlichte. Seit 1968 gibt es jährlich den Verfassungsschutzbericht heraus, in dem beispielsweise die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) von Anfang an thematisiert wurde.
Es war jedoch von Anfang an umstritten, ob das BfV dies durfte, da nur das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheiden darf. Eine Entscheidung des BVerfG von 1975 erlaubte dennoch die Nennung der NPD im Bericht, da es sich dabei weder um ein „administratives Einschreiten gegen die NPD“ handle noch „durch die Veröffentlichung dieses Berichts eine Verfassungswidrigkeit der NPD rechtlich geltend gemacht“ werde. Es handle sich „vielmehr um Werturteile, die der Bundesminister des Innern in Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Pflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen“, vornehmen dürfe und an die auch „keinerlei rechtliche Auswirkungen geknüpft“ seien. Die Richter erkannten zwar an, dass damit gleichwohl „faktische Nachteile“ für die genannte Partei entstünden, sahen sie davor aber nicht durch Artikel 21 des Grundgesetzes geschützt. Ein breiter gesellschaftlicher Konsens unterstützte die Beobachtung von NPD und Deutscher Volksunion (DVU) fortan als legal und legitim, während dies bei den Republikanern nicht einhellig der Fall war.
Im Januar 1989 gerieten die sechs Jahre zuvor gegründeten Republikaner erstmals in den breiteren Blick von Öffentlichkeit und Politik. Unter anderem mit einer dezidiert rassistischen Kampagne hatte die Partei unter ihrem Bundesvorsitzenden Franz Schönhuber bei den Wahlen am 29. Januar mit 7,5 % der Stimmen den Einzug in das West-Berliner Abgeordnetenhaus geschafft. Die Bundestagsabgeordneten wurden von diesem Wahlerfolg ebenso überrascht wie das BfV und das diesem übergeordnete Innenministerium. So erläuterte Staatssekretär Hans Neusel (CDU) am 15. Februar 1989 bei der Sitzung des Innenausschusses des Bundestags, dass die Republikaner „kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes“ seien und bis jetzt keine Erkenntnisse zu ihnen vorlägen. In Zukunft solle aber über „öffentlich zugängliches Material“ eine Analyse erstellt werden, ob es Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Ziele gebe. Das „Frühwarnsystem“ Verfassungsschutz hatte also versagt. Im Grunde waren sich aber die Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien ohnehin einig, dass die Republikaner vorerst nicht beobachtet werden sollten. Der Grundsatz, der hier – und 30 Jahre später auch bei der AfD – dominierte, lautete: Eine rechte bzw. rechtsextreme Partei muss politisch und nicht mit staatlichen Mitteln bekämpft werden.
Die Verfassungsschutzämter blieben indes nicht untätig. BfV-Präsident Gerhard Boeden (CDU) teilte am 10. Mai 1989 in einem Interview mit, dass die Republikaner zukünftig mit einer Überwachung rechnen müssten, da sie sich sehr nah an der Grenze zum Extremismus bewegten. Wenige Tage später legten die für die Auswertung zum Thema Rechtsextremismus zuständigen BfV-Beamten intern eine vorläufige Studie über die Republikaner vor. Im November 1989 wurde schließlich eine vertrauliche „Analyse zur Frage des Verdachts rechtsextremistischer Bestrebungen in der Partei ‚Die Republikaner‘“ fertiggestellt. Der bayerische Innenminister Edmund Stoiber (CSU) kündigte für den Freistaat eine „Vorprüfphase“ an, in der Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen aus öffentlichen Quellen gesucht werden sollten – und zwar kurz vor der Europawahl im Juni 1989, also zu einem Zeitpunkt, als die Republikaner ohnehin bereits auf Bundesebene überprüft wurden. Dahinter vermuteten nicht wenige Beobachterinnen und Beobachter ein politisches Manöver. Einige Länder wie Nordrhein-Westfalen gingen weiter und machten die Partei gleich zum offiziellen Beobachtungsobjekt. Sowohl das BfV als auch die meisten Länderbehörden blieben dabei allerdings zurückhaltend – und das, obwohl die Analyse des BfV eine deutliche Sprache gesprochen hatte. Das Gutachten versuchte anhand von Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht 1952 im SRP-Verbotsverfahren aufgestellt hatte, die Verfassungstreue der Partei zu eruieren und kam zu einem eindeutigen Urteil:
"Als Ergebnis der Analyse ist demnach festzuhalten, daß die Agitation und das sonstige Verhalten der REP in insgesamt zehn Themenbereichen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Einklang zu bringen ist (Stichworte: Sozialleistungsverweigerung, Asylverweigerung, Zensureinführung, Verweigerung der politischen Betätigung, Inferiorisierung und Kriminalisierung, Kollektivismus, innerparteilicher Autoritarismus, Diffamierungen, vorbelastete Funktionäre und Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten).“
Die Schlussfolgerung dieser Analyse schien den meisten Politikerinnen und Politiker von Regierung und Opposition nicht opportun. Erneut beriet der Innenausschuss des Bundestags und erneut war man parteiübergreifend der Meinung, die Republikaner vorerst nicht beobachten zu lassen. Die Befürchtungen, die sich hinter dieser Position verbargen, waren unterschiedlich: CDU, CSU und SPD bangten in erster Linie, dass die Behörden den Republikanern damit zu einem Märtyrerstatus verhelfen würden und der Partei zu einer Zeit unnötig Aufmerksamkeit zukommen ließen, in der die Wiedervereinigung das dominante Thema war. In der FDP herrschte hingegen ein grundsätzliches, bürgerrechtlich bewegtes Misstrauen gegenüber dem Geheimdienst vor, das man in Extremform – unter anderem durch die Erfahrungen mit dem „Radikalenerlass“ – bei den Grünen wiederfand, die die Auflösung der Verfassungsschutzämter forderten. Bei den Grünen wie auch bei Teilen der SPD kam noch eine spezifische Motivation hinzu: Unter allen Umständen sollte vermieden werden, dass Grüne und die Alternativen Listen (AL) im Zuge der Republikaner-Beobachtung ebenfalls in das Blickfeld der Nachrichtendienste gerieten, was konservative Journalisten und Unionspolitiker immer wieder gefordert hatten.
Die Frage, die sich bei diesen Diskussionen stets stellte, war die, weshalb die Politik offen über die Beobachtung einer anderen Partei diskutierte, obwohl es sich dabei, wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) betonte, um eine „fachliche“ und keine politische Entscheidung handelte. Die politische Diskussion war aber von der behördlichen schlichtweg nicht zu trennen, sodass Bund und Länder kein einheitliches Verfahren zum Umgang mit den Republikanern beschlossen. Ganz offensichtlich versuchten die meisten Behördenleiter die heikle Frage des Umgangs mit den Republikanern so lange zu vertagen, bis diese keine politische Relevanz mehr besaßen. Dieser Hoffnungsschimmer bestimmte den weiteren Gang des Verfahrens bis 1992. Im Dezember 1990 zeigte sich Bundesinnenminister Schäuble folglich „ganz zufrieden“ damit, die Republikaner bislang nicht beobachtet zu haben.
Das Problem verschwand durch „Aussitzen“ jedoch nicht. Im Rahmen der aufgeheizten Asyldebatte des Jahres 1992 gelang den Republikanern am 5. April 1992 der Einzug in den baden-württembergischen Landtag mit 10,9 Prozent der Stimmen. Eine Woche später kündigte der stellvertretende Präsident des baden-württembergischen Verfassungsschutzes an, die Republikaner einer Prüfung zu unterziehen. Bis jetzt sei die Partei als „radikal“ und nicht als „extremistisch“ eingestuft worden, was sich nun ändern könnte. Damit argumentierte er ganz im Sinne der Extremismustheorie der 1970er-Jahre, die besagte, dass „extremistisch“ gleichbedeutend mit verfassungsfeindlich sei, während „radikal“ eine Position am Rand des verfassungskonformen Spektrums markiere. Im Dezember 1992 entschied Bundesinnenminister Rudolf Seiters schließlich, dass die Republikaner fortan in Bund und Ländern überwacht werden sollten. Das Pendel schlug nun klar in Richtung Extremismus aus.
Wie heute die AfD versuchte damals der Republikaner-Vorsitzende Schönhuber, das Vorgehen der Behörden in einer Presseerklärung als politisch motiviert und damit illegitim darzustellen: „Die um ihre Pfründe zitternde politische Klasse Deutschlands läßt ihre pseudodemokratische Maske fallen und greift zu polizeistaatlichen Mitteln.“ Das war zwar polemisch und in Sachen polizeistaatlicher Mittel sachlich falsch, tatsächlich drängte sich aber der klare Verdacht auf, dass nun zumindest CDU, CSU und SPD ihre von politischem Kalkül geprägte Zurückhaltung fallen gelassen hatten und die Republikaner nicht mehr nur politisch, sondern auch staatlich bekämpfen wollten.
Die Auseinandersetzung mit den Republikanern verlagerte sich nun durch von den Republikanern angestrengten Klagen gegen das Vorgehen der Behörden auf die juristische Ebene. Die gerichtliche Überprüfung ihrer Entscheidung hatte dem Verfassungsschutz und der Bundesregierung stets Sorgen bereitet, weil sie befürchteten, dass ihre Maßnahmen kassiert werden würden, da es noch keine Rechtsprechung darüber gab, ob eine Beobachtung politischer Parteien durch den Verfassungsschutz prinzipiell zulässig war. Die Zurückhaltung war auch von der Sorge getragen, dass ein Sieg vor Gericht Schönhuber die Möglichkeit gegeben hätte, seine Partei als offiziell nichtextremistisch zu verkaufen. Bei der bisher wichtigsten Partei des Rechtsextremismus – der NPD – war man sich einig gewesen, dass es sich um eine gesichert rechtsextreme Partei handele. Die Republikaner empfand man aber als ein neues Phänomen, das man nicht einfach mit der NPD vergleichen wollte und das man daher oft mit dem relativ neuen Ausdruck „populistisch“ etikettierte. Der Extremismusforscher Eckhard Jesse argumentierte etwa, dass sich bei den Republikanern „Positionen der demokratischen Mehrheitskultur mit solchen der antidemokratischen Minderheit“ vermengten und die Partei damit nicht als extremistisch eingestuft werden könne. Im Endeffekt waren diese Einwände unberechtigt: Das Gros der Verwaltungsgerichte wies in langwierigen Prozessen die Beschwerden der Republikaner letztlich zurück.
Die langjährige rechtliche Unsicherheit beeinflusste das Vorgehen von Bund und Ländern gegenüber den Republikanern, die nun zwar von allen Verfassungsschutzämtern beobachtet, jedoch meist nicht ausdrücklich als extremistisch eingestuft wurden. Die Republikaner bildeten beispielsweise im Bundesverfassungsschutzbericht ab 1993 eine eigene Kategorie, in der – wie es meist hieß – „Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen“ genannt wurden. Dieses Vorgehen war neu und rechtlich nicht minder problematisch, denn das BfV wollte in seinem Bericht ja über „Rechtsextremistische Bestrebungen“ aufklären, die es bei den Republikanern aber gerade (noch) nicht beweisen konnte oder wollte. Durch ihre Nennung in den Verfassungsschutzberichten erlitten die Republikaner die vom Bundesverfassungsgericht akzeptierten „faktischen Nachteile“, ohne aber gesichert als verfassungsfeindliche Partei gewertet zu werden. Die SPD kritisierte diese „Sonderbehandlung,“ während die CDU das BfV verteidigte. Die Diskussion, so schien es, war wieder auf dem Stand von 1989/90 angelangt: Der neue Innenminister Manfred Kanther (CDU) sah die Republikaner ohnehin (erneut) auf dem absteigenden Ast und wollte darum nicht zu viel Staub aufwirbeln. Daran zeigt sich, wie stark das Vorgehen gegen die Republikaner durch Opportunismus bestimmt war, was zu Verlegenheitslösungen führte. Die Republikaner standen nun irgendwo zwischen radikal und extremistisch, womit neue rechtliche Probleme aufgeworfen wurden, die man eigentlich hatte vermeiden wollen.
Rechtsgeschichtlich blieben die Urteile zu den Republikanern von großer Relevanz wie sich etwa 2019 zeigte, als die AfD gegen ihre Einstufung als „Prüffall“ vor Gericht zog. 30 Jahre zuvor war der Begriff „Prüffall“ erstmals in Bezug auf die Republikaner aufgetaucht, die sich dagegen aber nicht gerichtlich zur Wehr gesetzt hatten, obwohl die Behörden der Partei damit öffentlich Verfassungsfeindlichkeit nachsagten, ohne tatsächliche Anhaltspunkte nennen zu können. Was unter einem „Prüffall“ zu verstehen war, war auch 30 Jahre später noch unklar, da dieser Begriff in keinem der Verfassungsschutzgesetze genannt oder konkretisiert wurde. Die AfD klagte deswegen erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Bezeichnung.
Die Republikaner verloren nach dem Abtritt Schönhubers als Vorsitzenden 1994 massiv an Bedeutung. Ab 2007 wurden sie etwa im Verfassungsschutzbericht des Bundes nicht mehr als extremistisch eingestuft. Der im Jahrzehnt zuvor ausgetragene politische und juristische Streit um die nachrichtendienstliche Überwachung der Partei hatte bis dahin ein in der Bundesrepublik ungekanntes Ausmaß erreicht. Weder gingen bei der NPD noch bei der DVU die Meinungen so weit auseinander; zumindest bei denjenigen, die grundsätzlich von der Sinnhaftigkeit einer Institution mit dem Namen Verfassungsschutz überzeugt waren. Das hatte mehrere Gründe.
Welche Rückschlüsse lassen sich aus diesen vier Beobachtungen für heutige Debatten ziehen? Zunächst ist es wichtig, zu betonen, dass die Verfassungsschutzämter zwar den jeweiligen Innenministerien untergeordnet sind, das Adjektiv „weisungsgebunden“ aber in die Irre führt. Eine Beobachtung von Parteien erfolgt nicht willkürlich durch „Befehl von oben“, sondern ist Folge eines deutlich komplexeren Prozesses. Kontrolliert wird das BfV zudem durch das Parlament sowie durch Gerichte, gleichwohl lassen sich geheimdienstliche Tätigkeiten, wie etwa der Skandal um den NSU deutlich gemacht hat, nie gänzlich rechtsstaatlich einhegen. Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass die Innenminister starken Einfluss auf das Agieren der Behörden nehmen. Das zeigte sich nicht nur bei den Republikanern, sondern auch bei der AfD, wie man bei Ronen Steinke nachlesen kann. Hier offenbart sich eine ähnlich gelagerte Debatte wie bei den Staatsanwaltschaften: Sollen diese vollständig unabhängig agieren dürfen oder ist deren Weisungsgebundenheit geradezu zwangsläufig Folge des Demokratieprinzips? Was sich durch diese Kontrollen nicht ändert, ist freilich, dass das BfV ein Geheimdienst ist und bleibt. Doch gerade dieses Handeln im Geheimen leuchtet immer weniger Bürgerinnen und Bürgern ein, weshalb der Verfassungsschutz viel Zeit und Mühen in die Öffentlichkeitsarbeit investiert – und etwa Verfassungsschutzberichte herausgibt. Damit trägt das BfV der zunehmenden Bedeutung der Zivilgesellschaft sowie von Transparenz und Öffentlichkeit seit den 1970er-Jahren Rechnung.
Daraus ergeben sich aber neue Probleme, auf die schon früh Claus Leggewie und Horst Meier hingewiesen haben: Zeitung lesen könne man schließlich selbst und für die Aufgabe der politischen Bildung gebe es geeignetere Expertinnen und Experten. Der bedeutende Unterschied dabei ist aber: Die Einschätzungen des Verfassungsschutzes haben ganz praktische (auch rechtliche) Auswirkungen auf den Umgang des Staates und der Öffentlichkeit mit dem jeweiligen Beobachtungsobjekt, auch wenn diese heutzutage weit weniger Einfluss haben als noch in den 1990er-Jahren bei den Republikanern. Das scharfe Schwert der wehrhaften Demokratie scheint stumpf geworden zu sein, ist es doch selbst das Produkt einer Demokratieform, die viele Menschen und soziale Bewegungen aufgrund ihrer geringen partizipativen Möglichkeiten eigentlich überwinden wollen. Für manchen AfD-Politiker gilt es daher mittlerweile als Auszeichnung, vom Verfassungsschutz überwacht zu werden. Erst recht von einem Verfassungsschutz, dessen Präsident nach dem Eindruck der Öffentlichkeit Mühe hat, die Rolle als Beamter und Politiker zu trennen.
Moritz Fischer
Dr. Moritz Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit (19.-21. Jahrhundert) mit ihren Wissens- und Technikkulturen der RHTW Aachen. Seine Dissertation über die Geschichte der Republikaner erschien im Oktober 2024 im Wallstein Verlag. Sie wurde 2023 mit dem Hans-Rosenberg-Gedächtnispreis der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet.
Moritz Fischer: Die Republikaner. Die Geschichte einer rechtsextremen Partei 1983–1994, Göttingen 2024. Moritz Fischer: »Kein Volk, kein Reich, kein Schönhuber!« Das lange Echo des bundesdeutschen Umgangs mit den Republikanern, in: Archiv für Sozialgeschichte 63 (2023), S. 93–118. Ronen Steinke: Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht, Berlin 2023.
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