Junge Männer aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Eritrea und dem Irak, die seit 2015 in Deutschland leben, erzählen in „Wir sind jetzt hier“ ihre Geschichten über das Ankommen in Deutschland. Filmemacher Niklas Schenck und Azim Fakhri, einer der Protagonisten, sprechen über Hintergründe und Entstehungsgeschichte des Films.
FES: Fünf Jahre nach dem "Sommer der Flucht" gibt der Film "Wir sind jetzt hier. Geschichten über das Ankommen in Deutschland" denjenigen eine Bühne, über die im Zusammenhang mit Migration oft gesprochen wurde: jungen, alleinreisenden Männern. Wie entstand die Idee für das Format und wie habt ihr die Interviewpartner gefunden?
Niklas Schenk: Einige der Interviewpartner kannten meine Partnerin Ronja von Wurmb-Seibel und ich seit vielen Jahren, etwa Azim Fakhri, den wir schon 2014 in Kabul kennenlernten, als wir dort lebten. Und natürlich Hasib, den wir aus derselben Zeit kannten und der uns 2015 aus Ungarn anrief, wo er feststeckte. Wir brachten ihn damals über die Grenze und er hat seither fünf Jahre als Pflegesohn bei uns gelebt. Im Juni zog er aus, weil er auf eigenen Füßen stehen wollte – und daraus entstand auch die Idee für diesen Film: Wir fanden, es schloss sich ein Kreis, und wollten einmal mit den Protagonisten zurückschauen, wie sie selbst ihre ersten Jahre hier erlebt haben. Durch Hasib und seine Freunde hatten wir das schon sehr intensiv miterlebt, mit durchlitten, muss man sagen, und auch erfahren, wie stark junge Männer in dieser Zeit im Fokus von Hass und Hetze standen – deshalb haben wir uns entschieden, für diesen Film nur junge Männer zu befragen.
Die Erzähltechnik, einen Film fast nur aus Interviews in die Kamera zu “bauen”, haben wir vor einigen Jahren für den Kino-Dokumentarfilm TRUE WARRIORS entwickelt und perfektioniert. Wir finden, das ist eine der tollsten Möglichkeiten für mündliche Geschichte – obwohl man in Filmschulen lernt, dass so ein reiner Interviewfilm gar nicht geht. Dort ist das verpönt, man spricht dort von “talking heads” – aber wir finden, dass diese Interviews direkt in die Kamera eben nicht einfach nur “sprechende Köpfe” sind, so wie Expert_innen in einem Fernsehbeitrag. Das sind selbst Bilder, Bilder von Gesichtern, in denen wir ganz viel lesen und entdecken können – wie visuelle psychologische Porträts!
Azim, im Film geht es um sehr persönliche Dinge wie den Augenblick der Ankunft deiner Familie in Deutschland nach vielen Monaten der Trennung. Was hat dich bewegt bei dem Projekt mitzumachen und diese und andere intime Augenblicke mit einem unbekannten Publikum zu teilen?
Azim Fakhri: Als Nik mir von dem Projekt erzählte, habe ich sofort zugesagt. Ich suche ständig nach Wegen, meine Gefühle und meine Haltung anderen Leuten um mich herum zu vermitteln – sei es mit einem Kunstwerk, mit einem Text oder einem Videoclip. Es gibt so viele Menschen, die sich ihr Bild von Geflüchteten nur aus Fernsehbeiträgen machen, ohne ihre Probleme zu kennen und was sie auf sich genommen haben und erleben. Das fand ich bei diesem Projekt anders. Es half mir, sich vorzustellen, dass Leute sich besser in mich hineinversetzen können, wenn sie diesen Film geschaut haben.
Der Film berührt unterschiedliche Etappen des Integrationsprozesses wie Spracherwerb, Arbeits- und Wohnungssuche sowie Bildung und Ausbildung. Am Schluss hat man das Gefühl, dass alle Protagonisten trotz vieler Schwierigkeiten und auf sehr unterschiedliche Art doch in Deutschland angekommen sind. Welche Rolle spielten im Entstehungsprozesses diejenigen, die es nicht geschafft haben, abgeschoben wurden, die Flucht möglicherweise nicht überlebten?
NS: Ich habe in den letzten Monaten junge Männer kennengelernt, die seit fünf Jahren in Serie aufgrund der Dublin-Regeln innerhalb Europas abgeschoben wurden, die durch den halben Kontinent geschubst wurden und immer noch keinen Sprachkurs besuchen oder einen legalen Job aufnehmen können. Besonders ein junger Mann aus Afghanistan hat sich mir eingeprägt, der Automechaniker war und extrem frustriert, so zum Nichtstun verdammt zu sein. Aber ich weiß eben auch, dass seine Geschichte, so sehr sie für ein politisches Versagen steht, nicht repräsentativ ist für die Mehrzahl derjenigen, die um 2015 hierher gekommen sind. Da stimmt eher, was dieser Film abbildet: Die überwältigende Mehrheit hat inzwischen ihren eigenen Weg gefunden – wenn auch leider oft gegen große Widerstände.
Integration ist ein oft benutztes Wort im Zusammenhang mit dem Einleben in Deutschland. Was bedeutet es für dich, Azim, integriert zu sein? In welchen Situationen trifft es zu und wo ist noch Annäherung von beiden Seiten nötig?
AF: Für mich basiert Integration auf Akzeptanz, Toleranz und Respekt. Ich selbst konnte mich hier in Deutschland ganz gut einfinden, in einem neuen Land, einer neuen Kultur – denn ich hatte auch in Afghanistan schon mit Menschen aus dem Ausland gearbeitet. Ich habe andere Leute und ihre Vorstellungen zu akzeptieren gelernt und war vertraut damit, wie sie anfangs auf mich geschaut haben. Noch mehr geprägt hat mich sicher, dass ich als Kleinkind schon einmal Flüchtling war, da haben wir im Iran gelebt. Einige Erinnerungen aus dieser Zeit lassen mich bis heute nicht los – wenn ich es mal positiv zu formulieren versuche, dann haben sie mich zu dem gemacht, der ich bin: Jemand, dem Akzeptanz und Respekt sehr wichtig sind. Wenn die vorhanden sind, kann Menschen nichts mehr davon abhalten, einander mit Liebe zu begegnen – weder ihre Religion, noch ihre Hautfarbe, noch ihre Nationalität.
Niklas, für den Film habt ihr viele Stunden Gespräche geführt und wart im engen Austausch mit den Interviewten. Was war der bewegendste und der lustigste Moment während der Dreharbeiten?
NS: Für uns war es sehr besonders, mit unserem Pflegesohn Hasib noch einmal so tief einzutauchen in die emotionalsten und auch lustigsten Momente der letzten fünf Jahre. Aber wir wurden eigentlich von jedem der Protagonisten enorm beschenkt – einige hatten wir so lange nicht gesehen, dass wir völlig verpasst hatten, dass sie inzwischen perfekt Deutsch sprechen. Hussein aus Syrien hat uns zum ersten Mal vom Tod seines Vaters erzählt, das war sehr emotional. Ahmed Abdikarim aus Somalia kannten wir vorher nicht und waren sprachlos, als er im Interview plötzlich aus dem Stand zu rappen anfing. Und Ahmed al Sadoon aus dem Irak hat auf sehr lustige Weise davon erzählt, wie Freunde ihn mit seiner heutigen Verlobten Marie verkuppelt haben.